Mit der Absage des Fluges ist mein Hunger schlagartig vergangen. Stand jetzt hatten wir einen Platz auf dem Speedboot und die Rückkehr nach Bangkok mit dem 11er Bus in der Tasche, dazu zwei Nächte in Bangkok. Alles weitere wird sich weisen müssen. Ich mache mir Sorgen um Pia, sie kommt mit der Situation weniger zurecht als ich. Aber ich vertraue meinen Fähigkeiten und lege alles weitere in die Hände unseres Schicksals. Es wird schon werden, es ist ja noch immer geworden – wenn auch nicht so, wie geplant.

Ich kann ja vieles nicht. Meine gemalten Bilder möchtet ihr zum Beispiel nicht sehen. Aber wenn ich etwas kann, dann ist es, in Krisensituationen die Nerven zu behalten und mich meinem Schicksal zu ergeben – ohne untätig zu sein. In der Not erscheinen helfende Geister, du musst sie nur als solche erkennen. Ich bin in der Lage klar und analytisch zu denken, wenn es um mich tobt und schnelle Entscheidungen zu treffen. Und dennoch jene Geister wahrzunehmen. Mein ich ernst.

Dennoch nagt auch in mir die Ungewissheit – zumal die anderen heute ihren letzten Abend haben. Ich möchte ihn nicht verderben, aber die Realität steht mir klar vor Augen. Und wird leider mehr zum Thema als mir lieb ist. Schon vor einer Woche hatten wir bei Thai Airways ob der Situation nachgefragt und um Umbuchung gebeten – und keine Antwort erhalten. In Frankfurt versuchten Flo und Uli die letzten Tage direkt an Informationen zu kommen, leider auch vergeblich. Von Opodo, der Hure, bei der wir den Flug gebucht hatten, kam gar nichts. Er ist jetzt noch in deren App bestätigt.

Denkend löffele ich mein Massaman und während ich in den letzten Tage noch nicht einmal einen Minirest für die Ameisen übrig gelassen hatte, schaffe ich die Portion nicht, öffne statt dessen eine Dose Chang. Aber betrinken ist nicht drin, ich brauche morgen einen klaren Kopf. Der letzte Sonnenuntergang ist fantastisch, alleine in meiner Wahrnehmung liegt ein Grauschleier darüber. Ich kann noch nicht mal in meine Hängematte am Meer – diese liegt jetzt in meinem Rucksack. So trinke ich noch ein Chang. Dann ziehe ich mich in meine Hängematte am Bungalow zurück. Pia packt. Unten genießen die anderen ihren letzten Abend. Sind auch sie beunruhigt, ob alles klappt? Sind sie zuversichtlich? Immerhin müssen sie morgen Abend ihren Flieger schaffen – und dazwischen liegen einige Seemeilen und knapp 600 Kilometer Landweg. Ach, es wird schon gut gehen. Irgendwann schlafe ich in der Hängematte ein, irgendwann wander ich die zwei Meter rüber ins Bett. Pia schläft, der Mond ist eine Sichel, geformt wie eine Wiege. Ich lege mich gedanklich hinein. Unsere Rechnungen sind bezahlt, der Rucksack gepackt. Was wird der Tag bringen? Schon länger sind wir auf diversen Plattformen gemeldet – gehört haben wir exakt: Nichts.

Morgens werde ich vor der Zeit wach. Ich stopfe die letzten Reste in den Rucksack und suche die Reiseunterlagen für die Tasche zusammen. Um 10 Uhr wird uns das Speedboot nach Ranong bringen. Im besten Falle wartet der Fahrer schon, um uns anschließend dicht an der Grenze zu Myanmar entlang nach Bangkok zu fahren. Erstmals werde ich Thailand am Tag sehen, bislang war ich hier nur nachts unterwegs. Darauf freue ich mich. In den letzten Tagen trugen immer mehr Thais auch auf der Insel Masken, es ist wohl der richtige Zeitpunkt, die Insel zu verlassen. Auch die Family mit dem Baby wird früher als geplant abreisen. Und ein älteres Ehepaar, welches immer zu uns zum Essen kam, sucht fieberhaft nach Alternativen.

Ein letztes Müsli mit Mango und Ananas, ein letzter Tee. Cha bietet sich an, unser aller Gepäck mit einem Wägelchen ans Pier zu bringen, jetzt sind auch die anderen wach. Nur Susi fehlt. Björn sucht nach ihr. Bald darauf kommt sie nach unten getapst. Nun sind wir komplett. Da wir noch unseren Roller abgeben müssen, fahren wir ein paar Minuten früher ans Pier. Zuvor verabschieden wir uns von Eow und Lae. Für letztere hatten wir gestern noch einen Schlüsselanhänger organisiert und unser Trinkgeld für sie hinein gestopft. Sie hat sich gefreut. So steigen wir ein letztes mal den Weg nach oben zum Roller. Als ich oben bin, laufen mir die Tränen. Wehmut, Sehnsucht, Abschied.

Dann tuckern wir ein allerletztes Mal durch den Dschungelweg, durch den goldenen Sand. Auf der Straße riechen wir noch einmal die fallenden Cashews, fahren am kleinen Supermärktchen vorbei und halten kurz am größeren. Ich hole schnell noch zwei weitere Päckchen Tabak, dann rollen wir weiter, vorbei an der Kreuzung zum Long Beach, vorbei an den kleinen Bars und Restaurants. Kurz vor dem Pier ist unser Rollerverleih. Wir geben die Honda ab, sie wird kurz begutachtet, dann ist unser treuer Gefährte wieder mit seinen Kameraden vereint. Björn ist der erste, der uns entgegen kommt, dann rollen Michi, Niels und Tina an und danach Kerstin und Susi mit einem Scootertaxi. Als letztes kommt Cha angerumpelt, im Hänger unser Gepäck. Er wird bei uns bleiben, bis wir sicher im Speedboot sitzen, bis unsere Rucksäcke verstaut sind. Als es soweit ist, verabschieden wir uns von ihm – vielleicht sehen wir uns ja im kommenden Jahr schon wieder. Es wäre schön.

Dann senken sich die Motoren ins Wasser, Pia und ich tragen wieder unsere Masken – während das Boot ablegt und wir die Insel Meter um Meter hinter uns lassen, bis sie langsam aus unseren Augen verschwindet. Golden glänzt der Buddha zum Abschied.

Als wir in Ranong ankommen, wartet unser Fahrer schon, er hat Masken für alle dabei. Wir verstauen unser Gepäck und nehmen Platz. Der Wagen ist geräumig und klimatisiert, angenehm. Ich bitte den Fahrer, unterwegs am einem 7eleven zu halten. Bislang brauchten wir keine Sim-Karte in Thailand – aber ich denke, es könnte hilfreich sein, sich während der Fahrt mit der Rückreise zu beschäftigen. Gestern waren nur wenige Flüge buchbar – Qatar, ein Flug für 4.500 Euro. Für das Geld wäre ich lieber auf der Insel geblieben. Aber auch dies wäre kein einfaches Unterfangen. Ich hatte alle, für mich denkbaren, Optionen durchgespielt. In wenigen Wochen beginnt die Regenzeit, selbst unter normalen Umständen ist das kein Spaß. Wenn du Pech hast, schüttet es 40 Tage am Stück. Unser Visum galt 30 Tage, eine Verlängerung um weitere 30 Tage wäre kein großer Aufwand. Was wäre das Schlimmste, was passieren könnte? Hierbleiben. Doch natürlich wissen wir nicht, wie sich die Situation in Thailand verändert. Und wenn Hotels, Restaurants oder Garküchen schließen müssen – dann wird es arg ungemütlich für uns Farangs. Dann wäre ein Visum das geringste Problem. Auf Rückholaktionen hatte ich auch keine Lust. Papa hat mich das letzte Mal heim geholt, als wir nach einem Konzert von Saxon in Rüsselsheim die S-Bahn verpasst hatten. Das muss so 1982 gewesen sein. So wollten wir nach Ankunft zunächst an den Flughafen, um zu sehen, wie sich die Lage vor Ort darstellt. Irgendeine Lösung gibt es ja immer.

Der erste 7eleven hat keine Sim-Karten. So rollen wir an der Großbaustelle vor Ranong durch die Wälder, immer wieder erhaschen wir einen Blick auf Tempel und Buddhas, Rollerfahrer in Badeschlappen überholen uns und wir kommen gut voran. Im Bus ist es bemerkenswert still, Ein Jede/r hängt seinen Gedanken nach. Erinnert sich, bangt, ob der Ritt durch das einstige Siam gut geht, überlegt, wie es weiter geht, wie es in der Heimat aussieht. Unterwegs werden wir gestoppt. Kollektives Fiebermessen. Nach einer Weile halten wir erneut. Diesmal kann ich eine Sim-Karte erwerben – das Procedere dauert lange. Ich werde fotografiert, natürlich ohne Maske und habe die Qual der Wahl. Emsige Thais kümmern sich um uns, was weiß denn ich, welche Karte hier die sinnigste ist. Irgendwann habe ich die Karte, eine Thai-Telefonnumer und Guthaben für 10 Gigabyte in 10 Tagen. Damit sollte ich erst einmal klar kommen. Noch im Laden haben wir die Karte ins Handy gelegt, im Bus stelle ich erleichtert fest, dass alles funktioniert. Ich bin online. Benjamin hatte mir über FB eine Liste mit noch fliegenden Fluggesellschaften geschickt. Qatar. Geschenkt. Eurowings bis zum 29.? Bietet sich da eine Möglichkeit? Ich glaube nicht daran, denke dass alle Flüge sicherlich ausgebucht sind, es sind ja eine Menge Reisende, die vor dem gleichen Problem stehen.

Als ich auf die Lufthansa Seite gehe, werden mir Flüge am 21. April offeriert – für 1100 Euro pro Person. Das klingt nach einer Alternative. Keine überragende, aber eine Möglichkeit. Ich surfe weiter, aber es scheint wirklich keine Option zu geben, die attraktiver ist. Plötzlich erscheint der 28. März als mögliches Rückreisedatum. Ich klicke mich durch die Strecke – und tatsächlich: Ich stehe am Beginn einer Buchung. Über 1000 Euro pro Flug. Aber morgen früh. Ob die Buchung gelingen wird? Wir sollten schnell sein. Pia, was machen wir? Buchen, die klare Antwort. Also klicke ich mich durch den Buchungsvorgang. Seite für Seite wird abgehakt, die Kreditkartennummer eingegeben, es scheint zu funktionieren. Bestätigen? Ja klar. Zack.

Was wird eine eingehende Mail sagen? Absage oder confirmation? Wenig später ist unser Flug bestätigt. Hinreise morgen Mittag um 12:20 Uhr nach München, Weiterflug nach Frankfurt am Folgetag um 7:00 Uhr in der Früh. Wir checken online ein, es funktioniert. Sollten wir tatsächlich noch zwei Flüge für den nächsten Tag geschossen haben? Ich glaube fest daran – auch wenn ich dem Braten solange nicht traue, bis wir in Bangkok abgehoben haben. Und dorthin müssen wir ja auch erst noch kommen, obgleich es nicht mehr irrsinnig weit ist. Unsere Freunde gucken uns verdutzt an, als ich sage, dass wir wohl morgen früh fliegen werden. Sie freuen sich für uns – und hoffen, dass sie ihren Flieger erwischen. Kurz vor Mitternacht soll er abheben. Ich kommuniziere mit Flo, er schlägt vor, für einen halbwegs annehmbaren Preis ein Zimmer direkt im Münchner Hilton Airport Hotel zu buchen, das die meisten nur von der sonntäglichen Doppelpass-Sendung kennen. Eigentlich passt so ein Laden nicht in unser Budget – aber in Zeiten wie diesen machen wir eine Ausnahme. Eine Nacht in gemütlichen Ambiente wird uns den Urlaub länger frisch halten, als acht Stunden auf verschwitzen Bänken im Flughafen. Flo, mach’s.

Wir kommen durch, erreichen vor der Zeit den Flughafen in Bangkok – und verabschieden uns schweren Herzens von unseren Freunden, gönnen uns nach den Tagen der Schicksalsgemeinschaft eine kurze Umarmung – und schon verschwinden sie im Terminal. Es war eine bemerkenswerte Zeit, die Schönheit der Tage gepaart mit dem Schatten des Virus, eine eigenartige Melange an Gefühlen – jetzt heißt es nur noch: Heimkommen.

Pia und ich fahren mit einem Taxi ins Hotel, der Fahrer will 300 Baht – damit kommst du eigentlich bis zur Khao San Road in der Stadt. Ich biete ihm 200 und fünf Minuten später sind wir am Ziel. Die Gegend ist eher unwirtlich, aber das Hotel ist nett, ein kleiner Laden nebenan und dazu ein Restaurant. Reisende sitzen auf Stühlen und rauchen. Wir checken ein, das Zimmer ist geräumig und sauber – und trinken anschließend auf den Stufen rauchend zwei Bier. Nach einer kurzen Mahlzeit gibt es noch einen Feierabendschoppen. Wir kommen mit den Mitreisenden ins Gespräch, sie können gar nicht glauben, dass wir heute noch für morgen zwei Flüge buchen konnten, wir werden gar beneidet. Aber noch sind wir nicht weg.

Nach einer gut durchgeschlafenen Nacht und einem vernünftigen Frühstück, wobei ich dem Laden noch ein Bambusbrettchen für meine Sammlung abgeschwatzt habe (Die Bedienung war leicht irritiert, hat am End aber dennoch gelacht), bringt uns ein Shuttle Bus zum Airport. Schon beim Betreten des Terminals wird Fieber gemessen, wir bekommen einen violetten Punkt, sind clean. Dann geben wir unser Gepäck auf, sehen es auf dem Laufband davon rollen und wandern durch den Flughafen. Ein paar Souvenirs fallen ab, alsbald beginnt das Boarding und nur wenig später sitzen wir tatsächlich im Flugzeug, eine A-330. Sie ist klein, wir sitzen in der Mitte, das Essen wird furchtbar werden. Aber wir sitzen tatsächlich im Flugzeug. Und wir heben ab. Derweil landen unsere Freunde gerade in Frankfurt.

Während wir durch die Lüfte schweben, über Thailand, Indien, die Türkei, Kroatien, schaue ich Filme auf dem kleinen Monitor. Gut, dass ich meine Kopfhörer habe, es liegen keine aus. Zuerst läuft: Das perfekte Geheimnis, eine Beziehungskomödie unter Freunden, in der jeder die Nachrichten auf dem Handy des anderen lesen darf. Jessica Schwarz ist immer klasse, der Rest plätschert vor sich hin. Anschließend sehe ich Blinded by the light, die Geschichte eines jungen Engländers mit pakistanischem Hintergrund, der in der englischen Provinz durch die Musik von Bruce Springsteen sein Coming Out of Age findet. Ich muss aufpassen, bei den Songs nicht laut mit zu singen. Ich meine Springsteen. Der Boss.

Als nächstes folgt Gut gegen Nordwind, eine verschlungene Liebesgeschichte, die vorerst nur via Mail stattfindet. Nora Tschirner kommt nach einer guten Stunde ins Bild, ich langweile mich nicht. Als letztes schaue ich die Doku Blown Away. Vor ein paar Jahren hatten sich zwei Jungs ein altes Segelboot gekauft – und waren anschließend im Auftrag der Musik knapp fünf Jahre in der Welt unterwegs. Großartig.

 

Kaum ist der Film zu Ende, landen wir in München. Punktlandung auf allen Ebenen sozusagen. So wir ins Land wollen, werden alle Reisenden erst einmal auf engstem Raum zusammen gehalten, es dürfen immer nur 10er Grüppchen weiter. Der Rest drängelt sich vor dem Absperrband. Hallo Deutschland.

Irgendwann dürfen auch wir einreisen. Dann verlassen wir das Terminal. Es ist kalt. Und es ist nichts los am Flughafen. Es ist vielleicht 19:30 – und kein Mensch ist hier, kein Taxi, kein Bus. Spooky. Wir laufen die paar Meter ins Hotel, menschenleer, checken ein, fahren mit dem Lift in die dritte Etage und freuen uns über die Badewanne, die Pia sogleich mit Wasser befüllt. Ich sause noch einmal nach unten, rauche vor dem Hotel eine Cigarette und wundere mich über die gespenstische Situation. Gegenüber haben sowohl Edeka als auch McDonalds noch offen. Im Hotel zu speisen wäre in etwa so teuer wie unser Urlaub. Von daher gibt’s Burger und bairisches Flaschenbier, der Zimmerservice bin ich selbst. Anschließend geht’s in die Wanne. Das zweite Bier schaffe ich gar nicht mehr, ich nicke sofort ein und schlafe wie ein Ratz – bis um fünfe in der Früh der Wecker klingelt.

Da unsere Rucksäcke nach Frankfurt durch geschleift werden, packen wir nur unsere Taschen, checken aus und entern das Terminal. Ein Stündchen später heben wir ab. „Die Flugzeit beträgt 35 Minuten“ heißt es. Das habe ich dann auch noch nie gemacht, mein kürzester Flug aller Zeiten. Und während wir gestern über Indien schwebten, so überfliegen wir jetzt wahrscheinlich Würzburg, landen pünktlich, müssen noch ein bisschen im Flieger bleiben – bis wir schneller als gedacht in die S-Bahn kommen. An der Konsti gehen wir hoch zur Straßenbahn, es ist kalt und menschenleer an diesem Sonntagmorgen. Schon kommt die 12 angerumpelt.

Mit unseren dünnen Klamotten steigen wir am Park aus und frösteln – aber es sind ja nur noch ein paar Schritte. Im Briefkasten liegt mein neues Rollerkennzeichen. Ich krame den Hausschlüssel aus dem Rucksack, öffne die Haustüre, die Wohnungstüre. Pia, wir haben es geschafft, wir sind wieder hier. High Five.

Ich pendele zwischen Erleichterung und Wehmut. Wer weiß schon, was die Zeit bringen wird – aber diese Tage hatten wir. Meeresrauschen. Sternennächte. Sandige Wege und Coconut Shakes. Wir kommen wieder. Versprochen.

Und großen Dank, natürlich an Pia, aber auch an Björn, Kerstin, Michi, Niels, Susi und Tina sowie Eow, Cha und Lae. Es waren trotz allem großartige Zeiten.

For what it’s worth my friend it’s never too late
To be what you wanna be, your fate is what you create
You can change or stay the same
There are no rules to this thing
You can always make the best of it
It’s never too late
No it’s never too late

(Jack Mantis)

Happy travelling!

 

Hier die vorhergehenden Berichte:

Teil I

Teil II

Teil III

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