Ein Sammelsurium aus dem angebrochenen Leben

Heimspiel in Hamburg

So langsam entwickelt sich Hamburg zu meiner Lieblingsstadt in Deutschland– und das liegt nicht zuletzt an der Elbe. Und stets, wenn ich an den Landungsbrücken bin, höre ich Kettcar: An den Landungsbrücken raus. So auch diesmal. Doch zuvor waren wir in Korfu. Aber der Reihe nach.

Das Eintracht Museum hatte eine Übernachtungsfahrt nach Hamburg angeboten – und da Hamburg immer eine Reise wert ist, meldeten wir uns an. Einen Tag nach der Beisetzung meines Vaters nahmen wir die U4 Richtung Hauptbahnhof und schoben uns die Treppen nach oben. Die ersten warteten schon an Gleis acht, Matze verteilte die Umschläge mit den Reiseinformationen, und kaum hatten wir alle begrüßt, rollte der Zug an.

Wir hatten feste Plätze, und ich Glückspilz hatte einen der Fensterplätze, an denen kein Fenster ist. Wenn ich beim Bahnfahren etwas mag, dann ist es, aus dem Fenster eines fahrenden Zuges zu schauen, die Welt an mir vorbeiziehen zu lassen und meinen Gedanken nachzuhängen. Das war für heute gestrichen. Ich zog meine noise-cancelnden Kopfhörer auf und hörte Kari Bremnes.

Når du går, wenn du gehst, ist ein Lied über den Tod des Vaters von Kari.

Ut i det ukjente / inn i det blå / vente den ferga / vi alle ska nå / vente den veien / vi alle ska gå / uten bagasje / uten en tråd.

Ins Unbekannte hinaus / ins Blaue hinein / auf die Fähre warten / die wir alle nehmen werden / auf den Weg warten / den wir alle gehen werden / ohne Gepäck / ohne eine Spur.

Wir rollten durch Deutschland in die Dunkelheit, ließen sogar den Hamburger Hauptbahnhof hinter uns und verließen den Zug am Dammtor. Von dort brachte uns die S5 in wenigen Minuten an die Haltestelle Diebsteich, und von dort wiederum stolperten wir durch unwirtliches Gelände zum Hotel Ibis Budget. An die 50 Frankfurter:innen checkten ein, wir tauschten unsere beiden Einzelzimmer gegen ein Doppelzimmer, in dem über dem Doppelbett noch ein drittes, ein Hochbett, gebaut war. Ideal, um sich den Kopf zu stoßen. Das Zimmer war klein, aber sauber, Kleiderschrank und Wasserkocher fehlten – aber ich habe schon schlimmer übernachtet. Und eine Unterkunft für 50 Frankfurter:innen musst du erst mal finden.

Der erste Weg in der Hamburger Finsternis führte uns dann über einen kleinen Weihnachtsmarkt an der Apostelkirche zum Corfu Grill. Dort hatten wir für die Meute reserviert, und der Laden war top organisiert, freundlich – und flott. (So könnte auch ein Hamburger Hipsterladen heißen.) Alsbald schaufelten wir Souvlaki und Pastitsio in uns hinein. Yamas. Leider kam die Betreiberfamilie nicht aus Korfu, aber Pia schloss dennoch Freundschaft und verabschiedete sich von der Wirtin, als würden sie sich seit Jahren kennen. Ich stand verblüfft daneben. Dann schlenderten wir langsam zurück ins Hotel, die Buden des Weihnachtsmarktes hatten bereits geschlossen.

Am folgenden Morgen frühstückten wir in aller Herrgottsfrühe und machten uns dann mit der Bahn auf in Richtung Landungsbrücken. Dort stöpselte ich mir Kettcar ins Ohr und blickte von der Haltestelle … ins neblige Nichts. Es war eine magische Atmosphäre, du konntest kaum die Elbe sehen, geschweige denn die Elbphilharmonie oder die Containerkräne. Immerhin fuhr die Linienfähre Richtung Finkenwerder – ein gewagtes Unterfangen. Wir ließen uns am Oberdeck den Wind um die Ohren wehen, und alle Naslang dröhnte das Nebelhorn über den Fluss – so schipperten wir über die Elbe, vorbei am Fischmarkt und Övelgönne bis Finkenwerder und retour. In Övelgönne stiegen wir aus, die Ausflugsboote warteten auf besseres Wetter. Wir liefen am nebligen Elbstrand entlang und oben auf dem fast menschenleeren Fußweg vorbei an den alten Kapitänshäuschen zurück.

Anschließend nahmen wir den Bus an die Landungsbrücken (raus) – und spazierten nach einer kurzen Fahrt mit dem Aufzug in die Tiefe durch den alten Elbtunnel. Auf der anderen Seite gönnten wir uns ein Fischbrötchen und hatten die Möwen im Auge, der Blick prallte am Nebel zurück. Zurück auf der Hamburger Seite spazierten wir die Treppen hoch zum Ausgang und nahmen den Bus Richtung Volksparkstadion – welches nach einem kurzen Fußmarsch aus dem Nebel erwuchs.

Uns erwartete vor dem Spiel ein Auftritt auf dem Hamburger Volksparkett, seinerzeit die Inspiration für unsere Waldtribüne. Von daher wurden wir mit Matze von Patrick vom Supporters Club abgeholt und in die Fanzone der Hamburger geschleust. Das Volksparkett ist im Umlauf vor der HSV-Kurve: ein kleines Podest, ein Weihnachtsbäumchen und ein ähnliches Programm wie bei uns. Vor uns erinnerten die Fans an den Tod von Ramazan Avcı, der vor 40 Jahren von HSV-Nazis ermordet wurde. Dann standen wir Rede und Antwort, und anschließend war Robert Glatzel zu Gast, der verletzungsbedingt nicht spielen konnte.

Anschließend kämpften wir uns in den Gastbereich und nahmen unsere Plätze in der fünften Reihe ein. Erstmals seit 2018 kickte die Eintracht wieder beim HSV, und wieder einmal rettete uns der Videobeweis den Arsch. Das vermeintliche 2:1, das von den Hamburgern schon lautstark gefeiert wurde, zählte wegen Abseits nicht; es blieb beim 1:1. Ansonsten war es ein relativ unaufgeregtes Spiel, einzig eine kleine Pyroshow mit ein paar Raketchen illuminierte den Nachmittag. Auch im Stadion wurde Ramazan Avcı gedacht.

Nach Spielende liefen wir bis zum Hotel zurück, 60 Minuten durch den Volkspark, durch Industriegebiete und mehrspurige Straßen – durch die feuchte Hamburger Luft. Ich war froh, als ich das blaue Schild des Hotels leuchten sah. Und wir waren noch besser dran als die Bahnfahrer, die bis zu 60 Minuten in der Unterführung zur S-Bahn feststeckten. Abends ging es zu Fuß über den proppevollen Weihnachtsmarkt an der Kirche in eine gemütliche Pizzeria in Eimsbüttel.

Kaum im Hotel angekommen, fiel ich in einen tiefen, traumlosen Schlaf. Nach dem frühen Frühstück ging es zurück ans Volksparkstadion. Wir nahmen den Bus, stiegen einmal um, liefen ein paar Minuten und landeten vor dem HSV-Museum. Dort waren wir zu einer Museums- und Stadionführung verabredet, die auch sehr unterhaltsam war. Highlight war der Spind von Kevin Keegan, der seine Tage in Hamburg zählte und diese auch dort verewigte. Auch Franz Beckenbauer, der den Spind im Anschluss nutzte, schien in Hamburg nicht übermäßig glücklich.

Aber der HSV ist schon ein großer Club – nicht nur ob der Titel. Herzstück sind die beiden Europapokale: der der Pokalsieger und der unvergessene Triumph im Europapokal der Landesmeister, als Felix Magath den HSV auf den europäischen Thron schoss. Nur der UEFA-Cup fehlt. Und der DFB-Pokal von 1974. Den haben nämlich wir. 3:1 n. V. gegen ebenjene Hamburger. Und wenn ich ganz ehrlich bin, dann schlägt mein Hamburger Herz letztlich doch für St. Pauli.

Die Rückfahrt verlief geräuschlos. Wir enterten den Zug bereits am Dammtor, diesmal hatte ich wirklich einen Fensterplatz, und so rollten wir entspannt über Uelzen, Hannover und Kassel nach Frankfurt. Der Zug war halbwegs pünktlich, die U5 auch, ebenso die Straßenbahn der Linie 12. Die Haltestelle „Rohrbachstraße / Friedberger Landstraße“ heißt nun „Matthias-Beltz-Platz“, und der Stopp am Günthersburgpark wurde durch „Jina Mahsa Amini Platz“ ergänzt – und das ist auch gut so.

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4 Kommentare

  1. Mittelbucher

    Zunächst mein aufrichtiges Beileid, Beve.
    Danke für Deinen Reisebericht, den ich wie immer freudig aufgesaugt habe :-)
    Ich wünsche Dir und Pia frohe Weihnachten und für das neue Jahr nur das Beste.

    • Beve

      Danke dir. :-)

  2. UliStein

    Beve, mein Bester, leider hab ich es nicht mehr ins Stadion geschafft dieses Jahr.

    Ich wünsche Pia und Dir eine geruhsame Zeit, wir sehen uns 2026.

    Uli

    • Beve

      Dankeschön. Alles, Gute dir

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