Als wir am Busbahnhof in Ranong mit einigen anderen Reisenden den Bus verlassen, erwartet uns schon eine Schar Scootertaxis. Wer sich nicht auskennt, könnte nach der langen Nacht überfordert sein, sie stürmen auf dich zu und bieten freundlich aber hartnäckig ihre Dienste an. Theoretisch hast du drei Möglichkeiten. Du kannst mit dem Bus weiter zur finalen Station fahren, dem Newmit-Office in Ranong. Möglichkeit zwei: Du bleibst erstmal hier. Das wäre keine gute Idee. Und Möglichkeit drei: Du lässt dich direkt ans Pier bringen. Das ist unsere Wahl.

Erstmal ziehen wir die Masken runter und desinfizieren zum x-ten Mal unsere Hände. Dann sausen wir mit einem Gepäckscooter zum Pier. Unsere Fahrerin steuert gelassen ihr Gefährt durch den überschaubaren Verkehr, schaltet mit dem mächtigen Schaltknüppel behende hoch und runter. Hatten wir im Dunklen den Bahnhof verlassen, so kommen wir gut eine Viertelstunde später bei lichtem Tag am Pier an. Es ist halb acht, wir haben noch zwei Stunden Zeit, bis unser Slow Boat ablegt. Wir könnten auch mit dem Speedboot rüber zur Insel brettern, aber erstens ist die Fahrt etwas teurer, zweitens ist es ein unsagbares Vergnügen, mit dem langsamen Boot gemächlich über die See zu tuckern. So frühstücken wir zunächst in einem der umliegenden Cafés und werden dann mit einem Pick Up zu einem anderen Pier gebracht – es ist Ebbe, so kann das Boot von hier nicht starten. In der Nacht hat die Eintracht sang und klanglos gegen Basel verloren – unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Das ist mir völlig egal. Die erste Niederlage der Eintracht seit Jahrzehnten, die binnen Sekunden vergessen ist.

Am Pier selbst, einem überdachten Bau im Hafen, steht für die Reisenden heißes Wasser und Nescafé parat, derweil etliche Güter angeliefert werden. Alles, was auf der Insel nicht selbst angebaut oder produziert werden kann, wird mit Booten auf die Insel geschafft. Kisten und Kästen, Kokosnüsse und sonstiges Material warten auf das Boot, das derzeit noch auf Grund liegt. In den nächsten zwei Stunden wird die Flut es heben. Bunte Boote pflügen weiter hinten durchs Wasser, während wir in einem eigenartigem Zustand warten. Der Flug steckt samt Zeitumstellung in den Knochen, die Busfahrt und die Gedanken gepaart mit der Vorfreude ergeben eine ungekannte emotionale Melange. Mit jeder Viertelstunde steigt das Wasser. Mit uns reist ein älteres Paar aus Frankreich, sie kommen gerade aus Australien. Unterwegs kommt man immer ins Gespräch mit wildfremden Menschen.

Es ist warm, die Flut steigt und bald ist es soweit, das Boot setzt sich nach mehreren Versuchen in Bewegung, schiebt sich die paar Meter zur Anlagestelle. Taue fliegen durch die Gegend, tätowierte Helfer wuchten die Güter in den Kahn, dann dürfen wir über eine wacklige Leiter einsteigen und es heißt: Leinen los. Insel, wir kommen. Hoffentlich kommen wir auch drauf.

Wir sitzen mit unseren Schutzmasken auf dem dachgeschütztem Oberdeck, der Fahrtwind weht uns um die Nase, das Wasser ist schmutzig, die Sonne brennt. So schippern wir am Hafen von Ranong entlang, Qualm wird aus mächtigen mit blauen Fässern behangenen Kähnen in die Luft geblasen, doch mit jedem Meter wird das Wasser klarer. Rechter und linker Hand grünbewachsene Ufer, der Wind bringt etwas Luft, doch wir müssen aufpassen, uns nicht die Nasen zu verbrennen. So schieben wir uns auf die offene See. Vereinzelte Fischerboote tuckern an uns vorbei, es scheinen weniger als sonst. Wir fahren langsam an mehr oder weniger bewohnten Inseln vorbei, ich träume auf’s Wasser. Ähnlich wie in Apokalypse Now scheint die Szenerie. Nur sind wir nicht auf dem Mekong sondern auf der Andamanensee. Und wir kämpfen nicht gegen den Vietcong. Wir kämpfen um unsere Träume und gegen ein beschissenes Virus. Dann taucht sie in der Ferne auf, die Insel. Meter um Meter kommen wir ihr entgegen, erkennen die Umrisse, das Pier, den goldenen Buddha. Und dann haben wir es geschafft. Geschickt legt der Kapitän an und wir klettern an Land. Ich erkenne ein neues Pier, größer als das alte, welches schon größer war als das ganz alte, einige Meter weiter hinten in der Nähe der Mönche. Bevor wir die Insel wirklich betreten dürfen, wird erstmal Fieber gemessen. Alles ist gut, wir kommen beide fieberfrei an – und haben es für’s Erste geschafft. Die Glückshormone tanzen Polka.

Keine fünf Minuten später sitzen wir auf einem 125 ccm Scooter, quetschen unsere Rucksäcke um uns herum und tuckern langsam an den kleinen Läden vorbei nach oben in die Bucht des Büffels. An der oberen Kreuzung zum Long Beach erwartet uns eine größere Baustelle, der Duft vergärender Cashew Nüsse steigt in die Nase, Palmen, Bananen – wie ich es liebe. Nach gut zwei Kilometern führt ein schmaler Pfad durch den Dschungel zu unserer Unterkunft. Wir fahren auf goldenem Sand – so heißt sie. Das Schild an der Abzweigung ist neu. Der Weg altbekannt. Nach wenigen Metern kommt uns ein Roller entgegen? Björn? Pia? Axel? ruft es aus unseren Mündern. Welch Begegnung, noch bevor wir den Dschungelparkplatz erreicht haben. Wir hatten uns vor vier Jahren hier kennen gelernt – damals hatte ich mein Handy auf der Insel liegen lassen und Björn brachte es mit seiner damaligen Freundin zurück nach Frankfurt, da sie nach uns geflogen sind. Und jetzt sehen wir uns hier wieder. Er muss weiter, ein Massagetermin wartet, aber wir werden uns gleich sehen. Am kleinen Parkplatz stehen ein paar Roller, Cashewnüsse trocknen vor sich hin und wir stiefeln die paar Meter zum Gelände nach unten, es ist recht steil, wir laufen vorbei an den oberen alten Hütten und landen am kleinen Restaurant. 10 Meter weiter und wir sind im Meer.

Cha kommt auf uns zu, er managt den Laden seit Jahren extrem unaufgeregt, ein kleines Hallo, wie es den Umständen angemessen ist. Seine Frau Eow sehe ich nicht. Sie ist normalerweise verantwortlich für die Küche. Und glaubt mir, es ist die beste Küche auf der ganzen Insel. Einige Bungalows sind besetzt, nur unsere alten gibt es nicht mehr. Wir winken einigen Gästen zu. Dass es die alten Hüttchen nicht mehr gibt, wusste ich zwar, aber erstmals die neuen modernen Bungalows statt der alten Holzhüttchen zu sehen, bricht mir dann doch leicht das Herz. Endgültig vorbei ist sie nun, die Vergangenheit. Die neuen Häuschen sind zwar etwas komfortabler, aber ich liebte die Einfachheit der alten. Was solls, das Meer rauscht und es gibt Red Curry. Und es gibt einen neuen Bungalow für uns, nicht ganz vorne, aber mit Hängematte, Liege und einem Bett. Sogar ein Ventilator saust heutzutage in der Hütte. Das wäre vor ein paar Jahren hier unten völlig undenkbar gewesen. Damals gab es tagsüber gar keinen Strom, außer zum Laden der Telefone. Abends flackerten über einen Generator ein paar Funzeln – jetzt sind die Sache ganz anders aus. Wie anders, sollten die nächsten Tage weisen.

Wir beziehen unseren Bungalow, von der Hängematte aus kannst du das Meer sehen – doch wie habe ich den alten Blick geliebt. Der Blick in die Sterne, aufs Meer, auf die schattigen Umrisse von Myanmar, der Blick auf die Nachtlichter der Hippie Bar weiter hinten am Ende des Strandes. Weniger geliebt hatte ich das Schnellboot von Mr Trip, das dir tagsüber immer im Bild liegt und nachts zuweilen zu hell blinkt. Es liegt auch heute vor Anker – und wie immer mitten im Bild. Ich bin erleichtert, dass wir es bis in die Hängematte geschafft haben, ich bin geknickt, dass es die alten Hüttchen nicht mehr gibt. Ich frage mich, wie es meiner Familie zuhause wohl geht.

Wir räumen unsere Habseligkeiten ein und ordern den ersten Coconutshake. Serviert in einer Kokosnuss; einer der kleinen Träume hier – wie es so viele gibt. Anschließend gibt es das erste Curry. Ohne Blumenkohl. Ich hasse Blumenkohl. กะหล่ำดอก. Die reinste Pest. Als ich bestelle, lacht Cha, er hat es nicht vergessen. Mit ihm sind noch die Schwester von Eow, Ow, und Le in der Unterkunft. Sie bedienen uns – und daran wird sich auch die nächsten Tage nichts ändern. Le ist jung, hat oft ein Lächeln auf den Lippen. Und arbeitet leise aber freundlich, um uns das Leben angenehm zu gestalten.

Wir sind angekommen. Aber noch nicht hier. Wird es sich ändern? Die Zeit wird es weisen.

Hier findet ihr den ersten Teil der Reise. Und klickt für die Fotostrecke auf das erste Bild.