Manchmal ist es gut, neue Gefilde zu erkunden – so wie neulich in Schweden. Und manchmal ist es gut, wieder dorthin zurückzukehren, wo man sich auskennt, wo das Gefühl einer wie auch immer gearteten Heimat sich regt. So wie auf Korfu. Wobei der größte Teil der Insel nicht wirklich dazu zählt – wir waren beispielsweise noch nie oberhalb von Paleokastritsa im Norden. Aber unser kleiner Bereich im Südwesten, dort, wo Vassilis und Georgia ihr Haus mit einigen Apartments und zwei Studios führen, gehört unbedingt dazu.

2018, mehr oder weniger durch Zufall erstmals hier gelandet, saßen wir Anfang September bereits zum fünften Mal im Flieger nach Kerkyra – wie die Insel und auch deren Hauptstadt in der Landessprache heißt. Ein Shuttle brachte mich zur Mietstation des Leihwagens ein paar Hundert Meter vom Flughafen entfernt, während Pia samt unseren Koffern am Airport auf meine Wiederkehr wartete. Diese zog sich in die Länge, da mir trotz vorheriger Absicherung meine PIN für die Kreditkarte partout nicht einfallen wollte. Etwas derangiert stand ich da, während andere peu à peu ihre Wagen in Empfang nahmen. Als Glück im Unglück erwies sich, dass Pias Sohn Nick auf Heimatbesuch in Frankfurt weilte und nur einen kurzen Weg zu uns nach Hause hatte. Wenig später tippte ich die richtige Nummer in das Lesegerät und hatte zumindest den Vertrag in der Hand, während der Skoda Fabia noch gereinigt wurde. Als ich Pia dann am Airport samt Koffer einlud, stand ihr die Erleichterung ins Gesicht geschrieben. Und als wir die Küstenstraße hinter uns ließen und uns langsam der Westküste näherten, begann der Urlaub. Georgia und Vassilis begrüßten uns herzlich, wir bekamen die gleichen Räume wie immer und fühlten uns wie zu Hause.

Für uns sollte es in diesem Jahr eine ganz besondere Reise werden – und das wurde sie auch. Ziemlich genau zwanzig Jahre, nachdem wir zusammengefunden hatten, beschlossen wir zu heiraten. Über die kleine Agentur Armonie ließen wir alle Formalitäten organisieren, und mit jedem Tag rückte der große Moment näher.

Doch eine leise Melancholie begleitete uns auf den Wegen. Pias Mutter und erst recht meinem Vater ging es nicht gut, und zusätzlich erreichte uns die traurige Nachricht vom plötzlichen Tod Ulis, der bis vor wenigen Jahren Mitglied unseres Fanclubs gewesen war. Beim Besuch eines kleinen Klosters begegneten wir außerdem einer jungen Witwe inmitten ihrer herzzerreißenden Trauer. Und der kleine Laden Ionios Anemos („Ionischer Wind“) in Chlomos, dessen Besitzer seit über zwanzig Jahren Kunstwerke aus Treibgut schuf, sollte verkauft werden – die Menschen, so klagte er, machten nur noch Fotos und kauften nichts mehr. Zu allem Überfluss musste Vassilis einen Tag nach unserer Ankunft wegen Herzbeschwerden ins Krankenhaus auf das Festland.

Georgia war fürs Erste auf sich allein gestellt. Wir halfen, wo wir konnten, und hofften, dass sich alles zum Guten wenden würde. Vormittags unternahmen wir kleine Ausflüge, mittags saßen wir auf unseren Balkonen und ließen die Wärme über uns hinwegziehen, am späten Nachmittag gingen wir hinunter zum Strand, besuchten Sokrates in seinem „Secret Paradise“ und aßen abends bei Stella mit Blick aufs Meer Pastitsio oder Souvlaki. Die Zeit floss still und freundlich dahin. Nur Vassilis kehrte nicht zurück, und Georgia begann sich zu sorgen.

Einige Tage vor der Hochzeit fuhren wir nach Korfu-Stadt, um bei einer Notarin eine Vollmacht zu unterschreiben. Vor dem Termin schlenderten wir durch die stillen, morgenkühlen Gassen – bis plötzlich jemand auf der Straße rief: „Pia? Axel?“ Wir blieben stehen und sahen uns überrascht um. Vor uns stand Maria, die Inhaberin der Agentur, auf dem Weg zu einer anderen Hochzeit. Sie hatte uns anhand unserer Passfotos erkannt. Wir plauderten kurz, lachten über den Zufall und machten uns dann auf den Weg zur Notarin, wo auch Chris, ihr Sohn, bald eintraf. Die Formalitäten waren schnell erledigt, und wenig später trennten sich unsere Wege – wir rollten zurück ans Meer.

Fünf Tage später – Vassilis ging es zwar besser, war aber noch immer nicht zu Hause – brachen wir in aller Frühe erneut nach Korfu-Stadt auf, stellten den Skoda auf einer freien Fläche ab und suchten ein Café zum Frühstücken. Doch vor dem ausgewählten, etwas versteckt gelegenen Lokal hatte sich bereits eine kleine Schlange gebildet. In der Fußgängerzone herrschte noch Ruhe, also entschieden wir uns pragmatisch, frühstückten anderswo, blickten noch einmal aufs Meer und stiegen dann hinauf zur Old Town Hall, dem altehrwürdigen Rathaus der Stadt. Pia in ihren neuen Birkis, ich in weißen Adidas Samba. Wenig später kam Chris hinzu, der noch einen Parkplatz finden musste, außerdem Yota, unsere Trauzeugin und – wie sich später herausstellte – begeisterte und begabte Hobbyfotografin. Unser Standesbeamter, der Vizebürgermeister von Korfu, bat uns in einen Raum; ölgemalte Korfioten hingen an der Wand und blickten streng auf uns herab. Alsbald lauschten wir seinen Worten auf Englisch und Griechisch. Chris übersetzte, wo es nötig war, und als schließlich die entscheidende Frage kam, antworteten wir beide fröhlich mit „Ja“, Pia zur Sicherheit sogar auf Deutsch, Englisch und Griechisch. Dann tauschten wir die Ringe – und küssten uns.

Wahnsinn – nach zwanzig Jahren waren wir wirklich verheiratet.

Wir setzten uns in ein kleines Café, tranken Kaffee und schickten die Nachricht in die Welt. Freude kam aus allen Richtungen, und während wiranschließend langsam über die Insel zurückfuhren, hatte Georgia unsere Wohnung mit Blüten geschmückt, auch auf dem Bett lagen Blätter und Blüten, und inmitten eines aus Handtüchern geformten Herzens ruhte eine Flasche Wein. Wir waren zu Tränen gerührt. Nur eines trübte das Glück: Vassilis war noch immer nicht aus dem Krankenhaus zurück.

Später blickten wir aufs offene Meer und gruben die Füße in den Sand. Hinter uns ragten die sandig-grünen Felsen in die Höhe, und die Wellen rollten leise an Land. Noch später saßen wir bei Dorade und Pastitsio in der Taverne Julia und waren immer noch verheiratet.

Die folgenden Tage flossen ruhig dahin; wir unternahmen kleinere Ausflüge, tuckerten gemächlich die Küstenstraße an der Ostküste entlang, lasen unsere Bücher und badeten im Meer – mal mit Blick aufs Festland, mal mit Blick auf Paxos. Mal wanderten wir in den Sonnenuntergang,  mal spazierte ein Hund mit uns des Wegs, und mal beobachteten wir am Notos Beach das Anlegen der Ausflugsboote, die das stille Idyll für eine Stunde in ein Massenspektakel verwandelten. Auch Vassilis kam zwei Tage später endlich wieder nach Hause – zwar etwas geschwächt, aber guter Dinge – und Georgia war sichtlich erleichtert. So rückte der finale Abend näher, ein großer Abschied von Georgia und Vassilis, ein weiterer großer Abschied in der Taverne Julia – und schon rollten wir mit unserem blauen Skoda durch den erwachenden Tag. Die Rückgabe des Mietwagens verlief problemlos, der Flieger war pünktlich, und alsbald schwebten wir vom Sommer nach Frankfurt in den frühen Herbst. Die Wirklichkeit hatte uns wieder – doch verheiratet sind wir noch immer. Danke für all die guten Wünsche. Wir werden die Tage rund um unsere Hochzeit nie vergessen. Sie waren einzigartig und wunderbar.