Als die Meldung durchsickerte, dass Suzanne Vega fünf Konzerte in Deutschland spielen würde – darunter eines im Offenbacher Capitol –, war ich hellauf begeistert. Als ich jedoch die Eintrittspreise sah, dann weniger. Über 70 Euro sollte eine Karte kosten – und ich lehnte dankend ab. Als ich dies auf Bluesky kundtat, sprang Thorsten in die Bresche und bot mir an, ein Ticket zu einem ermäßigten Preis zu besorgen. Dafür war ich außerordentlich dankbar – und kurz darauf hielt ich mein Ticket in den Händen.
Noch nie zuvor hatte ich Suzanne Vega live gesehen. Die wenigen Male, die sie in Frankfurt oder Umgebung gastierte, gingen entweder an mir vorbei, oder ich hatte keine Kohle – oder war schlicht nicht da. Jetzt passte es.
Schon ihre erste LP fand den Weg in meine Plattenkiste, damals sicherlich wegen Marlene on the Wall.
Dass es sich bei Marlene on the Wall um ein Poster von Marlene Dietrich handelte, erfuhr ich Jahre später. In meinem Ohr blieben vor allem die Zeilen: But the only soldier now is me, I’m fighting things I cannot see, I think it’s called my destiny, That I am changing. Damit konnte mein diffuses Ich etwas anfangen – auch wenn ich den Text erst viel später in seinen ursprünglichen Sinnzusammenhang einordnen konnte. So war das häufig: Ich pickte mir heraus, was ich hören wollte, und passte es meiner Welt an – einer Welt, der es an Selbstachtung mangelte, aber nicht an großen Worten. Es war die Zeit kurz bevor ich an die Uni kam. Bis dahin war mein Musikgeschmack ein kunterbunter Haufen unterschiedlichster Stile – das ist er heute immer noch, allerdings ein wenig ausdifferenzierter. Die Jahre des Heavy Metal lagen damals einige Monde zurück, und das, was man später „Indie“ nennen sollte, lag noch vor mir. Über allem thronte schon damals Bruce Springsteen. Drei Platten stehen vielleicht für diese Übergangszeit: Public Images Album, The Cures The Head on the Door und eben Suzanne Vegas Debüt.
Die zweite Platte, Solitude Standing, hörten dann alle. Klar, mit Tom’s Diner und Luka waren ja zwei große Hits auf einem Album vereint. Suzanne Vega vermittelte eine Welt voller leiser Beobachtungen; ihre betörende Stimme mit hohem Wiedererkennungswert schlich sich in die Gehörgänge wie ein Quantum Trost in die postpubertäre Welt – und wurde wenig später von The Smiths, The Pogues und The Jesus and Mary Chain in den Hintergrund gedrängt. Lange Jahre lief Luka nur in der Version der Lemonheads – die eigene Verletzlichkeit umhüllt von einer Illusion der Härte.
Auch wenn ich Suzanne Vegas Alben damals dann nicht mehr kaufte, begleiteten mich ihre Songs über all die Jahre. Und als es mit den illegalen Downloads losging, besorgte ich mir peu à peu alle ihre Platten. Sie wurden nie langweilig, doch ein Knaller wie Marlene… war für mich nie wieder dabei – was wiederum meine eigene Oberflächlichkeit beim Hören beweist.
Das letzte Album, Flying with Angels, catchte mich hingegen außerordentlich – vor allem Speakers Corner, Chambermaid und Galway laufen bei mir in heavy rotation. Und alle drei Songs spielte sie in Offenbach live.
Was ich gar nicht mehr auf dem Schirm hatte, war die Tatsache, dass das Capitol einst die Synagoge von Offenbach war. Mir war die Location erstmals Anfang oder Mitte der 1990er-Jahre untergekommen, als der Freund einer Freundin damals bei dem Musical Tommy arbeitete. Später war ich hin und wieder bei Konzerten vor Ort – letztmals bei Michael Schenker. Jetzt also Suzanne Vega.
Und sie begann pünktlich. Mein Platz war relativ weit hinten; leider waren die Lichter im Saal außerhalb der Mitte recht hell – das Versinken in der Musik fällt nicht leichter, wenn das schüttere Haar deines Vordermanns in all seinen Details deutlich zu erkennen ist. Als hätte jemand vergessen, das Licht auszumachen. Auch Fotografieren machte wenig Sinn. Ein dokumentarisches Bild. Das war’s.
Aber der Auftritt ist klasse. Begleitet von Gerry Leonard an der Gitarre, steigt sie gleich mit Marlene on the Wall ein – passend dazu der schwarze Zylinder auf dem Haupt. Die ersten sechs Songs stammen alle aus ihrer frühen Dekade, einzig der Versuch einer Brecht’schen Version von Mackie Messer auf Deutsch unterbricht den Ausflug in die vertraute Vergangenheit.
Mit Stephanie Winters steigt später auch eine Cellistin ein. Je länger das Konzert dauert, desto intensiver erzählt Suzanne Vega kleine Geschichten zu den Songs – etwa von einem von ihr gestohlenen Kuss bei Bob Dylan vor Chambermaid – einem Song, der aus der Sicht des Zimmermädchens von Bob Dylan erzählt. Oder davon, weshalb sowohl ihre Mutter als auch später die Tochter sie entsetzt fragten, ob sie denn immer nur Schwarz tragen müsse. I never wear white.
Charmant auch die Geschichte, dass der Tod der alten Hauskatze bei den Vegas zelebriert wurde, indem der Kadaver in eine Kiste gelegt und brennend den Fluss hinabgeschickt wurde – woraufhin Suzanne ihrer Mutter klarmachte, dass sie im Falle eines früheren Ablebens einen Grabstein bevorzugen würde. Tombstone.
Die beiden letzten Songs des regulären Konzertes waren dann Luka und mit sparsamer Instrumentisierung Toms Diner. In der Zugabe spielt sie unter anderem noch Lou Reeds Walk on the Wild Side und beendet das Konzert nach über 100 Minuten mit Galway vom neuen Album. Die drei Musiker.innen lassen sich noch kurz und völlig zu Recht feiern – dann geht das Licht endgültig wieder an. Bei uns hinten hat sich nur wenig verändert. Für die Band geht es weiter nach Köln, für mich heim nach Frankfurt – nach einem wunderbaren Abend mit Suzanne Vega aus New York.


