Ostermontag, Temperaturen knapp über 0 Grad, Nieselregen. Es ist ungemütlich. Im Grunde ist es seit über einem Jahr ungemütlich, seit uns das Virus im Griff hat und desaströse Strategien die Pandemie ins Hoffnungslose hinauszögern. Was bleibt? Ein kurzer Spaziergang.

Vielleicht können wir bei der Gelegenheit in einem geöffnetem Kiosk ein Paket abgeben, Postämter sind rar gesät in diesen Zeiten. Stattdessen bieten diese kleinen Läden zwischen Biersorten aus Thailand, Tabak und gemischten Tüten eine Option. Die ersten beiden Kioske nehmen an Feiertagen keine Päckchen an. Wer will es ihnen verdenken? Das hat die Post auch nie gemacht. Also drehen wir eine größere Runde, runter auf die „Berger“, wie die Berger Straße kurz genannt wird. Pia schleppt ihr Paket unter den Armen mit. Unterwegs defilieren wir an drei Teststandorten vorbei. Kleinere Menschenansammlungen warten auf ihren kostenlosen Schnelltest. Die Maskendichte ist hoch. Restaurants und Cafés sind geschlossen. Keine Außen- und schon lange keine Innengastronomie. Der Aufwärmtee fällt aus. Schon lange. Immerhin hat Sindam offen, der für meinen Geschmack beste Dönerladen weit und breit, doch heute steht uns der Sinn nicht nach Döner.

Vor sieben Jahren hatte ich schon einmal einen Beitrag hier im Blog über die Berger Straße, es ging um den zunehmenden Leerstand auf der Straße. Damals hat noch niemand an Corona gedacht. Seinerzeit hatte kurz zuvor Saturn Hansa für immer die Pforten geschlossen, während aberwitzige Mieten dafür sorgten, dass alle paar Meter ein Schild an den matten Fensterscheiben hing: „Zu vermieten“. Daran hat sich bis heute nicht allzuviel verändert. Auch Zigarren Günther hat für immer geschlossen. Dieser Laden, dessen Schaufensterauslage an längst vergessene Zeiten gemahnte, ist nun selbst Erinnerung. Wir marschieren vom Uhrtürmchen bis runter an den Anlagenring und zurück bis zum Solzer. Dabei unterqueren wir die Höhenstraße durch die Unterführung der U-Bahn. Seit einem Jahr bin ich nicht mehr U-Bahn gefahren. Der Geruch erinnert an den Beginn an eine der vielen Reisen, die oftmals mit der Fahrt zum Bahnhof oder Flughafen begonnen haben. Der Sog in die Unterführung ist der Sog in eine andere Welt. Du gehst runter – und steigst an einem anderen Ort wieder aus. U-Bahn Unterführungen, der Geruch des Unterwegsseins. Pia ist mittlerweile ihr Päckchen los geworden. Nicht an einen der Bettler, die das Straßenbild mitprägen, sondern hochoffiziell bei einem Dienstleister.

Weiter oben dringt Sultans of swing von den Dire Straits aus einer offenen Tür. Als das Lied neu war, tanzten wir bei Schulfesten darauf. Damals lebte meine Großmutter noch oben an der Ecke. „Well now you step inside but you don’t see too many faces. Coming in out of the rain they hear the jazz go down. Competition in other places. Uh but the horns they blowin‘ that sound. Way on down south. London town …“. Heute stept niemand hinein. Heute ist Corona. Und wir sind auch nicht in London, sondern in Frankfurt. Und die Schulzeit ist lange her. Auch das Berger Kino hat seine Pforten für immer geschlossen. Heute prangen noch die Buchstaben über dem Eingang, der nunmehr zu ein Testzentrum führt. Vielleicht landen die markanten Leuchtbuchstaben eines Tages im Historischen Museum. Der erste Film an den ich mich erinnere dort gesehen zu haben, war Eraserhead von David Lynch, der letzte Shadow von Zhang Yimou. Dazwischen lagen 30 Jahre. Es war eine schöne Vorstellung, die paar Meter runter ins Kino zu laufen, und mit den Kopf voller Filmbilder wieder nach Hause. Mein Viertel. Mein Kino.

Nun sprechen die leeren Geschäfte von versandeten Hoffnungen und verdämmerten Träumen, weil die Mieten zu teuer wurden, weil ob Corona niemand mehr kam, weil die Inhaber zu alt geworden sind. Was bleibt sind Bilder. Und ein warmer Tee in den gemieteten vier Wänden. Wohl dem, der ein Dach über dem Kopf hat. Und noch Träume zu träumen wagt …

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