Ein Sammelsurium aus dem angebrochenen Leben

Logbuch Thailand – 36 Stunden

Da es sich etwas zieht, bis ich mein Zimmer beziehen kann, trinke ich zunächst einen Tütencafé am Fluss, stelle mein Gepäck unter und laufe los. Mein Plan sieht vor, bis zum Golden Mount zu marschieren, dort an dem Klong in ein Klongboot zu steigen, und nahe des Bahnhof Phaya Thai einen Textilmarkt aufzusuchen, ich brauche einige Dinge, die ich von Ko Payam nicht mitschleppen wollte.

Schon auf der Thanon Samsen fällt mir auf, dass etliche Läden geschlossen haben, eine Auffälligkeit, die mich während des Tages begleiten sollte. Ich tippe auf die Nachwirkungen des Songkran, auch das Café in welchem ich zu Beginn gefrühstückt hatte, ist verbarrikadiert, also auf zu neuen Ufern. Da ich nicht weiß, ob ich mit Geld hinkomme, ziehe ich erst einmal einige Baht und suche den Fähranleger, den ich nach einigen Metern auch finde. Aber wie es scheint, geht heute nicht viel, niemand kassiert, niemand wartet, kein Boot tuckert. Weiter oben versuche ich eine Kreuzung am Demokratie Monument zu passieren, alle Fahrspuren aber sind von Polizisten gesperrt, Fußgänger, die weiter laufen wollen, werden zurück gepfiffen. Ich warte wie alle, die Motoren knattern, niemand bewegt sich. Da nimmt ein Soldat Haltung an, und plötzlich kommt ein Tross Fahrzeuge angerauscht, die ersten mit Blaulicht vorneweg. Anschließend rollt eine historische Staatskarosse vorbei, etliche große rote Mercedes hinterher, zwischendrin ein Rolls Royce. Kaum haben sie die Kreuzung passiert, knattert der Verkehr in alle Richtungen weiter.

Da ich aber schon recht nahe des Golden Mount bin, werfe ich einen Blick in die Anlage. Tuk Tuks warten davor, Essen wird zubereitet, hier lebt es. Das oder der Golden Mount ist nicht nur eine Art Tempel, sondern auch relativ hoch, ich zahle 20 Baht Eintritt und laufe die Stufen nach oben, ein kleiner Wasserfall saust seitlich herab, Buddhastatuen verstecken sich im grün und immer wieder steinerne Affen. Es ist eine Menge los, überall wird fotografiert, stehen Mädchen mit dem seitlichen Peacezeichen aus Zeige- und Mittelfinger und grinsen in die Kameras. Große Glocken können geschlagen werden, wie mächtige Gongs, es klöppelt und gongt auf dem Weg nach oben, wo das Hauptgebäude schon wartet. Langsam schieben wir uns die Stufen hoch, passieren einen Andachtsraum und haben von der Spitze einen schönen, erhabenen Blick über die Stadt, in der Ferne sehe ich die Brücke Rama VIII. Da es mir zu wuselig ist, verabschiede ich mich und mache mich auf, Richtung Markt, das Navi zeigt drei Kilometer, das müsste zu Fuß zu schaffen sein, es ist warm, aber nicht drückend heiß.

Der Weg zieht sich an einer befahrenen Hauptstraße entlang, es ist relativ ruhig, die Geschäfte haben nur vereinzelt offen. An einer großen Kreuzung muss ich genau schauen, wie ich auf die andere Seite komme, aber es ist möglich, nach einem weiteren Kilometer erkenne ich Gewimmel und Gewusel, ich bin am Ziel. Doch was ich suche finde ich nicht. Ich finde Fußballtrikots, kreischbunte Touri-Klamotten, T-Shirts mit dämlichen Sprüchen und vieles mehr, obgleich sicherlich die Hälfte der Läden zu hat. Dabei war ich mir eigentlich sicher, hier fündig zu werden, was nun? Ich treibe mich eine gute Stunde zwischen den einzelnen Anbietern herum, trinke einen frischen Limonensaft, einen Granatapfelsaft und ziehe dann unverrichteter Dinge wieder ab. Vielleicht versuche ich es morgen noch einmal, ansonsten soll es halt nicht sein. Wobei, auf der Khao San Road soll es ja auch allerhand geben, ich frage einen Scooterfahrer, ob er mich hin bringt und sause helmlos durch die Stadt. Als wir anhalten, traue ich meinen Augen kaum, es wimmelt nur so von Menschen, von Musik, von Lachen und Wasser und Leben. Songkran geht weiter, ich atme tief ein und werfe mich in die Menschenmenge und es dauert nicht lange, bis ich bis auf die Knochen nass bin. Dort, wo vermutlich sonst Verkaufsstände aller Art auf Kundschaft warten, werden nun Wasserpistolen, Schüsseln und Wasser zum Nachfüllen angeboten – in rauen und rauesten Mengen, an Einkaufen ist nicht zu denken. Ein nie endend wollender Strom nasser, fröhlicher Menschen, vorwiegend natürlich die Jugend, schiebt sich durch die nasse Straße, aus den Lautsprechern brettert Musik, Spektakel, Volksfest, Neujahr, Begrüßung der Regenzeit und Halligalli vom Wildesten.

Auch auf der Thanon Samsen bietet sich jetzt das gleiche Bild, aus Eimern, Schüsseln, Schläuchen wird alles bewässert, was vorbei kommt, auch die Kids kennen keine Gnade. Auf den Pick Ups sitzen Gruppen und feuern auf die Spaziergänger, Farbenwasserlichtmusikchaos. Immerhin ist mein Kummer ob der nicht erhaltenen Dinge verraucht, ich grinse und lasse mich nassspritzen, Menschen lachen mich an und noch vor dem Guesthouse tobt sich erneut der Nachwuchs an mir aus. Triefend laufe ich ein, hänge die Klamotten auf die Wäscheleine und ziehe mich um. Blöderweise habe ich Durst, also mache ich mich erneut auf die Socken, versuche, mich im Hintergrund zu halten. Es gelingt. Nur kurz, dann lachen mich zwei strahlende Thaiaugen an, und zack habe ich die nächste Ladung über. Orangensaft und Kokosnusseis trösten und stärken mich für den kurzen Rückweg. In einem 7/11 kaufe ich eine kleine Flasche Sang Som, der Preis steigt nach kurzer Unterredung der Verkäufer binnen kurzem um 25 Baht, da ich keine Lust mehr habe, zum nächsten zu ziehen, kaufe ich sie dennoch und werde die nächsten Einkäufe woanders tätigen. Da haben sie mal eben 25 Baht gut gemacht, dazu einige Karmapunkte verloren und noch dazu einige Hundert Baht, die ich im nächsten Laden ausgebe. Was solls.

Da ich diesmal nicht völlig durchnässt bin, erspare ich mir einen Klamottenwechsel und blicke auf den Chao Phraya, betrachte die unzähligen Bootchen und Schiffe, die unentwegt vor meiner Nase entlang tuckern, sausen, mäandern, brausen und entlang ziehen. Martin, der mit mir aus Ranong gekommen ist, setzt sich dazu, erzählt von seinem Tag, ein Schlepper zieht fünf Lastkähne hinter sich her, die Sonne versinkt, es wird Dunkelabend, der Nachtstern leuchtet. Ich möchte in meine Hängematte, die es aber hier nicht mehr gibt. Die schaukelt jetzt leise ohne mich in little paradise.

Später macht sich der Hunger bemerkbar, eigentlich eine tolle Sache, aber: Ich muss wieder raus. Da auf der anderen Seite des Flusses beschaulich zu geht, sollen meine Schritte mich dorthin führen. Auf dem Weg zur Hauptstraße knattert ein Generator unruhig vor sich hin, ein Feuerwehrschlauch zweigt von ihm ab. Trocken erreiche ich die Thanon Samsen und nun sehe ich den Feuerwehrschlauch. Er spritzt volles Rohr auf die Straße, ich sehe zu, dass ich ungeschoren davon komme und schaffe es. Nur fast, denn natürlich kippt mir jemand strahlend einen Eimer über. Happy New Year.

Spätestens auf der Brücke habe ich Ruhe, ich schreite darüber hinweg lasse meinen Blick über den Fluss schweifen und erreiche das andere Ufer. Heute spielt hier niemand Fußball, aber wie an jedem Abend sitzen die Menschen picknickend am Ufer, genießen das Lichterspiel der beginnenden Nacht.

Leider ist der Stand mit gegrilltem Octopus heute nicht vor Ort, ich nehme einige Saté-Spieße mit Erdnusssauce, sie sind lecker, doch wehmütig erinnere ich mich den Kochkünsten von Aeow in little paradise. Ich sitze auf den Stufen, bin der einzige Farang hier und sehe auf der anderen Seite des Flusses die Lämpchen des Guesthouses leuchten. Plötzlich tippt es mir auf die Schulter. Eine junge Thai von der Familie, die mir gegenüber sitzt, drückt mir lachend einen Becher mit Eis und Cola in die Hand. Ich lache und bedanke mich. Wie kann man zum Essen auch nichts trinken?

Nach einer Weile verabschiede mich und laufe über die Brücke zurück, ich bin alleine auf weiter Flur. Unter mir wendet ein Barmusikdinnerboot, es ist riesig und bunt beleuchtet, vorwiegend rosa, mit grünem Springbrunnen und heller Essensausgabe. Musik klingt nach oben, Menschen blicken auf die Brücke, erkennen mich, winken, ich winke zurück, sie lachen. Am Heck stehen zwei Köche, dahinter reihen sich die Speisen auf. Und als ich so auf das Schiff schaue, habe ich auf einmal das Gefühl, als schöbe sich die Brücke über das still stehende Schiff, als drücke mich die Zeit voran, ähnlich dem Eindruck, wenn zwei Züge nebeneinander stehen und einer setzt sich in Bewegung und du weisst nicht, welcher es ist.

Ein faszinierender Moment, ich genieße ihn, realisiere, dass es doch das Boot ist, das weiter fährt, und marschiere weiter. Kaum erreiche ich Samsen, bin ich mittendrin im Spektakel, natürlich fällt eine Ladung Wasser für mich ab und was ich dann sehe, übertrifft alles. Eigentlich wollte ich ja noch einen Tee trinken, doch der Stand ist am Straßenrand, ich bleibe halbwegs trocken einige Schritte dahinter.

Die Straße steht mehr oder minder vollständig unter Wasser. Auf Wagen ähnlich der Loveparade dröhnt Musik, Menschen stehen obenauf, aus dem Feuerwehrschlauch bläst Wasser auf sie. Auf alles, was vorbeikommt. Auch auf die schweren Isuzu-Busse – und wer am offenen Fenster sitzt, wird klatschnass. Rollerfahrer ducken sich, wer Glück hat, wird nicht von seinem Gefährt gespült. TukTuks sausen vorbei, besser schieben sich vorbei, die Insassen, die bislang trocken geblieben sind, schwimmen nun in ihren Klamotten. Kinder überschütten sich und andere, es ist laut, es ist schrill, es ist nass und lachend und bunt und ein großer Irrsinn, der in einem Wassermeer versinkt.

Später am Fluss machen sich ein paar Moskitos bemerkbar, doch mein indisches Mittel zeigt Wirkung. Zur Nacht spüle ich mir die Füße ab, reibe sie mit einer Art Tigerbalsam ein, und wundere mich über die letzten 36 Stunden, die letzten Minuten in meiner Hängematte, der Abschied von Cha und Aeow, die letzte Rollertour, Die verblassende Insel im Speed Boat, die Ankunft in Ranong, die Nachtfahrt, die Ankunft in Bangkok, der Fluss, der Marsch und der Blick vom Golden Mount, die monotone Straße, das Marktgewusel, die Rollerfahrt, die spektakelige Khao San Road, das Abendessen am Fluss und der Wahnsinn an der Straße. 36 Stunden. Leben.

2 Kommentare

  1. Kid

    Aus dem Fest wird ein Festival und das ganze zum Trainingslager für die Regenzeit. „Bleib‘ sauber“, hat man sich früher mal zum Abschied gewünscht, aber so „gereinigt“ wie du nach den unzähligen Wasserduschen muss es dann doch nicht sein. ;-)

    PS: Das Eingangsfoto ist klasse.

    • Beve

      Ja, da weiß man nicht, ob er echt ist oder nicht, der weise Geselle :-)

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