„Campeones, Campeones, Campeones SGE“. Leise diese eigentlich unglaublichen Worte murmelnd, laufe ich durch den überschaubaren Flughafen in Faro, Portugal. Hinter uns liegt eine abwechslungsreiche Woche. Eine Woche, in der Eintracht Frankfurt zum zweiten Mal in der Historie den Europacup holen sollte. Wir waren wieder einmal unterwegs – und dies hier ist unsere Geschichte. Eine Geschichte voll Höhen, aber auch Tiefen, die hier nicht verschwiegen werden sollen.
Ich weiß gar nicht genau, wo sie beginnt, die Geschichte. Die Saison begann jedenfalls mit dem Pokalaus in Mannheim, die aktive Szene blieb seinerzeit zuhause, begründet durch Corona. Trotz der Niederlage saßen wir später unbeschwert beim Griechen in Mannheim. Es waren die Tage, in denen es nicht allzu schwer war, ein Ticket für Spiele der Eintracht zu ergattern, insofern überhaupt Zuschauer zugelassen wurden. Das Spiel in Waldhof war für uns das erste in einem Stadion seit dem Sieg über Werder Bremen anderthalb Jahre zuvor, das erste Auswärtsspiel seit dem Sieg in Salzburg im Februar 2020. Auch wenn es in den letzten Monaten in den Hintergrund rückte, lange Wochen der Saison waren geprägt durch Covid, dem Umgang mit dem Virus. Die Eintracht spielte sich mal vor mehr, mal vor weniger Zuschauern durch den Europacup. Wir fuhren im Herbst mit einer munteren Reisegruppe nach Antwerpen. Das Heimspiel gegen Piräus verpassten wir, da wir aus Unachtsamkeit zu diesem Zeitpunkt IN Piräus auf einer Dachterasse saßen, auch so eine Skurrilität dieser Saison. Spiel für Spiel blieb die SGE ungeschlagen und überstand die Gruppenphase. Zur Partie bei Betis Sevilla kehrte die aktive Szene zurück. Wir aber blieben erstmals seit langer Zeit bei einem europäischen Auswärtsspiel der Eintracht, bei dem Zuschauer zugelassen wurden, in Frankfurt. Mein Vater, der kurz zuvor aus dem Krankenhaus entlassen wurde, feierte am Spieltag seinen Geburtstag. Ich hatte den Finger schon auf „Enter“, als es um die Buchung des Fluges ging. Aber manchmal gibt es Wichtigeres als Fußball.
Vielleicht begann die Saison aber auch wenige Tage nach Abpfiff der vorherigen. Als feststand, dass die Eintracht in der Euro-League antreten würde und wir kurzerhand mitten in einem der Lockdowns Zimmer in Sevilla reservierten. Sevilla – Austragungsort des Finales. Vielleicht glaubten wir nicht wirklich daran, dass es die Eintracht ins Endspiel schaffen würde. Aber alleine der Moment der Buchung löste Glücksgefühle aus – zu einem Zeitpunkt, an dem an unbeschwertes Reisen nicht wirklich zu denken war. Doch der Prozess der Reservierung beinhaltete auch den Traum vom Unterwegssein, verwies auf ein Licht am Ende des Corona-Tunnels. Drei Nächte, zusammen für 108 Euro. Stornierbar bis zum 14. Mai 2022. Während des Jahres geriet diese Reservierung zuweilen in Vergessenheit, dann erinnerte ich mich wieder daran – auch, um nicht zu vergessen, die Zimmer rechtzeitig zu stornieren. So verging Woche um Woche. Eine Stornierung war zunächst nicht notwendig.
Einen der Höhepunkte der Eintrachtgeschichte erlebten wir schließlich in Barcelona. Unvergessen als es beim Stande von 3:0 für die Eintracht im Camp Nou durchs weite Rund schallte: „Einer geht noch, einer geht noch rein“. In Barcelona. Obgleich es am Ende noch einmal eng wurde, war ab diesem Moment klar: Dieses Jahr ist alles möglich – erst recht, als die Eintracht kurz darauf in London bei West Ham mit 2:1 als Sieger hervorging. Schon zu diesem Zeitpunkt wurden Flüge zum Finale nach Sevilla unerfreulich teuer, obgleich noch gar nicht fest stand, dass wir dort wirklich spielen würden.
In einer meiner schlaflosen Nächte setzte ich mich an den Rechner und suchte nach Alternativen. Der Flughafen in Faro liegt gute 200 Kilometer von Sevilla entfernt. 20 Kilometer Richtung Osten an der Ria Formosa befindet sich der kleine Fischerort Fuseta, den ich schon länger einmal besuchen wollte – was lag also näher, als einen Urlaub in Portugal eventuell mit einem Ausflug nach Sevilla zu verknüpfen. So buchte ich eine schöne Unterkunft in Fuseta, erzählte Pia am nächsten Morgen von meiner Idee und da sie gleichfalls begeistert war, sicherten wir uns zwei Flüge nach Faro dazu. Das Zimmer in Sevilla hatten wir ja schon länger. Was auch immer passieren sollte, die Reise stand. Als die Eintracht dann tatsächlich auch im Rückspiel West Ham besiegen sollte, war der Ablauf unserer Reise klar. Frankfurt – Faro – Fuseta – Sevilla – Fuseta – Faro – Frankfurt. Wir buchten die Busfahrten nach Spanien rechtzeitig – und als klar war, dass Glasgow Rangers fucking Leipzig aus dem Wettbewerb gekegelt hatten, war alles angerichtet für eine mächtige Auswärtsfahrt.
Jetzt hieß es: Nur nicht kurz vor Toresschluss sich das Virus einzufangen – ein schwieriges Unterfangen. Die Meldungen um uns verhießen nichts Gutes. Mit mehr oder weniger starken Symptomen wurden immer mehr Freunde schachmatt gesetzt, doch wir hatten Glück. Weder das fantastische Konzert von Lea Porcelain im Offenbacher Hafen 2 am 12. Mai, noch der Besuch des Auswärtsspieles in Mainz, hinterließen nachhaltige Spuren. Ärgerlich nur, dass ich meinen Schal, den ich so oft dabei hatte, im Museum vergessen hatte. So packte ich kurzerhand den Eintracht/Tallinnschal ein, auch als Erinnerung an die schönen Momente in Estland, die Begegnungen mit Flora Tallinn im Juli 2019. Und so brachen wir am Morgen des 15. Mai 2022 auf nach Portugal, zuhause am Fenster flatterte eine Eintracht Fahne. Im Flugpreis inbegriffen die Anfahrt mit dem RMV und sogar die Kofferaufgabe. Alsbald schwebten wir über den Wolken und landeten nach knappen drei Stunden in Faro. Natürlich kam mein Rucksack als letzter aufs Förderband, aber er kam und wir spazierten die wenigen Schritte an die frische portugiesische Luft. Dort trafen wir auf Andi, den ich in Barcelona kennen gelernt hatte und nahmen uns ein Uber in Richtung Fuseta. Es war unsere erste Fahrt mit Uber, Pia hatte sich die App runter geladen und da die Züge von Faro in Richtung Fuseta eher sparsam fuhren, tuckerten wir für 20 Euro an Olaho vorbei, Graffiti an den abgeschabte Häuserwänden, bis wir keine Viertelstunde später in Fuseta abgesetzt wurden. Der kleine Ort an der Ria Formosa hat in den letzten Jahren einiges an Bekanntheit gewonnen, da eine Krimi-Serie eines deutschen Autors dort spielt, Lost in Fustea. Vorbei gefahren bin ich hier schon in früheren Zeiten, ich hatte im Laufe der Jahrzehnte quasi die gesamte portugiesische Küste von Nordwest bis Südost abgeklappert, aber in Fuseta selbst war ich noch nie. Trotz des Sonntags war im Örtchen selbst nicht viel los. In der kleinen Fußgängerzone saßen ein paar Leute an den Tischen der Bars, tranken Galao oder kleine Sagres und beschwatzten den Tag.
Wir spazierten vorbei an Läden mit Spielzeug oder Souvenirs hoch zur Kirche, in deren unmittelbaren Nähe unsere Unterkunft liegt. Leider war die Rezeption nicht besetzt, obgleich wir unser Erscheinen für 14 Uhr angekündigt hatten. So spazierte ich in den Ort während Pia die Stellung hielt. Ich schlenderte am Kanal entlang Richtung Strand. Auf riesigen Holzkohlegrills wurden Fische jeglicher Couleur gegrillt, der Geruch verhieß Urlaub. Einheimische wie Touristen ließen es sich gut gehen, parkende Autos versperrten die Sicht auf die im Kanal dümpelten Fischerbootchen. Auch die Bars weiter unten waren ganz gut besetzt – und ich wanderte bis runter an den Strand der Ria Formosa. Diese trennt durch einen 60 Kilometer langen Naturpark samt kleinen Inseln das Festland vom Atlantik. Kite Surfer schwebten durch die Luft, Ausflugsboote brachten Touristen auf die Inseln, wenn sie Glück hatten, konnten sie Delphine oder Flamingos beobachten, andere badeten im Wasser. Unterdessen konnte Pia einchecken, ich machte mich auf dem Weg zu ihr, freute mich über unser großes Zimmer samt Balkon und Gemeinschafts-Dachterrasse gegenüber der Kirche – und nur wenig später saßen wir auf den roten Stühlen an der Bar O Farol am Kanal, aßen ein Bifana, tranken dazu Galao und spazierten später am Strand zum alten, in die Jahre gekommenen, gelb roten Anlegehäuschen, das nun bei Flut vollständig im Wasser lag. Wir stromerten durch die kleinen Gassen des Ortes zurück ins Hotel. Von der Dachterrasse bot sich ein fantastischer Blick über Fuseta, über die Dächer des Ortes bis hin zur Ria Formosa und im Hinterland über die Hügel in Richtung des Alentejo. Aus dem Kulturzentrum nebenan wummerte Musik.
Als wir uns später zum Abendessen aufmachten, hatten die kleinen Fischrestaurants an der Markthalle zu unserer Enttäuschung leider geschlossen, doch bei uns ums Eck gab es eine fantastische Fischsuppe und einen Liter Vinho Verde dazu. Weiter unten am Strand stand ein voller Mond am Himmel, wir liefen über die hölzernen Planken am Wasser entlang, drehten noch eine Runde durch die Gassen und beendeten den Abend auf unserer Dachterrasse. 2.500 Kilometer von zuhause entfernt. Ein voller Mond leuchtete weiterhin über uns. Wir waren angekommen. Nacht.
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Nachdem Pia im nahe gelegenen Supermercado Orangensaft, Croissants, zwei Flaschen Casal Gracia und frische Pasteis besorgt hatte, machten wir uns bei strahlend blauem Himmel auf zum Bahnhof Fuseta-Montcarapacho, der ein paar Schritte weiter hinten am Ortsausgang liegt. Zwei Gleise ziehen sich in die Ferne, eines führt nach Faro, das andere in Richtung spanische Grenze. Unser Weg sollte uns erst morgen nach Faro bringen, heute wollten wir uns ob der Fahrzeiten erkundigen. Das weiß gestrichene und am unteren Ende mit blau-weißen Fliesen versehene Bahnhäuschen harrte einsam und verlassen zwischen Fahrbahn und Gleisen, einzig ein im Winde knarzendes Schild fehlte, um die Verlassenheit akustisch zu untermalen. Die morgigen Abfahrtszeiten schienen passend. Irritierend nur, dass eine Portugiesin in gelber Sicherheitsweste etwas von „greve“ murmelte. Später zeigte sie uns einen digitalen Übersetzer. Streik. Aber nur heute. Ein Passant bestätigte uns dies und zeigte uns zudem die Richtung an, in welche der Zug nach Faro traditionell abfährt. Halbwegs beruhigt, holte ich mir auf dem Rückweg zwei noch warme Rissois de Camarao, bevor wir den Tag vergondelten und am Hafen in der Bar Farol einen Galao tranken. Zuvor hatte Pia am kleinen Stand neben den Fischerhäuschen eines der an der frischen Luft wehenden Sommerkleider erstanden. Wir spazierten am Strand entlang – der Alltag bröckelte wie alter Putz von unserer Seele, eine leise Ruhe zog ein, die Füße im Wasser, den Kopf in den leuchtweißen Wolken inmitten des Azur.
Neben der Markthalle brutzelten Brassen, Doraden oder Sardinen auf den Grills, die Fischerboote lagen still und fest vertaut am Kanal, behelmte Touristen in knallengen Radlerhosen schoben sich an uns vorbei und ich erfuhr, dass am heutigen Tage die Fischrestaurants auch des Abends ihre Gäste versorgen sollten. Pia machte sich derweil auf die Suche nach den in den Romanen beschriebenen Handlungsorten und zeigte sich begeistert , dass es diese tatsächlich auch in der Realität gab. Wir zogen uns für eine Weile auf die Dachterrasse zurück, aus den Boxen erklang leise Cesaria Evora und der Blick fiel über Fuseta und die Ria Formosa. Der folgende Abendspaziergang führte über die Gleise in den Ort und endete bei anbrechender Dunkelheit im Casa des Mestres neben der Markthalle. Wenig später saßen wir bei gegrillten Sardinen, tranken Vinho Verde und blickten auf die sachte am Kanal vor sich hin dümpelnden Fischerboote – und die davor parkenden Autos. Ein vorerst letzter Abend an der Algarve, bevor uns der morgige Tag in Richtung Sevilla bringen würde. So zumindest der Plan.