Für die folgenden Tage verkündete die Wettervorhersage zunehmende Feuchtigkeit – und sie sollte Recht behalten. Doch trotz der vielen Kilometer, die wir gestern durch Barcelona marschiert sind, schälten wir uns aus den Betten und standen schon früh wieder auf der Straße, die sich zu jeder Tages- und Nachtzeit anders präsentierte. Der Himmel drückte grau am zweiten Tag.
Jetzt waren viele Shops geschlossen, die schweren Rollläden mit Graffiti verziert, doch trotz der frühen Uhrzeit waren wir nicht alleine unterwegs, so richtig schien die Stadt nie zu schlafen. Wir frühstückten gemütlich und trieben dann runter ans Meer. Während unten am Hafen einige Yachten im Wasser schaukelten und die Bars und Restaurants eher hochpreisig wirkten, zeigte sich das angrenzende Barceloneta eher düster. In geraden Linien zogen die sich Straßen symmetrisch durchs Viertel, dahinter ergossen sich die Stadtstrände gen Norden. Eine frische Brise wehte uns um die Ohren und wir wussten nicht, ob die nieselnde Feuchtigkeit vom Meer oder vom Regen kam. Die Palmen neigten sich kopfschüttelnd im Wind und das Mittelmeer tobte für seine Verhältnisse mächtig. Wir spazierten die Promenade entlang, am Strand jedoch lag niemand. Immerhin präparierte ihn ein mit Sand beladener LKW, um für den kommenden Sommer angemessen gerüstet zu sein.
Kurz vor dem Olympischen Hafen führte uns der Weg weg vom Meer über den Platz der Olympischen Volunteers am Zoo vorbei in den Parc de la Ciutadella, der uns ein wenig an Mailand erinnerte. Hier wie dort nahmen wir einen Espresso mit Milch, der hier Cortado heißt, blickten auf den See, die Fontänen und den Wasserfall, der von einem Drachen bewacht wurde. Auch hier hatte Gaudi seine Finger mit im Spiel. Vorbei am Castell dels Tres Dragons spazierten wir zum hiesigen Arc de Triomf. Dort fielen uns die grasgrünen Papageien ins Auge, teilweise sogar beringt und ein Verkäufer bunter Luftballons, die heute nicht ganz so begehrt waren. So trieben wir des Tags bis hin zu unserem Viertel, vorbei an der mächtigen Kathedrale, vorbei am malerischen Placeta del Pi, durch die kleinen dunklen Gassen des Gotischen Viertels und auch noch die Altstadt hoch und runter. Keine Straße, kein Weg glich dem anderen und doch ähnelten sich die Gassen auf den ersten Blick. Plätze, Tapasbars, kleine Modeläden, Straßenkunst und Kitsch, Kirchen, Denkmäler, Menschen und irgendwas mit Gaudi – es braucht Zeit, die Nuancen zu erkennen und zu differenzieren. Häufiger verlierst du die Orientierung – und findest sie aber bald wieder, da du an irgend etwas Erinnernswertes vorbei gelaufen bist. Bei mir waren es oft Graffiti. Spätestens an den Ramblas wussten wir wieder, wo wir sind. Alle naslang sausten Roller oder Skateboards in unangemessener Geschwindigkeit an uns vorbei und immer wenn wir einen Abfalleimer benötigten, stand einer in der Nähe.
Nach einem kurzen Abstecher ins Hotel machten wir uns auf den Weg in das den gegenüberliegende Viertel der Ramblas, auf denen reges Treiben herrschte, hie und da spitzte ein Eintrachtadler aus dem Gewühl hervor. Während nördlich der Ramblas, die bei Tag gesehen ein Panoptikum der wuselnden Skurrilität ist, überteuert, überlaufen und überbewerten, gleichwohl reich an zu Beobachteten (wie der Real Madrid-Fanshop. Man stelle sich vor, mitten auf der Zeil stünde ein Fanshop vom 1. FC Kaiserslautern …). Mittig die pittoreske Markthalle Bouqeria und die Oper Lyceu, wirkt das angrenzende Viertel Raval ostendiger, weitaus ärmer, geprägt von Migranten und deren Läden, die sich oft am Notwendigen orientieren. Zwischendrin fällt dir jedoch auch immer wieder ein schickes Hotel oder eine mondäne Bar auf – und es scheint verwunderlich, dass die Gentrifizierung hier noch nicht vollends Einzug gehalten hat. Auch in Raval gibt es eine Rambla, die Rambla del Raval, doch der Trubel ist überschaubar, die Wege sind nicht überzuckert.
Mit einem Dosenbier setzten wir uns auf eine Bank – und nur wenig später erreichte uns die Nachricht, dass die ersten Mitglieder unserer losen Reisegruppe eingetroffen waren und bei einem Bierchen in der Nähe saßen. Wir machten uns auf den Weg und trafen Alex, Kathrin und Olli mit Freunden in einer Gaststätte nahe des Bouqeria Marktes. Die gleichermaßen mehrsprachige wie umtriebige Bedienung hatte ihnen einige Tapas auf den Tisch gestellt, Getränke dazu, während eine andere Mitarbeiterin eifrig die Vorbeiziehenden ansprach, ob sie nicht Platz nehmen wollten. Uns war der Platz nicht ganz geheuer, gleichwohl ein munteres Geplauder uns die trefflich die Zeit vertrieb. Wenig überraschend trieb uns die Rechnung die Tränen in die Augen, doch immerhin gab es eine Flasche quietschgelben Schnaps aufs Haus, die ich brav ignorierte und einen Gutschein für die Markttoilette dazu, den ich alsbald einlösen wollte. Da vor Örtchen niemand zur Stelle war und die Zeit drängte, hüpfte ich mit meinem Bon über die Absperrung. Die Folge war ein kleines Tohuwabohu, welches aber durch meinen Bon souverän geklärt werden konnte. Ging halt nicht anders. Später am Abend nahmen wir noch einen Absacker in der Bahia Bar. Nach einem weiten Rundgang riefen die Füße: Bett. Und so kam es auch.
Am nächsten Morgen, schon war es Mittwoch, regnete es und die Temperaturen fühlten sich auch nicht gerade mediterran an. Immerhin trudelten unsere Tickets via Mail ein, so dass uns eine große Last vom Herzen fiel. Unser Tagesportier zeigte sich willig, diese später auch auszudrucken, von daher spazierten wir guter Dinge samt Regenschirm zum Frühstückscafé am Ende unserer Straße. Alsbald brachen wir auf, um die Gegend rund um die Sagrada Familia zu erkunden. Einige Jahre zuvor war ich sogar drinnen gewesen – bei Sonnenschein. Damals hatte uns ein strahlendes Licht einen unvergessenen Aufenthalt beschert, trotz der sündhaft teuren Eintrittspreise. Jetzt war es grau und nass und die Papageien am Arc de Triomf ließen sich auch nicht blicken. So spazierten wir durch den Regen, fotografierten Straßenkunst, wanderten durch eine überdachte Ausgrabungsstätte, futterten brauchbare Lomos und schlechte Crouqetas, entdeckten in einem Fanshop den Eintracht – Barcelona Spieltagsschal und konnten es kaum glauben. Die Eintracht wird morgen im Camp Nou zu einem Pflichtspiel auflaufen, und wir sind dabei. Schließlich landeten wir dann doch an der weltberühmten Kirche La Sagrada Familia, die seit 1888 gebaut wird und bis heute nicht fertig ist, obwohl gar keine Berliner am Bau beteiligt sind – soweit ich weiß. Aber beeindruckend ist das Gebäude in der Tat, auch wenn beim Blick nach oben Regentropfen in die Augen fielen.
Da Alex und Kathrin in der Nähe waren, organisierten wir uns zusammen und wanderten gemeinsam auf der Suche nach einem Café durch die Gassen. Doch während sonst alle naslang ein Laden zur Einkehr lockte, war es auf unserem Weg wie verhext. Immerhin, irgend etwas geht immer und so saßen wir nach einigen Irrwegen endlich im Trockenen. Ariane, Niko und Zambrine waren mittlerweile ebenfalls gelandet, nur Heike steckte in Brüssel fest. Ihr Flug war überbucht und der nächste ging erst acht Stunden später. Zum Trost bekam sie einen Gutschein. Über 16 Euro. Da ist das letzte Wort auch noch nicht gesprochen. Niko hatte in der Zwischenzeit ein ansprechendes Restaurant für uns reserviert, so dass zumindest der Abend Trockenheit und Geselligkeit versprach. Wir aber setzten unseren Weg fort, hüpften von Ampel zu Ampel bis sich unsere Wege vorerst an der Kathedrale La Seu in der Altstadt von Barcelona trennten. Während sich Alex und Kathrin auf die Spuren Gaudis begaben, kauften Pia und ich bunte Strickhüte, um wenigstens ein bisschen Farbe ins Spiel zu bringen. Es wurde ein voller Erfolg, zumal auch die Verkäuferin einen fröhlichen Eindruck machte. Wir hatten jetzt endlich Tickets für das Spiel, bunte Hüte und die Aussicht auf einen schönen Abend. Dass wir nach ein paar Metern noch unter großem Hallo auf die Museumsgang trafen, ließ die Augen leuchten. Beschwingt wandelten wir noch ein paar Gassen hoch und runter, bis wir uns nach einem Päuschen in der Unterkunft auf den Weg nach Raval machten.
Mittlerweile waren die Ramblas schon fest in Frankfurter Hand, Fangesänge schallten herüber, wir aber trafen uns an den kleinen Ramblas in Raval. Ein paar Drogendealer an der Ecke machten eher unangenehm auf sich aufmerksam, wir ließen uns davon nicht groß beeindruckten und schwatzten, bis das Abendessen rief und wir um die Ecke im O’Toxo Tres Hermanos unsere Plätze einnahmen. Im Laden war mächtig Betrieb, der Service hatte alle Hände voll – und verlor dabei weder die Übersicht, noch das Lachen. So hockten wir alle beisammen, die sonst auch in Frankfurt beisammen sind, Thomas kam noch dazu und nicht nur er, und schon standen Paellas, Tomatenbrote oder Tintenfische auf dem Tisch und die Canas wie die Weinflaschen kreisten. Sogar Heike hatte es jetzt endlich geschafft und Brüssel hinter sich gelassen. Mit den Worten: „So froh wie heute, war ich noch nie, euch zu sehen“ fiel sie auf ihren Sitz. Später tranken wir Bier in der London Bar, derweil ich jedem, ob er/sie es hören wollte oder nicht in voller Überzeugung erklärte, dass wir morgen Abend gewinnen werden. Sogar mysteriöse Schatzkisten wurden geöffnet, die Gläser von unten beleuchtet – ein schöner Abend neigte sich dem Ende entgegen und da ich den morgigen Tag nicht mit Kopfschmerzen beginnen wollte, brach ich erstaunlich früh meine Zelte ab.
Barcelona Teil 1