Wir laufen den sonnigen Weg von der S-Bahn Haltestelle Stadion hoch zur Wintersporthalle, es ist Ostersonntag, die Parkplätze sind wegen der Osterurlauber, die ihren Wagen hier ob des nahen Flughafens geparkt haben, nahezu alle belegt. Nicht jeder Rückkehrer wird sich freuen. An zwei sündhaft teuren Mercedes fehlen die Scheinwerfer. Geklaut.

Wir jedoch konnten unseren Dacia in der Tiefgarage im Stadion parken – aber die Wahrscheinlichkeit, dass irgendjemand an unserer Kiste Teile demontiert, ist wirklich gering. Eher legt noch ein Mitleidiger etwas dazu. Da der Eingang am Gleisdreieck wider Erwarten geschlossen hat, kommt uns Pauline vom Eintracht-Museum mit einem mächtigen Schlüsselbund entgegen. Vor zwei Tagen saßen wir noch zusammen in einer Strandbar in Castelldefels, 20 Kilometer von Barcelona entfernt. Aufgebrochen sind Pia und ich eine Woche zuvor. Zum Auswärtsspiel der Eintracht im Camp Nou gegen den großen FC Barcelona. Was dann geschah, lässt sich in Worten kaum schildern. Ich versuche es dennoch – und dies ist unsere Geschichte, erzählt mit heiserer Stimme.

Dass wir den Dacia in der Tiefgarage des Stadions parkten, lag daran, dass wir vor einer Woche beim späten Heimspiel der Eintracht gegen den SC Freiburg noch einiges zu tun hatten – und unser Flieger an jenem 10. April 2022 um 21:00 Uhr von Frankfurt aus starten sollte. Also rollten wir vergangene Woche in den Frankfurter Stadtwald, parkten den Dacia neben Maserati und Porsche und standen eine Stunde später auf unserer kleinen Waldtribüne. Wir sprachen mit Gerre von Tankard über die Tatsache, dass tatsächlich ein Fossil nach ihnen benannt wurde: Ophiura Tankardi heißt es und ist eine Schlangenstern-Art, die vor etwa 30 Millionen Jahren existierte. Dann plauderten wir mit Egon Loy und Istvan Sztani, zwei Helden der Meistermannschaft von 1959 über die eigentlich zu kleine Meisterloge im Stadion und einiges mehr. Anschließend guckten wir uns die erste halbe Stunde des Spiels an und mit der Führung der Freiburger verließ ich unseren kleinen EFC, traf unterwegs Pia, die es auch nicht mehr auf ihrem Platz gehalten hatte und gemeinsam schnappten wir unser sehr überschaubares Reisegepäck, welches im Museum zwischen lagerte, wanderten vor zum Tor 3, organisierten uns zur Feier des Tages ein Taxi und rollten fünf Minuten gemächlich zum Airport. Natürlich waren wir wie immer viel zu früh. Egal, Europacup in diesem Jahr. Während wir aufs Boarding warteten, gelang der Eintracht zwar der Ausgleich, doch der eingewechselte Nils Petersen traf wie immer gegen uns und da Kamadas vermeintlicher Ausgleich nicht zählte, hatte die Eintracht wieder mal ein Spiel verloren, dass sie nicht hätte verlieren müssen. Kurz darauf erklang eine Durchsage, dass der Flieger ausgebucht sei und wir Handgepäck kostenfrei aufgeben können, um Platz in den Fächern zu schaffen. Die beiden Damen am Schalter hatten alle Hände voll zu tun und als wir an die Reihe kamen, wurden wir angeraunzt, dass der Aufruf jetzt schon 20 Minuten her sei und für solche Späße nun keine Zeit mehr sei. Während eine der beiden Lufthanseatinnen kurz davor war, die Nerven zu verlieren, hatte die andere verstanden, dass wir seit jenen 20 Minuten warteten und keinerlei Chance zur Aufgabe hatten – und nahm nonchalant unser Gepäck an. Derart erleichtert schoben wir uns ins Flugzeug, fielen auf unsere Plätze – und schwebten kurz darauf mit ein paar Minuten Verspätung durch die dunkle Nacht. Barcelona – wir kommen.

Als wir landeten und uns Richtung Ausgang schoben, lag unser Gepäck schon auf dem Laufband. Niemand wollte unseren Ausweis sehen, auch der Corona-Nachweis interessierte niemanden zu später Stunde. Nur wenig später standen wir in der dunklen Barceloneser Nacht. Sogar der Nachtbus stand schon bereit, eine junge Spanierin erklärte uns freundlich, dass wir beim Fahrer bezahlen können, was wir auch brav taten und schon rollten wir durch Barcelona, vorbei am am Plaça d’Espanya, an dem ich vor sieben Jahren schon einmal stand, und hielten final am Plaça de Catalunya. Von dort aus waren es nur wenige hundert Meter bis zu unserer Unterkunft in der Altstadt. Wir hatten großen Respekt vor den hiesigen Strauchdieben an den Ramblas, passten auf unsere Sachen auf wie die Schießhunde und fanden unsere Unterkunft durch dunkle Gassen an endlosen Graffiti vorbei streifend ohne Umwege und Verlust. So checkten wir ein und bezogen unser Zimmer, welches dankenswerter Weise nach hinten raus ging und nicht dem lärmigen Treiben auf der Carrer d’Avinyó ausgesetzt war. Mittlerweile war es knapp 1:00 Uhr – doch um die Ecke am Plaça George Orwell hatte in der dunklen Sonntagnacht noch eine Kneipe geöffnet. So nahmen wir im Bahia noch einen Absacker im hinteren Eck, während vorne gut gelaunt ein paar junge Leute tanzten und fielen anschließend todmüde ins Bett. Wir hatten es geschafft, kein Corona hat uns den Flug versaut, kein Streik und kein Dieb. Und wir ließen zunächst auch die Finger von den Bierdosen, die uns findige Händler andrehen wollten, da öffentlicher Alkoholverkauf nach 23 Uhr außerhalb der Bars verboten ist.

Der nächste Morgen trieb uns schon früh auf die Straße, wir besorgten uns in einem kleinen Laden, der für die nächsten Tage unser Frühstücksdomizil werden sollte, Café con leche und Schokocroissants, wanderten hoch zum zum Plaça de Sant Jaume, wo die Touristen-Information allerdings ihre Pforten für immer geschlossen hatte. Die Stadt erwachte langsam, Souvenirläden öffneten ihre Türen, die kleinen Gassen voller Graffiti jeglicher Couleur, Tapas Bar drängte sich an Tapas Bar und wir spazierten runter zum Hafen, vorbei an der Columbus-Statue, besorgten uns an den Ramblas einen Stadtplan und in einem Tabakladen eine 10er Karte für die Öffentlichen und wanderten hoch auf den Montjuïc, Barcelonas Hausberg. Die Gondeln der Hafenseilbahn schwebten in luftiger Höhe über uns, wir blickten über das Hafengebiet und machten uns auf den Weg in Richtung Olympiastadion. Auch hier war ich vor ein paar Jahren schon, damals mit der Fan-geht-vor Winterreise. Wo wir seinerzeit allerdings nicht gewesen sind, ist das Piscina Municipal de Montjuïc, an welchem wir jetzt eher zufällig vorbei schlenderten – und das mir bis zu jenem Moment auch gänzlich unbekannt war. Eigentlich fiel unser Blick nur durch den Eingang auf die Bar, die dahinterliegenden Tribünensitze und dahinter auf blau schimmerndes Wasser. Jenseits des Wassers liegt Barcelona. Wir marschierten hinein.

Und ich muss sagen, dieser Ort ist einer der fantastischsten in der ganzen Stadt. Salsa und Fado erklangen aus den Lautsprechern, Menschen hockten auf den Terrassenplätzen bei Tapas und Cerveza und vor uns offenbarte sich unterhalb der Tribünen ein 25-Meter Becken, links daneben ein 10-Meter Turm samt Tauchbecken und unten in der Tiefe erstreckte sich Barcelona, ein Häusermeer und Straßengewimmel bis sich am Horizont grün bewachsene Berge abzeichneten, in deren Höhe winzig klein eine Kathedrale thronte. Wir erkannten in der Stadt die Sagrada Familia, die Häuserdächer versprachen das mediterrane Leben einer ganzen Stadt. So saßen wir in der Sonne, ließen die Blicke schweifen und konnten uns an dem Ausblick kaum satt sehen. Die verstorbene Cesária Évora sang dazu über Sodade, die Sehnsucht ohne Ende und über ihre Heimat Kap Verde.

Dort oben am Himmel bist du ein Stern der nicht glänzt

Hier im Meer bist du ein Sandkorn das nicht nass ist

Verstreut in der Welt draußen

Nur Felsen und Meer.

Später nahmen wir ein paar Schritte weiter oben in der kleinen Wirtschaft Bocadillos und Estrella und genossen einen ähnlichen Blick auf die katalanische Metropole. Ich wünschte mir, ich könnte von der Kathedrale droben am Berg auf uns hinunter blicken, doch schien es nur ein Traum im Traum. Wir wanderten weiter, vorbei am Museum des berühmten katalanischen Künstlers Joan Miró bis hin zum Olympia Stadion, welches leider verschlossen war, hockten uns auf die Stufen des Haupteingangs und wussten nun, dass im Piscina Municipal de Montjuïc 1992 das olympische Turmspringen statt gefunden hatte und das Video zu Kylie Minogues Slow dort gedreht wurde.

Vom Stadion aus schlenderten wir zum Nationalpalast, blickten auf den Plaça d’Espanya, während die Schwarzhändler ihre Angebote hastig zusammen packten, da die Polizei im Anmarsch war. Zu Pias Enttäuschung lagen auch die Fontänen weiter unten brach, dafür konnte die Polizei jedoch nichts. Dennoch hatte sie (also Pia) zwischendrin ausfindig gemacht, wie man zur vom Schwimmbad aus gesehenen Kathedrale auf der anderen Seite der Stadt kommt. Wir sprangen in die nächste Metro, stiegen einmal um und nach nicht einmal einer Stunde standen wir am Fuße des Tibidabo, dem zweiten Hausbergs Barcelonas. Der Fußweg führte uns steil nach oben, vorbei an prächtigen Villen mit noch prächtigerem Ausblick, bis wir an der Seilbahn landeten, die uns ganz nach oben führen sollte. 12 Euro pro Person waren ein stolzer Preis, doch da wir es jetzt schon bis hier hin geschafft hatten, wollten wir auch die letzten Meter bis zur Kathedrale mitnehmen. Der ältere Mann, der uns das Prozedere freundlich und zuvorkommend erklärte, blickte uns dabei an und fragte verschämt nach unserem Alter. Als er die Antwort bekam, bekundete er, dass unsere Tickets nicht am Automaten erhältlich seien, er aber oben beim Tourist Office anrufen würde und wir uns dort melden sollten. Wir wunderten uns, lösten zwei Tickets zu je 12 Euro, setzten uns in die führerlose Seilbahn und wurden nach oben gezogen. Dort angekommen, thronte die Spitze der Kathedrale im Nebel, ein mächtiger Wind pfiff uns um die Ohren und zu Füßen der Kirche lag ein Vergnügungspark samt Karussell und Riesenrad – ein surrealer Anblick. Wir suchten das Tourist Office auf, die junge Dame an der Rezeption wusste schon Bescheid, ließ sich unsere Ausweise zeigen – und wir bekamen von den gezahlten 24 Euro sage und schreibe 17 zurück. Seniorentarif. Das erste Mal in meinem Leben bekamen wir Seniorentarif– und schwankten zwischen Fassungslosigkeit und Freude. Tja Freunde, eben noch rannten wir mit der Trommel um den Christbaum – jetzt schon sieht die Welt anders aus. Wir ließen uns den Wind um die Nase wehen, sahen jetzt den Montjuic und das Meer in weiter Ferne, dort wo wir eben noch von dem Blick träumten, der nun wahrhaft geworden ist. Seniorentarif!

Wir nahmen die Seilbahn wieder nach unten, hockten uns in einen (im Preis inbegriffen) Bus, der uns noch weiter in die Stadt brachte und wanderten recht durchgefroren durch Barcelona, durch Eixample und Garcia – bis wir wieder im gotischen Viertel landeten. Später trieben wir noch durch die Gassen auf der Suche nach einer Taverne, hatten aber kein Findglück und nahmen bei uns ums Eck noch eine kleine Mahlzeit, anschließend im Bahia noch ein Bier. Nach letztlich 41.000 Schritten fielen wir in die Koje und träumten einen traumlosen Schlaf. Denn dieser Tag wurde zur fantastischen Wirklichkeit. Es sollte nicht die letzte werden, soviel sei versprochen.

Barcelona Teil 2

Barcelona – Matchday

Barcelona Teil IV