Und dann war er gekommen, der Tag auf den alle Eintrachtler seit Wochen fixiert waren, der Tag, an dem die Eintracht Geschichte schreiben würde. Das 1:1 im Hinspiel gegen den großen FC Barcelona barg in sich das Versprechen auf eine magische Nacht im Camp Nou.

Unser Kontingent belief sich auf 5.000 Tickets. Eigentlich eine ordentliche Zahl. Und sie entsprach exakt den Vorgaben, dass fünf Prozent der Stadionkapazität an Gästefans gehen sollten. Mehr Karten jedoch hatte Barcelona nicht raus gerückt, obgleich im durchaus spannenden Achtelfinale gegen Galatasaray nur um die 60.000 Zuschauer das letztlich glanzlose 0:0 sehen wollten. Erst im Rückspiel in Istanbul konnten sich die Blaugrana knapp mit 2:1 durchsetzen. Es war wenig verwunderlich, dass das Interesse der Eintrachtfans gigantisch sein würde. 12.000 Zuschauer in Bordeaux im November 2013 setzten ein Zeichen und die 15.000 im Mailänder Giuseppe Meazza Stadion im Mai 2019 noch einen drauf. Der Verein, der sich selbst Més que un club, mehr als ein Club, sieht, hätte gewarnt sein müssen. Auch sportlich war das 1:1 im Hinspiel kein Ruhmesblatt, nur mit viel Glück rettete Barcelona das Remis gegen am End zehn Frankfurter, nachdem Tuta Gelb-Rot gesehen hatte. Die Eintracht hätte mit 2:0, gar 3:0 in Führung liegen können, vergaß aber bei allem Einsatz das Toreschießen. Vom schlechten Frankfurter Rasen war die Rede – auf dem die hochspezialisierten Künstler des FC Barcelona ihre Stärken nicht ausspielen konnten, ganz anders würde die Sache im Rückspiel aussehen. Vielleicht hatte Stephan Reich Recht, der nach dem Hinspiel erklärte, dass das 1:1 vielleicht sogar besser als ein Eintracht-Sieg sei. So könnten sich die Katalanen in trügerischer Sicherheit wiegen und der Tiger war nicht gereizt. Ich begann mich, mit diesem Gedanken anzufreunden.

Und es kam, was kommen musste. Tausende Eintrachtfans versuchten sich über alle Kanäle Karten für das Spiel zu sichern, kontaktierten alle und jeden, die über spanische Kreditkarten verfügten, verschleierten ihre Internet-Identität und mit jeder Woche sickerten neue Zahlen durch. War zunächst von 10.000 Eintrachtlern die Rede, so geisterte eine Woche später schon die Zahl 20.000 durch die Gazetten und kurz vor Abreise hieß es, dass sich 30.000 Eintrachtfans auf den Weg nach Barcelona machen würden. Die Ticketpreise stiegen mit jedem Tag, der mit über eine Milliarde Euro verschuldete Club witterte Geldluft, Ticket für Ticket ging an den Mann resp. die Frau, Tickets, welche sich die Barcelonafans mit Leichtigkeit selbst hätten organisieren können. Denn es waren Dauerkarten, die in den öffentlichen Verkauf gingen. Und die Adler reisten auf allen denkbaren Wegen an, ob jemand nach Barcelona gelaufen ist, weiß ich nicht. Aber sie flogen direkt, machten Zwischenstopps in Amsterdam, Brüssel, Dublin, Mallorca, Luxemburg, Zürich, quetschten sich in geliehene Autos, unterbrachen ihren Urlaub – von einer Invasion zu sprechen verbietet sich, aber aus allen Himmelsrichtungen flogen die Adler nach Barcelona – und als Més que un club ahnte, was geschah, war es zu spät. Dass auf vielen Tickets noch das Champions-League-Logo prangte, zeugte zwar vom Selbstverständnis des Clubs, aber auch von Respektlosigkeit und es verdichteten sich die Zeichen, dass Hochmut vor dem Fall kommt. Als ich am Spieltag erwachte, war ich von einem Sieg der Eintracht überzeugt. Was dann aber am späten Abend im Camp Nou wirklich geschehen sollte, davon hatte ich jedoch keine Vorstellung. Es war Més que un somni – Mehr als ein Traum. Més que un somni de blanc.

Da ich am Vorabend brav geblieben bin, kamen wir rechtzeitig aus den Federn, frühstückten und brachen dann zu Fuß auf in Richtung Park Güell – ohne jedoch zwingend hinein zu wollen. Heike und Zambrine begleiteten uns, die Sonne lachte, der Regen hatte sich verzogen. Wir trafen uns am Opernhaus an der Haltestelle Lyceu, wanderten über den Plaça de Catalunya in Richtung des Parks, begegneten hie und nach noch einem Eintrachtler, deren Großteil sich an den Ramblas auf das Spiel einstimmten, spazierten durch Exaimple, vorbei an Hugo Boss und Tiffanys und sammelten unterwegs noch Frank ein, der sich vom Flughafen direkt ins ins angrenzende Viertel Garcia aufgemacht hatte. Hier oben war es nicht so trubelig wie rund um die Ramblas, unaufgeregt lebte hier der Tag. Die letzten Meter führten steil bergauf, Heike zählte 155 Stufen, ich nahm die Rolltreppe. #Seniorenrabatt. Oben angekommen blickte wir auf die Kathedrale in Tibidabo, die jetzt in gar nicht so weiter Ferne lag und wanderten einmal ums weite Rund. Menschenmassen standen Schlange, um sich den Einlass in den Park zu sichern. Wir hingegen warfen eine kurzen Blick nach oben und einen weiteren nach unten, wo sich die Häuserdächer Barcelona bis hin zum Meer erstreckten. Vorbei an wilden Graffiti schoben wir uns wieder die Wege nach unten und fanden an einem schönen Platz unweit der Straße Carrer de les Tres Senyores! einen freien Tisch. Zeit für die letzte großen Pause vor dem Auswärtssieg. Die Sonne strahlte auf uns herab, als hätte sie eine Ahnung ob dessen, was noch kommen sollte.

Unten in der Stadt trennten wir uns für‘s Erste, die einen verschwanden in Raval, wir in unserer Carrer d‘Avinyo, nur um uns in einer guten Stunde wieder zu treffen. Jetzt liefen die Ramblas über vor Eintrachtfans, alle in weiß, wie das Motto zu dieser Fahrt lautete. Ich bin ja eigentlich kein Freund solcher Mottofahrten – und hatte mich seinerzeit dem „Alle in orange“ in Bordeaux verweigert, auch weil unsere Farben schlicht Rot-Schwarz-Weiß sind. Aber da Weiß nun mal zu unserer Eintracht gehört und zudem die Tatsache, dass Real Madrid, der Erzfeind der Katalanen, in Weiß spielt und ergo das Motto eine dezente kleine Provokation unseres Gegners ist, entschied ich mich dann doch für mein weißes Hemd. Eigentlich steht mir Barcelona auch aus politischer Sicht näher als Real, dem einstigen Verein des Faschisten Francos, doch heute ging es ausschließlich um die Eintracht. In den Taschen das Nötigste, meinen weitgereisten rot-schwarzen Schal um den Hals ging es los. Eintracht Frankfurt international!

Wir wanderten zunächst mitten ins Geschehen, Oli, Steffen und Barbara zogen mit Apfelweinkanister durch die Ramblas, überall ein Gude hier und Gude da. Hier traf ich Martin Fenin, der mit seiner Frau unterwegs war (und nachts von enttäuschten aber assigen Blaugrana verprügelt wurde), dort Helga, die mir stolz ihren neu erworbenen Frauenschal Barcelonas zeigte, bis wir uns an der Station Lyceu schon früh ins Camp Nou aufmachten und den Fanmarsch links liegen ließen. Alex war dabei, Alexej, Heike, Kathrin, Zambrine und natürlich Pia, mit der ich schon so viel erlebt hatte und hoffentlich noch viel erleben werde. Wir rauschten mit der Metro bis hoch zur Station Palau Reial an der Avinguda Diagonal – und nun lag das mächtige Camp Nou nur einen Steinwurf von uns entfernt. Der Spieltag erwachte zum Leben, Barca-Fähnchen wehten an Souvenirständen im Wind, die Rambla del Barca führte in ein Labyrinth bunter Marketingkultur, die wir ignorierten, spazierten ums Stadion und trafen auf eine Straße voller Bars, in denen sich die Fanlager bei Cerveza und Fritten, Boccadillos und gebratenen Garnelen auf das Spiel einstimmten. Wir besorgten uns Getränke und Lebensmittel, hockten uns auf einen Platz weiter unten, hie und da ein großes Hallo, bis wir uns wieder zum Stadion hochschoben. Und weiter gab ich zum Ausdruck, dass die Eintracht heute gewinnt. Wir sollten uns da keine Sorgen machen. Ich war überzeugt. Und wie sagte Niko Kovac vor dem Pokalfinale 2018? Du musst dran glauben, denn wenn du nicht daran glaubst, dann wirst du es auch nicht schaffen. Und ich glaubte daran. Aus den Tiefen meines Herzens wusste ich, dass Eintracht Frankfurt heute Geschichte schreiben würde. Ein letztes Dosenbier auf den Stufen vor dem Eingang zum Block 19, dann mahnte Pia zum Aufbruch. Die Erfahrung aus Porto zeigte, dass es mehr als sinnig ist, noch vor der Ankunft der Masse im Stadion zu sein – manch selbsternannter Weltverein führt sich in vielen Belangen derart dilettantisch auf, dass überall mit allem zu rechen ist. Und so marschierten wir zusammen zu unserem Eingang. Auswärtssieg.

Wir hatten Karten im Fanblock ergattert, ganz oben in unserer Kurve und ich war gespannt auf die Plexiglasscheiben, welche die Sicht aufs Spielfeld beeinträchtigen sollen. Nach ein paar Minuten des Wartens öffneten sich die Pforten, wir schoben uns andächtig in Richtung Kontrolle, die überschaubar und nicht zu beanstanden war – sogar der Code auf den Tickets war gültig, wir hatten es geschafft. Steil ging es Meter um Meter auf grauem Boden nach oben, 100er Blöcke, 200er, 300er, 400er, bis wir die finale Ebene erreichten und ins unseren Block eintraten. Schnell wanderten wir in die allerletzte Reihe und blickten ins weite Rund und darüber hinaus. Ausgebleichte rote Sitze und ein große Scheinwerfer-Reihe fielen ins Auge, linker Hand bildeten gelbe Sitze den Schriftzug „FC Barcelona“ gegenüber formten sie „Rakuten“ und hinter der Anzeigetafel streckten sich Häuser in die Höhe und wiederum dahinter die grünen Hügel, von denen wir ein paar Tage zuvor über die Stadt geblickt hatten. Rechts von uns zogen sich die ovalen Tribünen in die Höhe und Tausende Eintrachtler schoben sich die Blockstufen hinauf und konnten ihr Glück kaum fassen. Es war unwirklich, die Eintracht und wir in Barcelona. Im Camp Nou. Die Plexiglasscheibe störte uns nicht wirklich, der Blick war weit und klar und der Rasen lag winzig klein unter uns, im Anstoßkreis das UEFA-Logo. In gut zwei Stunden sollte der Anpfiff erfolgen, Frank kam zu uns und mein Neffe Timm, der, als er noch klein war, bittere Niederlagen gegen Cottbus und co erlebte und jetzt neben mir und Pia stand und vor Freude strahlte. Susi gesellte sich zu uns in die Höhe, neben ihr Andrej oben spazierte Basti vorbei, der so zu kämpfen hatte, Cino entdeckte mich und viele weitere kurze Begegnungen ergaben sich, deren Aufzählung den Rahmen sprengen würde. Hinter uns standen zwei junge Ordner:innen, einer davon Fan des FC Valencia, sie ließen uns kurz hinter die Absperrung klettern, um die Szenerie am Eingang zu fotografieren – später waren die beiden verschwunden – und wir organisierten uns selbst. Noch waren nur wenige Anhänger von Barcelona im weiten Rund und langsam hob ein erster Support an, der sich bis Mitternacht ziehen sollte. Oh Eintracht Frankfurt, schalalalala, Oh Eintracht Frankfurt …. Überall im Stadion verteilten sich nun die weißen Punkte – und es waren viele. Sehr viele. Oh Eintracht Frankfurt, schalalalala …

Allmählich ging die Sonne unter, mit jeder Minute änderte sich das Farbenspiel des Himmels, über uns ein Wolkenspiel bis hin zur dunklen Nacht, das Flutlicht gleißte nun in die Finsternis, ter Stegen wurde beim Warmmachen ausgepfiffen, Kevin Trapp hingegen frenetisch gefeiert. Andere Spieler Barcelonas ließen sich im Gegensatz zur Eintracht lange nicht blicken. Die Anzeigetafel verkündete in Gedenken an die Ukraine: Peace. Doch für die nächsten zwei Stunden sollten wir alles vergessen – wir versanken im Hier und Jetzt, in der Extase des Momentes, wir sangen und brüllten und strahlten, die Welt bestand aus uns, aus Eintracht Frankfurt und alles verschmolz zu einer gigantischen Wucht in Weiß.

Anpfiff, keine vier Minuten später wurde Lindström gelegt, kurze Irritation und dann die Gewissheit: Elfmeter für Eintracht Frankfurt. Ungläubiges Staunen. Kostic legte sich den Ball zurecht – und lief auf die Ränge der Barca-Fans zu, deren wenige Fahnen, meist in den katalanischen Farben, in der Kurve wehten. Dann lief er an, unser Mann mit der 10, und pfefferte die Kugel ins rechte Eck, pfefferte sie ins Herz Barcelonas. Die Eintracht führte, wir fielen ungläubig übereinander und sangen und tobten und brüllten, zwei, drei Fackeln flammten auf, ein Moment, geformt aus einem Traum. Während der folgenden 90 Minuten wurde Barca bei fast jedem Ballkontakt ausgepfiffen, während jeder noch so kleine Ballgewinn bejubelt wurde, wie sonst nur ein Tor. Weiter, immer weiter. Barcelona zog sein Spiel über Außen auf, doch die besseren Chancen konnte die Eintracht für sich verbuchen. Rode warf sich wie Hinteregger in jeden Ball, Touré, der für den gesperrten Tuta ins Spiel gekommen war, kämpfte mit großem Herzen, die Minuten verrannen schneller als gedacht. Und dann kam Raffael Borré, ein Schlenker – und Millisekunden später zischte der Ball aus 20 Metern unter die Latte und die Eintracht führte mit 2:0, ein Traumtor, die Kurve und der weiße Rest explodierte. 35 Minuten gespielt und wir fühlten uns wie in einer von Dali gezeichneten Illusion und murmelten unentwegt, das gibts doch nicht, das gibt‘s doch nicht, als beinahe noch das 3:0 gefallen wäre, Knauff schob knapp vorbei. Halbzeit. Erinnerungen an das Pokalfinale lebten auf, doch allen war klar, dass hier noch nichts gewonnen ist. 45 Minuten noch einmal alles geben.

Und wir gaben alles. Oben auf den Rängen, unten auf dem Rasen. Mittlerweile hatte der harte Kern der Blaugrana seine Plätze verlassen, es wehten keine Fahnen mehr hinter dem Tor, in dem nun Kevin Trapp stand. Später stellte sich heraus, dass es ein Protest gegen die Clubführung ob der massenhaft im Stadion anwesenden Eintrachtfans war. Diese mussten die Luft anhalten, Aubameyang hatte die Chance zum Anschlusstreffer, Dembelé wirbelte und Trapp musste gegen Aubameyang alles geben, doch die Eintracht konnte sich immer wieder befreien, setzte Nadelstriche. Die Barca-Fans hingegen versammelten sich wieder hinter dem Tor. Anschließend war das Spiel unterbrochen, niemand wusste zunächst was los war, erst hieß es Videobeweis und eventuell Elfer für Barcelona – bis durchsickerte: Technische Probleme beim Schiedsrichtergespann. ESS GEE EEE tönte es zeitversetzt. Nach fünfminütiger Unterbrechung ging es weiter, die Nachspielzeit schien endlos zu werden. Kostic aber war am wachesten von allen und kosticte aus dem Nichts den Ball ins Netz und der Treffer zählte. Die Anzeigetafel verkündete das 0:3. Für Eintracht Frankfurt. In Barcelona. Und wieder explodierte alles in Weiß und es wurde laut und lauter und dann schallte es aus 30.000 Kehlen in Barcelona: Einer geht noch, einer geht noch rein. Und wir hatten Chancen auf das 4:0. „So ein Tag, so wunderschön wie heute“ erklang es im weiten Rund. „Jawoll“ brüllten wir und „Weiter“ und genossen jede Sekunde. Immer wütender wurden die Angriffe Barcelonas und immer war irgendwo ein Hinti, ein Touré ein Rode, ein Kamada, ein Jakic. Kurzzeitig setzte der Support aus, erst schoben sich Fragezeichen ins Hirn, dann sahen wir Sanitäter im Block, jemand hatte sich verletzt, doch alsbald schien alles gut zu sein und wir brüllten weiter. Es folgte der kleine Schock. Tor für Barca. Doch es sollte nicht zählen. Erleichterung, denn wir wussten ob der langen Nachspielzeit und wir wussten auch, dass vor dem finalen Abpfiff noch nichts gewonnen war. Und in der Tat: Neun lange Minuten sollten nachgespielt werden – und schon in der ersten Minute der Nachspielzeit fiel doch das erste Gegentor. Nur noch 1:3. Jetzt mengte sich in die traumhafte Freude die Befürchtung, das Spiel doch noch aus der Hand zu geben, Barcelona witterte Morgenluft, rann an, vergab, die Sekunden versickerten in endloser Langsamkeit, die Anhänger Barcas verließen in Scharen das Stadion, wir hielten die Luft an und brüllten dennoch: „Eintracht“! 95 Minuten gespielt, 96. 97. „PFEIF DAS DING AB“. Und der Schiri pfiff. Allerdings nicht ab, sondern Elfmeter für Barcelona. Und zeigte N‘Dicka zum zweiten Mal Gelb und damit Rot. Trapp wird ihn halten, den Elfer. Oder? Und er hält. Doch nicht. 2:3. Die Eintracht zu zehnt. Anstoßgebete zum Himmel. Doch unmittelbar nach dem Anstoß pfiff Schiedsrichter Soares Dias das Spiel nach 102 Minuten ab. 102 Minuten für die Ewigkeit. 102 Minuten, die niemand, der hier dabei war, jemals vergessen wird. So wie Timm. Und Pia. Wir fielen uns in die Arme. Eintracht Frankfurt hatte im Camp Nou gegen den FC Barcelona mit 3:2 gewonnen. Und steht im Halbfinale. Die Reise geht weiter. Zu West Ham nach London. Es war unfassbar. Und es war eine Demütigung für Mes que un club. Eine Demütigung, deren Tragweite erst in den nächsten 48 Stunde bewusst wurde. Und wir machten die Nacht zum Tag, den Tag zum Traum. Die Stadionsprecherin verkündete, dass wir noch im Stadion bleiben sollten, aber niemand in Weiß dachte daran, dass Camp Nou zu verlassen. Wir feierten die Mannschaft, wir feierten uns, aus allen Ecken strömten tausende weiße Punkte in die Kurve, „Schwarz-Weiß wie Schnee“ hallte es durchs weite Rund, die Eintracht lief ihre Runde, kam in die Kurve und alles war außer Rand und Band. Aus 30.000 Kehlen erklang „Im Herzen von Europa“, die Minuten sausten nur so vorbei. Kurz, wir drehten durch, voller Glückseligkeit, friedlich, gefüllt mit ausgelassener Fassungslosigkeit. Kostic kam alleine in die Kurve, präsentierte sein Trikot mit der 10 wie einst Messi, der nun in Paris kickt und warf es in die Menge. Hinteregger kam raus und am End noch der gefeierte Oliver Glasner und divte auf dem grünen Rasen des Glücks. Mittlerweile wurden wir mehrfach aufgefordert zu gehen, doch wir blieben, bis uns die Energie ausging.

Ein letzter Blick ins Stadion, in die Nacht der Unfassbarkeit, dann schoben wir uns nach unten. Timm verabschiedete sich. Onkel und Neffe hatten Großes erlebt und wir wussten, dass uns dieses Erlebnis bis in alle Ewigkeit verbinden wird. Eine seltsame Ruhe setzte ein, ähnlich wie nach dem Pokalsieg. Wir ahnten, dass wir Zeit brauchen würden, dass Erlebte zu verarbeiten. Dass wir eben nicht geträumt, sondern gelebt hatten, ausgesetzt den Emotionen des Moments, der für immer gefrorenen Zeit des Augenblicks. Beim Abgang traf ich Andi und Jürgen, unsere beiden U-19 Trainer. „Seht ihr, ich hab‘s euch doch gesagt“. Sie grinsten – und mussten schon morgen um 16 Uhr das Training unserer U-19 leiten. Auch wenn das Leben weiter geht. Dieser Abend hat sich tief in unsere Herzen gegraben.

Später saßen wir in der vollgepfropften U-Bahn, die uns an die Ramblas brachte, aufgewühlt, glücklich und voller Ungläubigkeit. In der London Bar tranken wir ein paar Bier, unsere Museumskollegen kamen einee/r nach dem andern vorbei und für alle war es eine Night to remember. So flossen wir durch die Nacht, bis die Bar um drei ihre Pforten schloss und wir weiter auf die Ramblas zogen. Ich brachte Pia noch kurz nach Hause, traf später auf dem Platz ein und es wurde ein einziger Taumel aus Gesängen und Menschen und Bier und Glück. Und hier traf ich auch endlich Familie Minden, wie immer, wenn ich in Europa unterwegs bin. Damit hatte sich der Abend gerundet, wir quatschten und sangen, bis uns die Polizei gegen fünf massiv vom Platz trieb – und ich die letzten paar Meter ins Hotel dackelte, den rot-schwarze Schal um den Hals gewickelt und in meiner Glückseligkeit ein bisschen zu unvorsichtig im Überschwang. Am nächsten Morgen brachte ich kein Wort raus. Ich war heiser. Aber glücklich.

Barcelona Teil I

Barcelona Teil II

Barcelona Teil IV