Der Blick aus dem Fenster verheißt einen weiteren grauen Tag, natürlich läuft Musik. Es läuft immer Musik. Leider schon lange kein Vinyl mehr, der Plattenspieler wackelt, so ich über den Boden laufe, die Nadel springt. Das war eine der Enttäuschungen, als wir vor bald neun Jahren in die neue Wohnung gezogen sind. Voller Vorfreude hatte ich die die alten Platten einsortiert, den alten Plattenspieler angeschlossen – und dann das. Dann halt digital. Digital wackelt nicht.

You ain’t travelling in the summer
Like you travel in the night
Your meeting with the morning
Is not like leaving the sunset light

singt Sophie Zelmani in ihrem Song Travelling. Der Song stammt aus dem Jahr 2007 – damals dachte noch niemand daran, dass Reisen abhängig wird von Impfungen, von Masken – und von der Befürchtung, aus pandemischen Gründen, nicht mehr elegant nach Hause zu kommen. Es ist die Unbeschwertheit abhanden gekommen, sich für Momente sorglos treiben zu lassen – soweit es die Sorgen zuließen. Schon vor Ende des Gedankens fällt der Rollladen, trübes Zuendedenken frisst Vorfreude – kein schöner Zustand in diesen Zeiten. Ein Zustand, der enden muss.

„Du bloggst ja kaum noch,“ sagte Sonny neulich zu mir. „Oh, ich erlebe ja zur Zeit gar nichts, was bloggenswert wäre,“ antwortete ich unbedacht. „Ach, man erlebt jeden Tag etwas,“ antwortete er. Meine Gedanken verhaspelten sich. Und ja, wo er Recht hat, hat er Recht. Der Mann, der als Kind nach Theresienstadt verschleppt wurde. Und das Ghetto überlebte. Neulich sprach er wieder einmal darüber – nachdem er Jahrzehnte geschwiegen und erst vor wenigen Jahren die Kraft gefunden hatte, über seine Zeit als jüdisches Kind in der NS-Zeit zu reden. Dabei war er gar kein jüdisches Kind, aufgewachsen als katholischer Bub in Frankfurt, hatten ihn die Nazis dazu gemacht. Die Veranstaltung in der Bornheimer Johanniskirche war gut besucht, viele junge Menschen waren anwesend und die fabelhafte Heike Borufka moderierte einfühlsam durch den Abend. Es ist absurd, dass der Mann, dessen Kindheit gestohlen wurde, heute mit einer Lebensfreude und ungetrübter Klarheit durch sein Leben marschiert und mit seinen nunmehr 90 Jahren mehr Kraft verstrahlt als die wohlstandsbehüteten Nachkömmlinge. Also blogge ich mal wieder, ich will Sonny ja nicht enttäuschen.

Und natürlich erlebe ich etwas, nicht die augenscheinlichen ganz großen Dinge wie Indien, Thailand, Pokalsieg, Ukraine im Winter. Es sind die vermeintlichen Selbstverständlichkeiten, die bei näherer Betrachtung Groß sind. Neulich war ich mit Freund Flo und dem Fahrrad unterwegs. Rumgondeln. Wir stoppten am Frankfurter Schacht, ein Kunstwerk weitestgehend unbeachtet von der Öffentlichkeit. Der Blick nach oben fällt auf den Turm der Deutschen Bank, nach unten wirbelt es in die Tiefe, man könnte urinieren, dazu ist er angelegt, der Schacht. Über den Main radelten wir Richtung Stadion, machten Halt am verbrannten Oberforsthaus, einer der Lost Places in Frankfurt. Um das verfallene Gebäude tost der Verkehr, im Hof hingegen ist es erstaunlich ruhig, Bäume und Büsche mildern den Lärm. Wir rauchten ein Cigarette. Weiter hinten am Stadion ließen sich Eintrachtler für kommende Eintrittskarten registrieren, Caro im leuchtend rosarotem Kleid lachte mich an. Frankfurt. Irgendjemand triffst du immer. Stadtwald. Später saßen wir in Neu Isenburg beim Thai Thong. Das Pad Prik, mit drei Chilis ausgewiesen, hatte punktgenau die richtige Schärfe. Zurück ging es über das Stadion, die Eintracht spielte unter Ausschluss der Öffentlichkeit auf einem Nebenplatz in Freundschaft gegen Wehen. Im Museum arbeiteten Maj und Sebastian, wir sagten „Hallo“, staubten ein Bier ab und radelten hinter ans Gleisdreieck zum Wach. Susi und Matze saßen vor der verschlossenen Bude in der Sonne. „Die Eintracht braucht uns“ lachten sie bei einem Radler. Wir schwatzten in den Tag, bis ein weiterer Radler vor uns stand. Ich erkannte ihn zunächst nicht – dann fiel es mir wie Schuppen von den Augen: Miep. Mensch, dich habe ich ja ewig nicht gesehen. Gut ist es ihm nicht ergangen in den letzten Jahren. Später kam Olli zufällig noch vorbei und blieb ein Weilchen bei uns hängen und noch später wanderten wir auf ein Bier zur Trinkhalle an die Rennbahn. Die Eintracht hatte 1:3 verloren. Als Flo und ich Richtung Heimat radelten, schallten aus eine Location am Museumsufer Houseklänge zu uns herüber. Junge Menschen vergnügten sich bei Drinks und just gegenüber trafen wir auf Dominik, wir hielten für einen Plausch und nur wenig später stoppte ein Freund Dominiks bei uns – es stellte sich heraus, dass er sogar dieses Blog kannte. Grüße. Nach einem Weilchen radelten wir weiter, Flo zog es ins Westend, mich zu Pia. Es war ein schöner Tag.

Klar, Sonny, man erlebt dauernd etwas, man vergisst nur zu schnell. Wie den Tag in Frankenthal, als wir mit Nadine und den anderen auf den Spuren des einstigen Eintracht-Vorstandes Adolf Metzner unterwegs waren, dessen Mitgliedschaft in der SA und NSDAP erst Jahrzehnte später heraus gestellt hat. Nicht alle Wege sind immer gehbar, man muss wissen, wann man Pause macht.

Oder der Moment, als ich mit Hängematte und Fahrrad die paar Meter in den Günthersburgpark geradelt bin. Zuvor schon hatten Pia und ich die überraschende Trockenheit für einen Spaziergang Richtung Preungesheim ausgenutzt. Das Eiscafe am Gravensteiner Platz ist immer für einen Weg gut. Der angekündigte Regen ließ auf sich warten – so spannte ich die Hängematte zwischen zwei Bäume, stellte die kleine Box auf den Sattel und packte ein Buch aus. Nahezu menschenleer die Grünanlage. Vereinzelte Jogger drehten ihre Runden, es rumpelte – doch ich blieb standhaft, blickte durch die sattgrünen Blätter der Bäume in den Himmel. Erste Tropfen fielen. Ich blieb liegen. Hoffte, dass das Gewitter vorüber zieht. Der ein oder andere Regenschirm wanderte an mir vobei, dann war es still. Der Park. Die Hängematte. Die Blätter. Die Wolken. Als hätte sich die Zeit in einem einzigen Moment geeinigt, anzuhalten. Dann brach der Regen über mich herein. Schwere Tropfen fielen auf mich, es hätte keinen Sinn gemacht, zu eilen. So packte ich im strömenden Regen meine Sachen zusammen, war binnen Sekunden klatschnass bis auf die Knochen und radelte seelenruhig heim. Pia war zuhause. Ein schöner Moment.

Bilder fließen in mein Hirn, sehe meine Eltern im Garten Kirschen pflücken, Mutter mit ihren 80 Jahren auf der Leiter, ein paar Tage später der 81. Geburtstag, die kleine Familie beisammen, meine Schwester zurück aus dem Urlaub, der sie für Momente glücklich gemacht hat. Die Abende oben am Kiosk, der Halt in dunklen Zeiten, im Garten Lagerfeuer bis in die tiefe Nacht. Ich schulde dem Leben das Leuchten in meinen Augen. Der Tisch im Sommergarten der Batschkapp bei „Verurteilt“. Heike und Basti im Gespräch. Danke an Jürgen und Katharina für die Karten. Nachts mit Kathrin und Pia gequatscht bis zum Kopfweh des nächsten Morgens. Der Weg durch die Stadt, Nasi Goreng beim fabelhaften China Imbiss in der Alten Gasse, kurze Gespräche, Lachen und der Heimweg in neuen Turnschuhen, die Galerie mit den Resten des verbrannten Bücherstandes, Eis im Hedi in der Eckenheimer, Pia schob ihr Rad.

Und die Sonne geht unter
und die Sonne geht auf
wir klettern Löcher hinunter
und fallen wieder hinauf
 

Ein paar Tage danach waren wir wieder im Park. Pia hatte neue Turnschuhe, die sie in einem Spot der Eintracht, in dem es um etwas ganz anderes ging, gesehen hatte – und sich anschließend durch’s Netz gewühlt, um diese zu finden. Sie fand sie, sie kamen, sie passten – und so stellten wir das Bild aus dem Spot im Park nach. Weitere große Momente. Was haben wir gelacht. Sonny, du hast Recht. man erlebt dauernd etwas, das sich zu bloggen lohnt. Danke für den Antrieb. Und viele Grüße. Wie auch an euch, die mich begleiten. Hier, im Blog, oder draußen. In der großen weiten Welt. Gut, dass es euch gibt.

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