Ganz ehrlich: Ich versteh das alles nicht. Es geht ja schon damit los, dass es allerorten heißt: Die Wissenschaftler dürfen nicht die Politik bestimmen. Mit der Folge, dass etliche Wissenschaftler wie Christian Drosten unter übelsten Beschimpfungen bis hin zu Morddrohungen zu leiden haben. Dabei ist die Sache doch relativ simpel. Wer sich lange mit einem Thema beschäftigt, sammelt Erkenntnisse. Und diese Erkenntnisse sind Grundlagen für Entscheidungen. Oder besser: Könnten sein.

Wenn ich weiß, dass ich mir die Hände im Feuer verbrenne, scheint die logische Folge, dass ich nicht ins Feuer greife. Zumindest nicht ohne Schutz wie stabile Handschuhe. Nicht der Wissenschaftler bringt mich dazu, sondern die konkrete Kenntnis der Folgen. Dafür kann ich nicht den Wissenschaftler verantwortlich machen. Selbst wenn unter den Flammen ein kleiner Schatz verborgen ist. Klingt logisch. Gut, in den modernen Zeiten wird sich schon jemand finden lassen, der auch ohne Schutz gegen einen kleinen Obulus ins Feuer greift. So läuft es ja auch ohne Corona. Wie in der Textilproduktion in Bangladesh. Zum Beispiel.

Die Folgen aber von Corona und vor allem die Entwicklung sind derzeit nicht konkret bestimmbar, wir haben es erstmals mit diesem Problem zu tun, die Erkenntnisse stecken in den Kinderschuhen. Es scheint auf alle Fälle so zu sein, dass es derzeit keine wirksamen Medikamente gibt und keinen vorbeugenden Schutz. Außer Distanz und Masken. Und dennoch wird gelockert, was das Zeug hält. Bei allem Respekt für diejenigen, denen die Felle davon schwimmen, die großen und die kleinen Felle, so scheint doch klar, dass die Aufhebung dessen, was die Pandemie scheinbar handhaben ließ, die Problematik in wenigen Tagen verstärkt. Verstärken muss. Es sei denn, wir sind alle einem gigantischem Betrug aufgesessen. Ich bin ja gerne bereit, jeder mafiösen Verstrickung das Wort zu reden – sobald ersichtlich ist, wer davon profitiert. Und meist ist es nur zu offensichtlich, wer davon profitiert. Die Protagonisten der Großindustrie und des Handels, wobei immer wieder Krümel fürs Volk abfallen. Bei Corona sehe ich allerdings nicht, wer von den Maßnahmen konkret profitiert. Niemand hat etwas im großen Stile von den getroffenen Schutzmaßnahmen. Sie scheinen dem Schutz aller zu dienen.

Wer von den Lockerungen profitiert scheint auch klar. Wer die Folgen trägt, allerdings noch nicht. Von daher fand ich erstaunlicherweise den Umgang von Kanzlerin Merkel oder Bayerns Ministerpräsident Söder mit der Pandemie gegen meinen Willen stark nachvollziehbar. Die Mahnung zur Geduld, der Wille zur Beratung, zur Erkenntnis, derweil andere genau diese Haltung aus Kalkül, Lobbyismus oder Selbstdarstellung wissentlich attackierten. Klar, Kinder wollen in die Kitas, Schauspieler Theater spielen, Fußballer kicken, Sportjournalisten darüber schreiben, Kneipen ihre Gäste bedienen, etcpp. Nachvollziehbar. Aber zu welchem Preis? Was ist gesellschaftlich notwendig, was guten Gewissens vertretbar? Oder um mit Boris Palmer zu sprechen: Auf wen können wir verzichten?

So war es in den letzten Wochen augenscheinlich, wer aus welchen Gründen etwas gefordert hat. Verborgenes Eigeninteresse wurde versucht in einer objektiven Blase zu verstecken. Sehr deutlich wurde dies im Fußball. Letztlich hat dort die Allianz aus DFL, Fußball GmbHs, Bild, sowie einigen Journalisten dafür gesorgt, dass unter großer Anstrengung dem gemeinen Volk schmackhaft gemacht wurde, den Ball wieder rollen zu lassen. Und es hat geklappt. Ab dem 15. Mai wird wieder in der Bundesliga gekickt. Geisterspiele. Wer dagegen spricht, wie der Spieler Verstraete vom 1.FC Köln wird rund gemacht. Kalou und die Hertha? Einzelfall. 14tägige Quarantäne für alle Betroffenen? Geschenkt.

Der Rubel muss rollen, damit die Vereine nicht kaputt gehen? Die so wichtig sind für das Wohlbefinden des Volkes, diese wunderbare Ablenkung vom tristen Alltag – mir kommen die Tränen. Ich habe in den letzten Jahren viele Interviews mit Fans geführt, nicht die, sie sich alle paar Jahre ein Fähnchen auf die Backe malen, nein, mit denjenigen, die Woche für Woche ihren Verein, in diesem Falle Eintracht Frankfurt, begleiten. Und fast alle sagten mir, dass das Spiel als solches nicht unbedingt im Vordergrund steht. Es sind die sozialen Kontakte, die Begegnungen, die Reisen, die Aufhebung kultureller oder materieller Unterschiede, das soziale oder politische Engagemet des Clubs, welches die Leute an den Verein bindet, der ja im Profibereich längst eine AG ist. Und fast alle dieser Momente sind auch durch Geisterspiele nicht wiederbelebbar.

Geisterspiele sind per se nicht schlecht. Nahezu alle Begegnungen unterhalb der, sagen wir Regionalliga, sind Woche für Woche Geisterspiele. Sämtliche Jugendpartien sind Geisterspiele, das Gekicke in den Parks und auf den Bolzplätzen sind Geisterspiele wie auch die Partien auf dem Dorf oder in den Stadtteilen. Frauenfußball. Und dennoch gibt jede/r der oder die kickt immer alles. Das ist Fußball. Geisterspiele wirken nur absurd, wenn sie in einem 50.000 Zuschauer fassenden Stadion ausgetragen werden. Das ist wie bei Konzerten. Die lokale Band, die im kleinen Club auftritt, begeistert ihre Anhänger, die Stimmung ist prima. Die gleiche Band mit der gleichen Anzahl von Zuschauern in der Festhalle wirkt befremdlich. So stellt sich ganz simpel die Frage, weshalb solche Geisterspiele, so sie denn stattfinden müssen, nicht auf dem Dorfplatz nebenan ausgetragen werden. Was bei Seckbach gegen Bornheim klappt, sollte doch auch bei Schalke gegen Dortmund klappen. Wäre günstig. Okay, die Antwort ist einfach. Einerseits muss die geglaubte übergeordnete Bedeutung heraus gestellt werden, andererseits brauchen die Kameras der übertragenden Sender massiv Licht, um die Inszenierung des Besonderen zu gewährleisten. Und die digitalen Werbetafeln müssen ja auch leuchten.

Sportplatz. Blöderweise würde sich dann noch massiver die Frage stellen, weshalb Schalke gegen Dortmund auf dem Sportplatz kicken darf, die F-Jugend von Seckbach aber nicht. DIE SICHERHEITSKONZEPTE höre ich sie schon rufen. Klar, so wie in Berlin. Wer übernimmt, ob Sportplatz oder Arena, aber die Verantwortung, wenn ein Protagonist ernsthaft erkrankt? Wie ist die sportliche Relevanz einzuschätzen, wenn mehrere wesentliche Spieler eines Clubs in entscheindender Phase ob Corona in Quarantäne geschickt werden? Was passiert, wenn ein Club komplett verseucht ist und gar nicht mehr antreten kann? Und so ganz nebenbei ist ein Zeichen der Normalisierung in Zeiten des Abnormalen zumindest sonderbar – und es birgt die Problematik, dass die uns suggerierte Gefahr der Pandemie herunter gespielt wird, das Verhalten der Bürger sich ebenso normalisiert, wer will es verdenken? Und was geschieht bei einer nächsten Welle? Welche Konzepte liegen auf dem Tisch, so die Dinge nicht so funktionieren, wie gewünscht? 

Es ist ja nicht der Fußball, der zugrunde gehen würde. Es ist der Businessfußball mit seinen goldumrandeten Cateringhäppchen für die Protagonisten, der bei ungünstiger Entwicklung sich im Zweifel auf den Sportplätzen wiederfinden würde. Das wäre dem Fußball wahrscheinlich völlig egal. Doof nur, dass die unsäglichsten Protagonisten wahrscheinlich weiter im Rampenlicht stehen würden, die fremdfinanzierten Bastarde der Fußballindustrie. Das kann dann auch niemand wirklich wollen. Wobei, vielleicht interessiert dann die Partie Leipzig gegen Wolfsburg wirklich niemanden mehr. Damit könnten wir leben.

Bleiben die Arbeitsplätze. Diese heilige Kuh der Wirtschaftsprotagonisten, die das Argument immer dann vorschieben, wenn sie andere Interessen verschleiern wollen. Bei genauerer Betrachtung aber weiß eine Gesellschaft die Verschiebung der Verhältnisse ganz praktisch zu kompensieren. Wo sind denn beispielsweise all die Fotolabore geblieben? Die Bergleute? Vereinzelte Dramen spielen sich ab, sicher. Aber dies ist ja permanent der Fall. Überall. Wo altes vergeht, entsteht neues. Es wäre halt nur schön, wenn das Neue klimaneutral und resourcenschonend wäre. Denn dieses Thema, das Klima, klopft ja immer noch an unsere Tür. Man hört es ob Corona nicht so laut, aber wie man hört, scheint Corona ein Kindergeburtstag zu sein, sobald sich in dieser Hinsicht wenig ändert. Aus den gleichen Gründen übrigens wie beim Fußball. Die Basis unserer Gesellschaft bröckelt schon jetzt. Die Landwirte klagen schon jetzt, Wasser könnte zukünftig ein massives Problem werden. Darauf sollten wir uns einstellen. Und nicht mit aller Gewalt einen Status Quo aufrecht zu halten, der eigenlich nicht mehr haltbar ist. In fast allen Bereichen.