Es war im Januar 2014, als sich eine kleine Reisegruppe der Fan geht vor in Richtung Rom aufmachte. Natürlich warf ich seinerzeit eine Münze in den Fontana di Trevi – und entsprechend kehrte ich nun wieder zurück. Diesmal mit Pia. Diesmal mit der Eintracht. Europa League. Es wurden natürlich aufregende Tage. Davon wird nun erzählt.

Rom ist selbstverständlich ein Traumziel, der Gegner Lazio hingegen ist eher weniger traumhaft. Dennoch war es ein bisschen ärgerlich, dass auf den im Vorfeld verkauften Choreoschals die Rückseite mit „Lazio merda“ bedruckt war. Inhaltlich gibt es daran ja nichts auszusetzen, aber nach dem ganzen Hassel im Vorfeld war dies eine weitere Provokation, die man sich hätte sparen können – die Hoodies in Nikosia sprachen eine andere, bessere, Sprache. Aber im Grunde war die Fußballstimmung schon vor dem Abflug im Arsch. Warnmeldungen allenthalben, das absurde Ticketkontingent, welches erst nach mühseligen Verhandlungen aufgestockt wurde (und noch immer nicht ausreichte, obgleich im Stadio Olimpico reichlich Platz war) und dazu die Neigung der Laziali in Richtung Faschismus. Und als es endlich losging, war auch klar, dass das Spiel sportlich bedeutungslos war. Platz eins der Gruppe war der Eintracht nicht mehr zu nehmen und Lazio Platz zwei nicht.

Mitten in der Nacht zu Mittwoch klingelt der Wecker, müde schlurfen wir zur Bahn und wenig später nach längerem Anstehen vor den Sicherheitskontrollen in den Flieger. Der Flug LH230 nach Rom-Fiumicino gewährt ordentlich Beinfreiheit und uns eine Stulle, noch schnell im Reiseführer geblättert und schon setzen wir zur Landung an, Rom, da bin ich wieder. Da Familie Minden den gleichen Flieger gebucht hatte, bieten sie uns einen Platz im Mietwagen an – und so rollen wir standesgemäß im Fiat Panda durch das morgendliche Rom in Richtung Trastevere. Unweit des dortigen Bahnhofs liegt unsere Unterkunft, ein Zimmer im „Scalini die Trastevere“ – für schlappe 90 Euro für uns beide für drei Nächte durchaus bezahlbar. Am Bahnhof angekommen, verabschieden wir uns von unserem grandiosen Fahrservice und checken ein. „Scalini“ heißt Stufen – und dies war gut zu wissen, da von der Hauptstraße einige Treppenstufen zur Unterkunft führen. Unser Zimmer ist sogar schon bezugsfertig und so brechen wir nur wenig später auf, die Stadt zu erkunden. Da Pia erstmals in Rom ist, steht nun das volle Touriprogramm an. Trastevere ist eine Art Sachsenhausen, jenseits des Tibers gelegen (Tras Tevere!), wir durchwandern das Viertel, überqueren den Tiber und marschieren am Circo Massimo vorbei Richtung Colloseo. Die Selfiesticksverkäufer ignorierend bestaunen wir das mächtige Gebäude. Und dann geht es per pedes weiter, vorbei am Nationaldenkmal für Viktor Emanuel II hin zum Fontana die Trevi. Es ist heuer ein leichtes, einen Platz am Brunnen zu ergattern, im Frühling wird sich hier um die Plätze geprügelt. Zwischendrin ein Porchetta, Menschen, Autos, Blaulicht und immer wieder bekannte Gesichter. Den Verkehr bewältigten wir lässig, das Motto lautet: Immer bewegen. Während der Deutsche ja egal ob mit Auto oder Fahrrad stets auf sein Recht bedacht ist, völlig unabhängig, davon, welches Verhalten gerade sinnig wäre, gilt hier: Hauptsache weiterkommen. Im deutschen Verkehr ist der jeweils andere der Feind, der sich auf dem Platz befindet, wo das Selbst meint, hinzugehören; der Feind, der permanent belehrt werden muss, der Feind, der ständig das eigenen Ego bedroht. Hier ist alles permanent unterwegs. Die kompliziertesten Situationen werden einfach gelöst, statt Fotos zu machen, um sich in den sozialen Netzwerken zu empören. Löblich.

Wir schlendern weiter zur Spanischen Treppe, dann zum Piazza del Popolo und gönnen uns erst dahinter eine Pause bei warmen Getränken und Tiramisu bzw. Käsekuchen. Und schon sind wir wieder unterwegs, schlagen uns bis zum Petersplatz durch, winken dem Papst, durchqueren anschließend das pittoreske Trastevere, bis wir in der Dunkelheit wieder an der Unterkunft ankommen. Da Andi und Hans Peter, die im gleichen Haus untergebracht waren, noch im Flugzeug sitzen, brechen wir nach einer kurzen Pause erneut auf, finden in Trastevere eine wunderbare Restauration und schlagen uns den Bauch mit weißer Pizza und Hauswein voll. Für den Rückweg nehmen wir erstmals die Bahn. Aber noch ist der Tag nicht zu Ende. Da unsere Freunde nunmehr angekommen sind, geht es noch für einen Schoppen ums Haus. Am Ende stehen über 35.000 gelaufene Schritte zu Buche. Der Londoner Rekord von über 40.000 wurde jedoch nicht geknackt. Man kann nicht alles haben.

Matchday

Der nächste Morgen beginnt mit Regen, dazu Cappuccino sowie Cornetto in einem der unzähligen kleinen Cafés am Straßenrand. Den Schal haben wir im Hotel gelassen. Dann besorgen wir uns eine Tageskarte obgleich wir gestern zwei Händevoll Einzeltickets geholt hatten. Es hieß jedoch für die Shuttlebusse wären andere Tickets nötig – um es gleich zu sagen: Das Tagesticket entwerteten wir exakt 24 Stunden später, dazu später mehr. Der Regen aber hält sich in Grenzen, wir versuchen vom Bahnhof Trastevere Richtung Vatikan zu fahren, die Tickets aber werden nicht angenommen, da wir mit einem Regionalzug fahren wollen – oder wir sie verkehrt in die Lesegeräte stecken. Da aber auch andere scheitern, ordern wir vier spezielle Einzeltickets, Stückpreis ein Euro, und fahren zwei Stationen mit der Bahn Richtung Petersplatz. Unser Ziel ist die Besteigung des Petersdoms ohne Sauerstoffgerät. Hatten wir vor fünf Jahren noch fünf resp. sieben Euro bezahlt, so kostet der Spaß nun acht bzw. 10 Euro. Der Unterschied besteht darin, dass für den niedrigen Preis alle 551 Stufen zu laufen sind, für den Aufpreis aber die ersten 200 mit dem Aufzug überspringen werden. Wir gönnen uns den Aufzug, werfen von oben einen unfassbaren Blick ins Innere des Doms und steigen dann bis zur Spitze empor. Wendeltreppen, die stets schmaler werden, verlangen einem einiges ab, belohnt aber wirst du mit einem Rundumblick auf Rom. Das ist groß. Natürlich gehen wir später auch in die mächtige Kirche hinein, um uns dann Richtung Treffpunkt aufzumachen. Der offizielle Treffpunkt ist ja im Park Borghese, dort sollen auch die Shuttlebusse abfahren. Der inoffizielle aber liegt nur wenige Schritte entfernt am Piazza del Popolo. Diesen erreichen wir halbwegs trocken durch einen Spaziergang, vorbei an der Engelsburg, am Tiber entlang. Haufenweise Leute sind schon vor Ort, Polizei in rauen Mengen. Mögen die Spiele beginnen.

Bevor es losgeht, stärken wir uns an einer Buden an der nah gelegenen Straßenbahnhaltestelle. Noch sind wir unsicher, wie alles funktioniert. Wird es einen Fanmarsch geben, fahren die Shuttlebusse, wir reagieren die Laziali, wie die Polizei? Naja, irgendetwas wird passieren – wie immer. Und dann marschiert die Menschenmenge los, vom Piazza del Popolo in den Park Borghese, die Shuttlebusse scheinen voll, der Zug aber marschiert daran vorbei, und wir mittendrin. Wir wandern durch den Park, es beginnt zu regnen, wir verlassen den Park, die Polizei lässt uns gewähren, irgendwo ballert ein Böller. Draußen warten Autos, abgesperrt durch die Polizei, wir haben freies Geleit. Passanten zücken Handies, einer hupt immer. Am Tiber schieben wir uns Richtung Stadion, das wir alle recht unkompliziert nach über einer Stunde erreichen. Natürlich überall ein Gude wie, am Einlass entspanntes Geplauder. Ein paar winzige Tore sind geöffnet, Zentimeter für Zentimeter schieben wir uns in eines der Törchen, die ersten Infos machen die Runde, dass Feuerzeuge und die Schals einkassiert werden, ein jeder verstaut seinen Krempel, so gut es irgend geht – nur vorwärts kommen wir nicht. Scheinbar werden die Shuttlebusse zuerst abgefertigt, die allem Anschein nach die erste Kontrolle umgehen konnten. Nach anderthalb Stunden Warterei sind wir an der Kontrolle, Name auf Ticket und Perso wird abgeglichen, dann der Körpercheck. Wir sind drin. Aufatmen.

Denkste.

Insgesamt sieben Mal werden wir kontrolliert, entweder Passabgleich oder Abtasten. Von Security, von der Polizei. Irgendwo liegen haufenweise Schals. Dann haben wir es geschafft. Natürlich mit Feuerzeug, Andi und Hans Peter haben ihre Schals auch noch. Es ist ein einziger Irrsinn – der jedoch noch lange nicht zu Ende ist. Wir begeben uns in Block 19AD, ganz nach oben, die Sicht ist gut, das Stadion leer. Nur die Curva Sud, unsere Kurve, füllt sich. An die 10.000 Frankfurter werden später vor Ort sein, weit mehr als Römer, es ist ein skurriles Bild, vor allem, da der Gesamtbesuch mit knapp 19.000 angegeben wird – in einem Stadion mit einem Fassungsvermögen von über 70.000 Zuschauern. Und tausende Frankfurter mussten draußen bleiben, welch sinnlose Strategie.

Was dann folgte war einerseits ein vielumjubelter Auswärtssieg der Eintracht. Andererseits ein Abend zum Vergessen, obgleich er noch lange in Erinnerung bleiben wird. Böller explodieren immer wieder, es raucht und fackelt. Als es in der zweiten Halbzeit einigen Laziali gelingt, halbwegs in die Nähe unserer Kurve zu gelangen und massiv zu provozieren, geht das Gepöbel richtig los. Drüben der Hitlergruß, hüben fliegen Raketen rüber. Security marschiert auf, Polizei. Böller knallen ohrenbetäubend, unten wird am Zaun gerüttelt, irgendwann löst sich ein Tor, eins zwei Leute rennen auf die Laufbahn, werden einkassiert, Pyro fliegt auf Polizei und Ordner. Die Laziali pöbeln immer noch. Niemand drängt sie dort weg. Sprechchöre von oben: „Und ihr wollt Eintracht Frankfurt sein“. Von unten wird jetzt nach oben gepöbelt, von oben nach unten. Martin Stein versucht die Lage zu beruhigen – aber erst der Treffer von Gacinovic zum vorübergehenden Ausgleich bringt die Kurve halbwegs zur Ruhe. Die Freude über ein Eintrachttor verbindet dann doch. Haller trifft sogar noch ein zweites Mal für die Eintracht, wir nähern uns einem Auswärtssieg. Ordner aber halten ihm vom Jubeln vor der Kurve ab – und allen dürfte klar gewesen sein, dass die vorausgehenden Szenen gravierende Folgen haben werden, im Zweifel eine Reise nach Glasgow ohne uns. Zu allem Überfluss hat sich noch Hasebe verletzt und fällt erstmal aus.

Und ob das alles nicht schon genug ist, wird der gesamte Eintrachtblock 90 Minuten am Verlassen des Stadions gehindert. Peter Fischer durchbricht währenddessen die Reihe der Ordner und hält eine bewegende Rede über das Stadionmikro – die kein Mensch versteht, der Ton kommt nicht bei uns an. Irgendwann setzt dann doch noch der Abmarsch ein. Tausende Eintrachtler schieben sich Richtung Ausgang, Richtung Shuttlebusse, die aber nicht zu sehen sind. Wieder ist allen alles unklar. Wir wandern an Bussen vorbei, die jedoch zu den Hotels oder zum Flughafen fahren, erst später entdecken wir drei Shuttlebusse, wir springen hinein, binnen Sekunden sind sie überfüllt – und stehen zwanzig Minuten mit laufendem Motor an der Seite, Abgase dringen durch die geöffnete Tür, es ist alles ein Elend. Ein Ticket wollte – wenig überraschend – auch niemand sehen. Doch plötzlich geht es los, im Konvoi rauschen wir durch die Nacht, fast ohne Stopp zum Bahnhof Termini, Andi und Hans Peter haben es auch geschafft, viele andere standen jedoch ratlos am Stadion, waren sich trotz aller Warnungen selbst überlassen. Wir fackeln nicht lange, laufen rüber zum Piazza Venezia, nehmen die Straßenbahn und zuckeln nach Trastevere. In der gleichen Bahn hüpfen eine handvoll Frankfurter gröhlend auf und ab. Leute, haltet die Fresse, unfassbar, mit welchen Vollidioten du immer wieder unterwegs bist. Immerhin, unsere zuvor gewählte Pizzeria hat noch offen, eine Freundin Pias, die nun in Rom lebt, gesellt sich zu uns. Pizza. Rotwein. Geschafft.

Spät in der Nacht laufen wir todmüde Richtung Unterkunft. Später erfahren wir, dass es im Stadtteil oben noch gescheppert hat. Womöglich hat es die Spacken aus der Bahn getroffen, sie haben ja auch darum gebettelt. Wie auch immer, ich schlafe im Stehen ein.

Zu allem Überfluss schüttet es am nächsten Morgen wie aus Eimern. Wir spannen die Regenschirme auf, treiben mit Bahn und zu Fuß nach Monti, setzen uns immer wieder für einen Snack ins Trockene, bestaunen das Pantheon, machen uns rüber nach Trastevere, besuchen ein Museum und machen das Beste aus einem trüben Tag, der spät des Nachts in einer Kneipe ausklingt. Unser Flieger geht schon am frühen Mittag, so dass am letzten Tag ein nur kleines Frühstück ansteht, der Himmel strahlt winterblau und während Andi sich mit Hans Peter Richtung Lido aufmachen, nehmen wir den Zug zum Airport. Ciao Roma, war schön mit dir. Wenn nur der leidige Fußball nicht wäre. Lazio Merda.