Ein Sammelsurium aus dem angebrochenen Leben

Allgemein und überhaupt: Brezn

Mitte August, gelangweilt im Aldi-Prospekt geblättert und Angebote zum Stichwort „Oktoberfest“ entdeckt. Wiesenhendl, Lederbermudas, Brezn, Dirndl. Und schon schwillt mir der Kamm – spontan fallen mir dazu gleich drei Gründe ein. Ach was sag ich: Vier. Mindestens

Erstens die Schreibweise. Nur echt mit nostalgisch bayrischem Einschlag. Brezn, Hendl. Da fühl ich mich gleich ganz oktoberfestig. Für vermeintlich kleines Geld kauf ich mir doch ein schönes Alpenglühenlebensgefühl und kann mich illusionär schön in eine Kunstwelt schießen und so sentimental glücklich fühlen, wie ich es im Leben wahrscheinlich niemals sein werde. Ehrlich, wer außerhalb Bayerns, sprich seines natürlichen Lebens- und Sprachraumes Brezn oder Hendl sagt, ist in etwa genau so ernst zu nehmen, wie ein sächsischer Nazi, der sich für einen Herrenmenschen hält. Wer dies jedoch in der strategischen Absicht der Gewinnmaximierung benutzt, spielt auf der gleichen Klaviatur, wie die bekannteste Boulevardzeitung der BRD. Das ist zynisch. Hey, guck mal, wir sind so erfrischend authentisch und bringen dir die schönen, günstigen Dinge für dein Lebensgefühl. Kalkuliert, absichtsvoll und immer in der Zeit voraus. Das Lebensgefühl existiert in deinem Kopf und wir verpflanzen es dort hinein, damit du nicht merkst, dass da eigentlich nichts vorhanden ist, außer der leisen Ahnung, dass es anders sein könnte. Außer weiter hecheln, der Zeit hinterher, dem Kaufglück hinterher. Deinem Leben hinterher. Das schneller vergeht, eh du Brezn sagen kannst.

Zwei Monate vor dem eigentlichen Ereignis, Event oder was auch immer kannst du dich schon einkaufen, sicher ist sicher. Oktoberfest im September, den Kram dazu gibt es im August. Wie immer. Ich bin noch im Sommermodus und ihr wollt mir den Herbst andrehen. Ich laufe durch den güldenen Herbst und ihr drückt mir Weihnachten aufs Auge. Ich sitze unter dem Tannenbaum und ihr kommt mir mit Karneval. Kaum laufe ich mit der Pappnase herum, wedelt ihr mit Ostern. Im Ernst, kaum ist das jeweilige Ereignis angekommen, kann ich es nicht mehr sehen, weil die Konsumterroristen es totgeworben haben, mich schon vorher daran erinnert haben, die Bilder ins Hirn gefräst haben. Okay, Karneval geht mir am Arsch vorbei. Der Sommer nicht. Sie lassen dir gar keine Zeit mehr, zu entdecken, zu erleben, wahrzunehmen – sie ballern dir Bilder ins Hirn, und damit hat es sich. Kapitulation. Gebt mir Bier, Drogen, irgendwas – auf dass ich den Scheiß für Momente verdrängen kann. Irgendwann taucht eh der kleine Dämon auf, grinst dich an und flüstert: Brezn. Sie besetzen deine Gedanken, definieren deine Gefühle, behaupten dein Glück und machen die entsprechenden Angebote. Ein Entrinnen ist nur mit großem Gedankenaufwand möglich. Für Momente. Wenn überhaupt. Irgendwann kriegen sie jeden. Der Rest fällt früher oder später der Krankenkasse zu Last. Suff oder Hirnfick, irgendwas der Art.

Wann fing das eigentlich an, dass Oktoberfeste außerhalb Bayerns zelebriert werden, wo sie, wenn überhaupt, hingehören? In jedem Kaff, ob Berlin oder Frankfurt oder Quickborn/Heide steht irgendwann ein blau-weißes Rautenzelt mit blau-weißen Rautentischdecken, es gibt Bier in Maßen, Hendl und Brezn, dazu kreuzdämliche Musik und die Massen strömen. Aldidirndl, Aldi Lederbermuda, Hoch die Tassen. Was treibt euch an? Weshalb kann man euch jeden Scheiß andrehen – und ihr macht mit? Ich höre euch schon: Was regst du dich so auf, tut doch keinem weh, ist mal was anderes, ist doch gesellig, ist doch nicht schlimm. DOCH. Es ist würdelos, lächerlich – und es ist ein Kniff im Zeitalter der belanglosen Eventisierung des gleich belanglosen Alltages, um euch zu verscheißern, um an euer Geld zu kommen und euch Geschichten zu geben, die eigentlich niemand hören will. Inszenierung der Idiotie und wir? Hauptdarsteller und Statisten in einem auf der Narrenbühne. Deutsche Leitkultur, wer nicht mitspielt, fliegt raus. DAS ist UNSERE Identität. Nichts ist echt.

Ich spiel da nicht mit. Konnte ich noch nie. Da steht man halt machmal etwas abseits und versaut jedem die gute Laune. Manchmal würde ich ja gerne mitspielen, einfach so, ohne Hintergedanken. Heilig Abend in die Kirche, Pappnase an Fasching, Blumen am Valentinstag, Mottoparty an Ostern, lustige WM-Hüte, Oktoberfest, Halloween, das ganze Programm, arglos, ist doch nett. Aber es geht nicht. Mal schreib ich um mich, mal geh ich weg und guck den Gänseblümchen beim Wachsen zu, mal klammer ich mich an Buddha, der mich auslacht, mal trinke ich mehr als mir gut tut. Mal liege ich in der Hängematte, schaue aufs Meer und hänge meinen Gedanken nach. Hinter mir ein Gecko, über mir ein Fischadler Die zivilisiastorische Kultur, industriegesteuert, interessengesteuert, sie kann mich mal. Und sie holt mich ein.

Im Ernst, wir leben in einem der reichten Länder der Erde – und worauf fußt das Ganze? Okay, auf einem verlorenem Weltkrieg, den Amerikanern – und auf Brezn. Industriebrezn bei Aldi. Da läuft doch was gewaltig schief.

3 Kommentare

  1. Andi

    weiß – blau.
    es heißt weiß – blau, nicht blau weiß!
    https://youtu.be/aY3jX6pJ8lo?t=121

    Pfiat di!

    • Beve

      Mir wurscht :-)

  2. Andi

    es heißt Würstl ;-)

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