Bleiwäsche, Padberg, Adorf – so hießen die Ortschaften im Hochsauerlandkreis, die wir spät abends bei Herbstdunkelheit und strömendem Regen durchfuhren. Die Scheibenwischer schwappten schnaufend über die Windschutzscheibe, die Heizung lief leise und die Musik von Ludovico Einaudi tröpfelte aus den Lautsprechern. Während Friedrich Merz hämisch von einigen Wahlplakaten grinste, rollten wir vom Auswärtsspiel der Frankfurter Eintracht in Bielefeld nach Hause. Doch beginnen wir von vorne.

800 Karten standen für die Auswärtsfahrer der Eintracht bei Arminia Bielefeld zur Verfügung. Pia und ich hatten Glück und bekamen zwei davon. Eigentlich steht mir der Sinn nach Fußballgedöns derzeit nicht wirklich, da passiert zu viel, was mir nicht gefällt – aber das ist ein anderes Thema. Bielefeld hingegen ist immer eine Reise wert – und es hängen Erinnerungen an Fahrten daran, die schon lange her und dennoch nicht vergessen sind. Schrebergartenmomente 2006 und 2007 beispielsweise. Damals kickten Cimen oder Takahara noch für die Eintracht – und an Corona war nicht zu denken. War ne schöne Zeit. Fußball ist ja nicht nur Fußball, sondern auch Unterwegssein. Erleben, Rauskommen – vor allem nach dem pandemie-bedingten Cut und den vielen Reisen durch Europa zuvor. Für diese Saison sollen es dann doch weigstens die Fahrten nach Bielefeld, Bochum, Fürth sowie Berlin und Europa werden. Bielefeld ist ja irgendwie auch Europa. Also los.

Erstmals seit bestimmt zwei Jahren rollten wir also mal wieder mit dem roten Dacia zu einem Bundesligaspiel außerhalb Frankfurts, man kann es kaum glauben. Neulich Mannheim war ja Pokal, die letzte große Reise mit dem liebgewonnen Reisegefährten ging nach Mailand, dazwischen lagen etliche Bahn-, Bus- und Flugzeugreisen und dann das große Nichts. Der Dacia, mit neuem TÜV, Keilriemen und Ölfilter stand bereit, Pia und ich waren halbwegs ausgeschlafen und so rollten wir bei gepflegtem Regen über die Friedberger Landstraße auf die A661. Zeitgleich brachen meine Schwester mit Timm, meinem Neffen und Freunden aus Seligenstadt auf. Familientreffen in Bielefeld. Auch mal schön. Musikalisch begleiteten uns Levin goes Lightly, Revolte Tanzbein oder die Killers – und es war verdammt frisch. Wir überlegten kurz, die Heizung aufzudrehen, aber soweit kam es dann doch nicht. Noch nicht. Über die A5 ging es Richtung Gießen und da die Autobahnroute nach Bielefeld einen großen Bogen macht, entschieden wir uns, über Marburg und die Käffer auf der Landstraße mitten durchs Land zu zöckeln, um kurz vor Paderborn wieder die Autobahn zu entern. So kam es auch, hinter Marburg wurde es gemütlich, zumal hunderte von Blitzern darauf warten, dich zu erwischen. Und wir sahen Straßenschilder von lustigen Ortsnamen: Weimar, Göttingen, Obernburg oder Sachsenhausen – allesamt haben diese nichts gemein mit ihren bekannten Namensvettern. Eine Umleitung brachte uns nach Frankenberg, frischer Sprit wartete auf den Dacia, in Frankfurt hätte der Liter 1,72 gekostet, hier 1,62 – etwas später war es natürlich noch „günstiger“ aber wir wollten die Situation nicht herausfordern. So kreuzten wir später den Edersee, Nebel hing schwer über den grünen Hügeln, derweil wir Korbach hinter uns ließen und sogar die Sonne hie und da aufblitzte. Inzwischen war auch die Reihenfolge der Europacupspiele durchgesickert. Piräus auswärts im November. Schade, früher wäre besser gewesen. Alsbald erreichten wir die Autobahn, standen hinter Paderborn ob einer Fahrbahnverengung kurz im Stau und enterten nach guten dreieinhalb Stunden Bielefeld, rechter Hand Dr. Oettker. Samstagmittag, Ostwestfalen – noch war es trocken. Wir parkten den Dacia zwischen Stadion und Altstadt und waren kaum 10 Meter gelaufen, als uns eine ältere Dame ansprach: „Sie schauen so suchend, kann ich ihnen helfen?“ Konnte sie, sie wies uns den Weg in die City, vorbei am Bielefelder Geburtshaus – und sie sollte nicht die einzige bleiben, die sich unvermittelt mit Hilfsangeboten an uns wandte. Nett sind sie ja, die Bielefelder, dass muss man ihnen lassen.

Wir schlenderten durch die Altstadt, Eintrachtfans waren rar gesät, und trafen uns mit Alex und Timm am Alten Markt auf einen Imbiss. Natürlich begann es, wieder zu regnen, so stellten wir uns mit einigen anderen kurz unter, nutzten die Gelegenheit für ein Eis to go und trockene Momente für den Spaziergang auf die Bielefelder Alm. Auch hier wieder hilfreiche Geister, die uns den Weg wiesen, derweil sich auf der Zufahrtsstraße der Verkehr staute und wir zu Fuß an den Stauenden vorbei schossen. Um uns herum viele Arminiafans, dazwischen ein Roadbier und alsbald hatten wir unser Ziel erreicht. Zumindest fast, schließlich mussten wir auf dem Weg zum Gästeeingang das Stadion einmal fast umrunden. Leider war der Schrebergarten zu Füßen des Stadions heute nicht zugänglich, dafür sorgten Absperrbänder und die hiesige Polizei. Vor 15 Jahren hatte ich Pia auf einem Schaukelpferdchen dort fotografiert, dieses Bild hätten wir heute gerne nachgestellt. Dann halt nächstes Mal.

Der große Parkplatz vor dem Stadion war menschen- und vor allem busleer, ein fürwahr skurriles Bild, die Schrebergärten unmittelbar am Parkplatz und dieser wiederum unmittelbar am Stadion. Wir trafen Boris, den Vielreisenden, der es sich nicht hatte nehmen lassen, auch nach Bielefeld zu fahren, kurz vor dem Eingang harrte Nadine von der Fanbetreuung auf die Dinge, die da kommen – aber viel kam ja nicht und nach wenigen Minuten waren wir drin, ordentlich mit Maske, Impfnachweis- und Identitätscheck. Zwei unterschiedliche Aufgänge führten zu den Stehplätzen, einmal mitten durchs Stadion und einmal an einer Wendeltreppe nach oben. Wir entschieden uns für den mittigen Weg, erklommen ein paar Stufen und wanderten mit Gude hier und Gude da ganz nach oben. Grüner Rasen, Anzeigetafel und Blick in den Teutoburger Wald. Und kaum waren wir trockenen Fußes gelandet, setzte ein Regen ein, der sich gewaschen hatte. Flutlicht beleuchtete die Szenerie, die Ramones machten Musik und die Stadiondurchsagen ballerten mit einer Lautstärke durch die Boxen, dass man diese durchaus noch in Paderborn hören konnte. Freunde, dreht das Ding mal runter, ist ja nicht zum Aushalten.

Höchst interessant hingegen ist die Tatsache, dass man die Stehränge auf zwei Wegen erreichen kann. Einmal von unten und einmal von außen. Das ist äußerst pfiffig, da dadurch das übliche Gedränge vermieden wird und man andererseits auf der kleinen Außenterrasse einen fantastischen Blick über Bielefeld als auch die Schrebergärten hat. Hier ein schwarz-blau.weiß gestrichenes Gartentörchen, dort ein Gartenzwerg – nur gewerkelt hat bei diesem Scheißwetter niemand. Das stelle ich mir cool vor. Du mähst den Rasen, ein Transistorradio läuft, keine zwanzig Meter davon entfernt kickt die Arminia – und die Schlachtgesänge begleiten deinen Nachmittag vor Ort. Ich ließ den Blick schweifen und konzentrierte mich nach einem Schwatz mit Eva und Lisa, die sich gleichfalls auf den Weg gemacht hatten, auf den Fußball. Die Eintracht ohne Kostic, den es zu Lazio zieht und der deshalb trotz gültigem Vertrag keinen Bock auf Fußball hatte, dafür mit Lenz, Lindström, Hauge und Borré gleich mit vier Neuzugängen, die Arminia mit Klos, der hier zum Fußballgott avancierte – mit herzlichen Grüßen an Alex Meier (14). Um die 13.000 Zuschauer hieß: Ausverkauft. Die Bielefelder machten auch ordentlich Rabbatz, die aktive Szene der Eintracht war nicht dabei, von daher lief der Support etwas unrund, so oldschool wie früher – der Vorteil war: Du hast nicht permanente Fahnenwedelei vor der Nase, das übliche Aerobicprogramm fiel auch flach, dafür brannte in kritischen Situationen (und davon sollten einige kommen) das verbale Feuer eher mau. Aber im End sollen die Jungs auf dem Rasen ja das Spiel gewinnen und nicht wir. Wir sind ja hier um zu gucken. Heißt ja auch Zuschauer und nicht Zusinger. Fand das alles sehr ordentlich und stressfrei – aber nicht leidenschaftslos. Noch stressfreier wurde es zunächst, als Hauge nach feinem Passspiel die Eintracht nach 22 Minuten in Führung brachte. Nach dem 0:2 in Mannheim und dem 0:0 gegen Augsburg das erste Eintrachttor, dass ich seit Kamadas Treffer zum 2:0 gegen Werder Bremen am 04.03.2020 vor Ort gesehen habe. In Dortmund war ich ja nicht. High Five allenthalben.

In der Halbzeit betrachtete ich versonnen die Schrebergärten, nach der Halbzeit wollte Bielefeld ein Tor. Mit mehr Glück als Verstand rettete sich die Eintracht in die Schlussphase, wobei nach einer guten Stunde Kamada, Ortego Moreno und Laursen im Bielefelder Strafraum zusammen rasselten. Während Kamada und Ortega Moreno alsbald wieder standen, wurde Laursen lange behandelt, es sah nicht gut aus als er vom Platz getragen wurde. Immerhin prasselte aufmunternder Applaus aus der Frankfurter Kurve, das hat mir gefallen. Gab auch Zeiten, wo „Steh auf du Sau“ weniger ermunternd gewirkt hätte. Vielleicht hat die Szene bei der EM, als Eriksen sich so schwer verletzte, ein Umdenken bewirkt. Nichtsdestotrotz brachte die Eintracht trotz etlicher Wechsel wenig nennenswertes zu Stande. Als dann in der 86. Minute der eingewechselte Wimmer zum Ausgleich traf – nach einem Frankfurter Freistoß bei dem unsere Innenverteidiger im Strafraum der Arminia vergeblich auf einen vernünftigen Ball warteten – hatten die Bielefelder endlich ihr gewolltes Tor, und wir Glück, dass in der – ob der langen Behandlungspause von Laursen achtminütigen – Nachspielzeit nichts Ärgeres mehr passierte. Endstand also 1:1 – und das völlig verdient. Offensiv reicht es derzeit nicht wirklich und hinten ist die Eintracht immer anfällig. Ich sag mal so: Meister werden wir dieses Jahr nicht. Dennoch wurde die Mannschaft freundlich verabschiedet, war ja nicht so, dass sie nicht wollten.

Wir schwangen uns die Wendeltreppe nach unten, immerhin hatte es aufgehört zu regnen. Fachsimpelnd wanderten wir Richtung City, wo wir uns von den Seligenstädtern verabschiedeten. Sie machten sich auf die Heimreise, während Pia und ich noch in der Oldschool Gaststätte Alt Bielefeld ein Abendessen gönnten. Nuja, die Preise waren in Ordnung, die Bedienung nett und das Ambiente urig – die Speisekarte hingegen stammte aus den 60er Jahren, Vegetarier hätten keine Freude daran gehabt, aber für ein Schnitzel bin ich immer zu haben. Es muss halt nur kein Zigeunerschnitzel sein.

Kaum waren wir draußen, goss es wieder wie aus Eimern. Wir verharrten bei einer Cigarette unter einem Baldachin bis der Regen halbwegs nachließ und erreichten nach 15minütigem Marsch den Dacia sogar einigermaßen trocken. Kaum saßen wir drin, begann es erneut zu schütten. Wir verließen Bielefeld nach wenigen Minuten, rollten auf den Autobahnzubringer und anschließend auf die A33. Kurze Hose und Heizung, da war sie endlich, die wenig geliebte Kombination. Die Scheibenwischer schaufelten Unmengen an Wasser beiseite und da wir es versäumten, am Ende der A33 noch kurz auf die A44 zu rollen, fanden wir uns unvermittelt auf der Landstraße wieder. Pia schmiss das Navi an und wir durchfuhren waldige, nebelverhangene Hochstraßen, passierten kleine Ortschaften, in denen kein Mensch zu sehen war und landeten kurzzeitig sogar auf einer Art Wanderweg zwischen zwei Dörfern, der einwandfrei als Verbindungsstraße ausgewiesen war. So fehlten auf unserer abenteuerliche Nachtfahrt nur noch grinsende Waldgeister oder Nachtelfen mit Glühwürmchenlaternen. Phasenweise war kein Mensch aber auch kein Auto zu sehen. Niemals in der Menschheitsgeschichte zuvor hat jemals ein Mensch die Strecke Bielefeld – Frankfurt auf diese Art und Weise bewältigt. Spooky, vor allem da hier, im Hochsauerlandkreis, Friedrich Merz von einigen Wahlplakaten grinste. Das war das Übelste heute. Nicht die Strecke, die hat mich begeistert, sondern die Visage des Kläffers.

Über Bleiwäsche, Padberg, Adorf, Flechtdorf und Frankenberg schoben wir uns Richtung Korbach, dann weiter nach Marburg. Eine Umleitung dorthin brachte eine kurze Verzögerung mit sich, in den Ortschaften vor der Universitätsstadt galt nachts Tempo 30, welches auch gewissenhaft durch die zahlreichen Blitzer überprüft wurde. Immerhin, hinter Marburg ging es flott weiter. Also was flott so heißt, angesichts des Dacias und des strömenden Regens. Es folgte Gießen, dann die A45, die A5, die kaum erkennbare Skyline von Frankfurt, die A661, die Friedberger und alsbald rollten wir über die Rothschildallee müde Richtung Heimat. Der Regen hatte nachgelassen, wir fanden fußläufig zur Wohnung einen Parkplatz und schleppten uns Sekunden später die Stufen hinauf. Für Pia gab es noch einen Ouzo (Piräus wir kommen) für mich einen Tee und so fand ein langer Tag und ein schöner Ausflug sein Ende. Wohl dem, der ein warmes Bettchen hat. Und Bielefeld: Wir kommen wieder.

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