Eben noch standen wir auf dem Heimweg von Mailand nach der Auslosung an einem See in Hergiswil und buchten mit zittrigen Händen Flüge und Unterkunft für das Spiel der Eintracht bei Benfica Lissabon – jetzt schon wandern wir todmüde Richtung Straßenbahn, es ist vier Uhr in der Nacht, Frankfurt schläft – wir nicht.

Lissabon, welch ein Ziel für ein Europacup Viertelfinale – und das im April, Sonnenschein könnte das Abenteuer bescheinen, viel besser können die Aussichten nicht sein. Dank online Check in verläuft das Boarding in aller Frühe recht reibungslos und natürlich sind auch an diesem Morgen die ersten Eintrachtler an Board. Anno und Filzlaus grinsen uns an, während wir auf den Einstieg in den Flieger warten, wir waren auch schon in Rom im gleichen Flugzeug. Wir sind leicht hungrig, aber als wir in den Lüften sind, wird uns sogar ein kleiner Snack serviert und kurz nach acht am frühen Morgen landen wir in Lissabon. Kurz am Automaten die Tageskarte gelöst, 6 Euro 40, dann wie alte Hasen runter zur Metro, die auch gleich kommt, einmal in Alameda umsteigen, finaler Ausstieg Intendente – ein paar Meter die Avenida Almirante Reis hinab und schon sind wir an unserer Unterkunft, ein vollverkachelter Bau mit drei, vier Stockwerken. Dankenswerter Weise können wir schon in unser Zimmer, es ist spartanisch. Ein Bett, eine Art Regalschrank, ein Stuhl vor dem Fenster – das war’s. Kein Waschbecken, kein Spiegel – aber es ist sauber, immerhin. Wenn das Fenster offen ist, rauscht der Straßenverkehr in das Zimmer, unten rumpelt die elektrische Straßenbahn der Linie 28 vorbei, wenn das Fenster geschlossen ist, wird’s recht stickig. Aber es geht, im Hochsommer gehst du hier ein. Immerhin ist oben im zweiten Stock eine kleine Dachterrasse mit Blick auf das höher gelegene Lissabon für alle nutzbar, hier ist es ruhig, hier kannst du rauchen.

Es ist noch keine zehn Uhr, als wir uns ins Leben stürzen, irritiert nur durch die klatschnassen Straßen. Es muss gerade geregnet haben, kuschlig warm ist es auch nicht, aber mittlerweile wieder trocken. Unten am Platz Martim Moniz fährt die E28 los, diese alte Bahn, die durch die Alfama über Bairro Alto bis zum Friedhof Praceres rasselt. Aber die Schlangen an der Haltestelle sind nichts für uns, also laufen wir los, hoch Richtung Castelo de Sao Jorge, wandern an der Festungsmauer Stück für Stück nach oben. Ein winziges Café lacht uns an, hier gibt es frische Pasteis de Nata, Galao und Rissois de Camarao. Ein älteres Ehepaar, klein gewachsen, wie so viele Portugiesen, betreibt diese kleine Nische mit unvergleichlicher Würde, unserer Reise hat einen ersten kleinen Höhepunkt.

Kaum haben wir das Café verlassen, beginnt es wieder zu regnen, wir drücken uns an den Wänden entlang und finden in einem kleinem Durchgang ein trockenes Plätzchen. Ein Gitarrist spielt seinen Fado in den Tag, eine Künstlerin verkauft ihre bunten Drucke und ein paar Leute stehen mit uns trocken und lauschen der Musik. Pia kauft sich eines der Bilder, die Künstlerin freut sich, der Regen weicht leichtem Sonnenschein und wir wandern weiter, hoch zum Forteingang – Andenkenverkauf, Restaurants, Schlange – wir schenken und den sicherlich wunderbaren Blick vom Park über Lissabon und wandern durch Gassen und Gässchen runter in die Alfama, diese hügelige Altstadt, die trotz allem Touristengewusel noch immer den alten Charme Lissabons versprüht. An einem großen Platz warten moderne TucTucs auf Touristen, die sich für teuer Geld durch die Gassen chauffieren lassen, unten am Tejo versperrt ein Kreuzfahrtschiff den Blick in die Weite. Von hier oben kannst du zwar darüber hinweg sehen, aber wenn du durch die Gassen der Alfama schlenderst, ergibt sich immer wieder zwischen zwei Häuserreihen eine Treppe hinunter der Blick über den Tejo. Dank der Kreuzfahrtschiffe aber blickst du nun auf die Kabinen der Passagiere, die wahrscheinlich zuviel Geld und zu wenig Geschmack haben. Es hat den gleichen Effekt, als wären direkt hinter dem Flussufer an schönster Stelle riesige Bunkerhotels gebaut. Zuweilen lagen gleich drei dieser Giganten vor Ort. Ich hasse sie. Und sollte sie in den nächsten Tagen noch mehrfach verfluchen, diese Dreckschleudern, diese gigantischen Horte des Egoismus, diese Mittelfinger in Richtung schönes Leben für alle.

Was soll’s, wir schieben uns treppauf, treppab, wandern über den Flohmarkt der Diebin am Fuße der Igreja de Santa Engrácia, an dem alles angeboten wird, was es irgendwann einmal in einen Haushalt geschafft hat. Fotografien von irgendwem, Singles von Freddy Breck, zerfledderte Bücher, alte Schilder, Krimskrams, gebrauchte Handstaubsauger. Die Sachen liegen auf dem Boden, manchmal auf einer Decke und die etwas besser gestellten stehen an kleinen Ständen. Auf einem Kreuzfahrtschiff wirst du von den Anbietern niemand sehen. Oben am Campo de Santa Clara befindet sich ein kleiner Park mit steinernen in die Mauer eingelassenen Sitzen, der Blick schweift über den Tejo und nur wenige sitzen an dem kleinen Café, während ein paar Meter dahinter Hunde in einem abgezäunten Bereich umher tollen.

Etwas später sitzen wir in einem kleinen Restaurant weiter unten. Der Eingang ist winzig, linker Hand klappern Frauen an den Töpfen, der Tresen ist Küche, Treffpunkt und Auslage zugleich. Hier wird portugiesisch gesprochen – aber englisch geht auch immer und schon sitzen wir bei gegrillten Sardinen und Weißwein am Tisch und freuen uns des schönen Lebens, hier kommen wir wieder her, versprochen.

Unterwegs müssen wir immer wieder die Klamotten wechseln, Sonnenschein und Regentropfen wechseln sich in schöner Reihenfolge ab und kaum tröpfelt es wieder, rasselt auch schon ein Bähnchen an, die beste Möglichkeit, dem Nass zu entgehen. Leider drängelt sich ein Pärchen vor die Wartenden und nestelt beim Fahrer trockenen Fußes in seinen Taschen nach Geld. Alle anderen stehen draußen und werden nass. Und alle anderen haben Tageskarten. Leute, Leute. Aber irgendwann sind alle drin, die Sitzplätze sind wie die Stehplätze belegt und wir rumpeln durch die Alfama weiter in die Stadtmitte, der Baixa. Weiter hinten geht es hoch ins Bairro Alto, es ist ein munteres Kommen und Gehen, jetzt sitzen wir auch und schieben uns durch die engen Gassen bis wir an der Endstation am Friedhof Praceres aussteigen. Nach einem kleinen Päuschen fahren wir mit einer anderen Bahn runter zum Tejo, wechseln dort in die moderne Straßenbahn, die uns nach Belem bringt. Natürlich warten endlose Schlangen auf den Einlass in die hochbekannte Bäckerei der Pasteis de Nata, die wir rechts liegen lassen, derweil wir runter an das monumentale Denkmal der Seefahrer wandern. Linker Hand zieht sich die Brücke des 25. April auf die andere Seite des Flusses, und oben thront mächtig der Christo Rei mit ausgebreiteten Armen. Erbaut in den fünfziger Jahren – beschlossen von den Bischöfen für den Fall, dass Portugal vom Zweiten Weltkrieg verschont bleiben sollte – und so kam es dann auch.

Mit einer nächsten Bahn geht es zurück in die Innenstadt zum Praca de Comercio, die gepflasterte Fußgängerzone nach oben zum Rossio, einem weiteren großen Platz. Unterwegs hätte ich kiloweise Gras, Koka oder Sonnenbrillen kaufen können, was ich jedoch tunlichst unterlasse. Als der Abend sich über die Stadt legt, sitze ich auf der Terrasse bei uns und trinke ein Bier, rauche eine Zigarette und freue mich, dass ich hier bin. Hinter dem Hotel liegt ein kleiner Platz mit ein paar Cafés und einer Bar, vorne rauscht der Verkehr.

Wir schlendern zum Abendessen über den Platz weiter nach oben, passieren die Straße der Junkies und entdecken im Viertel Anjos einen kleinen Laden, Frangos, also Brathähne, rösten auf dem Grill im Schaufenster und rufen uns zu: Kommt rein, ein Ruf, der natürlich nicht ungehört verhallt. Wieder ist es ein kleines Einheimischen Restaurant, wieder ist emsig Gewimmel und Gewusel und ehe wir uns versehen, sitzen wir bei Gemüsecurry (Pia) und Brathahn (Beve) sowie Weißwein (beide) irgendwo in Lissabon, die freundliche Bedienung lacht uns zu, wir essen und trinken und weil’s so schön ist, gibt es noch einen Bica und eine weitere Karaffe Wein, derweil sich Liverpool anschickt, den FC Porto vor unseren Augen im TV zu besiegen.

Nach 20 Stunden auf den Beinen wandern wir nach Hause, ich trinke noch ein Bierchen auf der Terrasse, während Pia unversehens und unverzüglich in einen tiefen Schlaf fällt, nur wenig später komme ich dazu – und so geht er zu Ende, der erste Tag in Lissabon.

Mittwoch – 10.04.2019

Und da ist er schon, der zweite Tag. Er beginnt mit Pasteis und Galao im Café do Largo hinten am Platz. Unser heutiges Ziel liegt auf der anderen Seite des Tejo, von daher lösen wir ein Ticket für die Bahnen und die Fähre an der Metrostation Martim Moniz. Von dort geht es schnurstracks zum Cais do Sodré, einem der Orte, an dem die Fähren über den Tejo ablegen. Da die erste vor unserer Nase abfährt, müssen wir uns etwas gedulden, doch schon 15 Minuten später legt eine weitere bei uns an – und spuckt jede Menge Passagiere aus, die von den Vorstädten nach Lissabon tuckern. Auf die andere Seite wollen um diese Zeit weit weniger Menschen, wir finden leicht einen Fensterplatz und schieben uns über den so oft besungenen Fluss. Die Fahrt dauert nicht lange, keine Viertelstunde, und schon sind wir in Almada und blicken auf die Hügel Lissabons. Leichter Regen setzt wieder ein, einerseits schade, da es etwas ungemütlich ist, auf der anderen Seite sind wir nahezu alleine, als wir am Ufer Richtung der Brücke des 25. April spazieren. Direkt am Ufer führt ein auf den ersten Blick wenig einladender Weg an parkenden Autos vorbei. Häuserwände ziehen sich nach oben, mal siehst du ein Atelier, mal eine kleine Werkstatt doch je weiter du wanderst, um so zerfallener werden die Häuser, die Wände durchgehend mit Graffitis besprüht, hier und da fischt ein Angler nach Sardinen und auf der anderen Seite pulsiert das Leben Lissabons. Es ist ein morbider Weg, mal hängt in den Ruinen Wäsche zum trocknen, mal siehst du in einem der zerfallenen Häuser ein verbranntes Auto inmitten von Müll und in einiger Entfernung begrüßt von hoch oben der Christo Rei die Reisenden.

Nach einer Weile biegst du um die Ecke und einer der wunderbarsten Plätze der Gegend erwartet dich. Ein Café oder besser Restaurant mit einem fantastischen Blick auf Lissabon bereitet sich auf den Sommer vor. Gelbe Stühle leuchten in den Tag, alles ist frisch gepinselt und lieblich, junge Leute werkeln, um alles auf Vordermann zu bringen. Doch niemand sitzt hier, die Stühle sind regennass, heute ist es ein schöner Platz zum fotografieren. Im Sommer aber, wenn abends die Sonne untergeht, dürfte es eng und lebendig werden, hier wurden Filme gedreht und auch der ein oder andere Reiseführer hat den Ort schon entdeckt. Heute aber war es ein wundervoller Weg, ein wundervoller Ort und eine schöne Ruhe.

Weiter hinten bringt dich ein Aufzug hoch in die Stadt Almada. Von dort führt ein Fußweg zur Christus Statue, vorbei an einigen Tavernen und Kindergärten, an parkenden Autos und unaufgeregtem Alltagsleben. Es geht ordentlich nach oben – Busse überholen uns, welche die Neugierigen direkt vom Kai hier her bringen, wir aber marschieren noch durch einen kleinen Park bis wir die gigantische Statue erreichen. Ein Wind weht uns fast vom Stengel, unten rauscht der Verkehr über die Brücke, während uns ein weitere Aufzug innerhalb der Statue für fünf Euro nach oben bringt. Jesus breitet seine Hände aus, wir stehen winzig klein zu seinen Füßen und blicken über den Tejo nach Lissabon. Wie oft schon habe ich diese Figur gesehen, so nah aber war ich ihr noch nie.

Zurück geht es wieder zu Fuß, wieder in die kleine Stadt, wieder in ein kleines Restaurant, welches aber den Erwartungen nicht wirklich entspricht, es war bestenfalls okay, aber was soll’s, wir sind satt und marschieren wieder runter zum Café am Tejo. Jetzt sitzen hier ein paar Leutchen, die Küche hat geöffnet – wir aber sind nicht mehr hungrig, denken, dass wir wir irgendwann einmal wieder kommen werden und wandern zurück an Ruinen und Graffitis vorbei zur Fähre. Dort treffen wir Michael, der hier in Almada unter gekommen ist und der mit uns übersetzt. Am Cais do Sodré trennen sich unsere Wege, wir nehmen die grüne Metro-Linie und fahren bis zur Endstation Telheiras, nicht weit weg vom Stadion von Sporing Lissabon. Hier trifft das alte Vorort Lissabon auf moderne Wohnungen, hier scheint die Sonne – aber die Gegend lädt nicht zu längerem Verweilen ein, gleichwohl ist es interessant. Ein Weg an modernisierten alten Häusern vorbei wirkt wie ausgestorben, einzig die Augen der Kameras in den Haustüren scheinen dich zu beobachten, ein Niemand ist auf der Straße. Weiter hinten an der Metrostation liegen einige Gärten und gleich darauf wachsen moderne Siedlungsbauten in die Höhe, man hätte früher Plattenbauten gesagt, doch diese hier sind nicht ärmlich, sie wirken auf eine seltsame Art vornehm. Und gleich dahinter ragen die grünen Masten des Stadions in die Höhe. Wir lassen uns auf einer Parkbank die Sonne ins Gesicht scheinen und fahren nach einer Weile zurück in die Stadt. Dort rattern wir mit der besprühten Standseilbahn hoch in die Bairro Alto und sind wieder im Gewimmel. Eine junge Frau im traditionellen Kostüm schenkt an eine Reisegruppe Kirschlikör aus, wir wandern durch Gassen und Gässchen, bis wir wieder beinahe am Fluss sind. Etwas oberhalb treffen wir an einem belebtem Platz auf Maj, Jasmin und Dennis, die beim Schöppchen sitzen und bei der Gelegenheit bleiben wir natürlich auch stehen, quatschen und freuen uns, das wir da sind.

Langsam legt sich der Abend über die Stadt und so rauschen wir nach einem Spaziergang bis zum PracadoCommercio und einem Bummel durch die Stadt vom Rossio hoch in unsere Unterkunft. Wenig später sitzen wir wieder in der Churrascaria in Anjos und hauen uns den Bauch voll. Nebenan feiert eine Gesellschaft den Geburtstag der 84jährigen Großmutter, wir gratulieren herzlich, werden verabschiedet wie die Großen – und hauen uns nach einem Terrassenbier in die Falle. Und noch ehe wir über den vergangenen Tag nachdenken, fallen uns die Äuglein zu und wir schlafen wie die Murmeltiere den Schlaf der Gerechten. Morgen ist Spieltag, die Eintracht bei Benfica – doch davon wird später berichtet. Erst einmal gibt es hier noch ein paar Fotos. Danke schon mal fürs Mitkommen.

Hier dann der zweite Teil der Reise.