Ein Sammelsurium aus dem angebrochenen Leben

Das Grauen hat zwei Namen …

Montag Abend, halb acht. Es ist arschkalt. Dennoch laufe ich die Wiesenstraße runter Richtung Berger, Schneereste des vergangenen Tages säumen die Straßenränder. Weiter unten an der Saalburgallee überholen mich mehrere Polizeiwagen, während die Dippemessaufbauten der Dinge harren, die in den nächsten Tagen kommen werden. Gemurmel dringt an mein Ohr, Menschen sind unterwegs. Der FSV Frankfurt spielt gleich gegen die Offenbacher Kickers, der Bornheimer Hang ist mein Ziel.

Auch auf dem Weg an der Dippemess vorbei parken etliche Polizeiwagen, klar, wenn irgendwas mit Frankfurt gegen Offenbach spielt, ist das immer ein Risikospiel, auch in der Regionalliga. Das letzte Mal als ich hier war und die Kickers spielten, gab es noch die U23 der Eintracht, ich glaube, die SGE hatte das Spiel gewonnen und die Fans des OFC versuchten in den Heimblock zu gelangen, in dem ein Häuflein Eintrachtler gerade feierte. Unter Rufen wie „Zyklon B für die SGE“ tobte ein Mob, bis die Polizei dem Ganzen Einhalt gebot. Ein paar Jahre her. Auch im Hinspiel gegen den FSV gab es antisemitische Zwischentöne.

Der Bornheimer Hang. Schon als Kind war ich hier, Großvater hatte einen Garten ein paar Meter weiter hinten. Der FSV wurde Amateurmeister und ich blätterte in der Gartenhütte alte Fußballmagazine durch – mit Postern damaliger Zweitligisten. Röchling Völklingen, Bayern Hof, FK Pirmasens oder Spvgg Bayreuth. 1976 ist mein Opa gestorben – und stets wenn ich hier am Hang bin, ist er dabei. Mit ihm war ich auch das erste Mal bei einem Bundesligaspiel, ein paar Monate vor seinem überraschendem Tod, die Eintracht besiegte damals die Kickers mit 1:0, das Tor schoss Klaus Beverungen. Der echte „Beve“.

Ein paar Offenbacher kommen den Bornheimern auf dem Weg zum Kassenhäuschen entgegen, um meinem Hals hängt wärmend ein Freundschaftsschal zwischen der Eintracht und dem FSV, erworben anlässlich der Zweitligapartie vor ein paar Jahren. Heute kämpft der FSV um den Klassenerhalt in der Regionalliga, während die Eintracht internationale Ambitionen hat, so schnell kann es gehen.

Ein einziges Kassenhäuschen hat geöffnet, und wie immer sind auch ein paar Eintrachtler hier, Gude wie und nach ein paar Minuten halte ich ein Stehplatzticket in den Händen, ein lockeres Abtasten später bin ich drin, laufe unten an den Stehplätzen vorbei und marschiere ins Eck, stelle mich oben hin. Irgendjemand ruft ja immer „Beve“ und so ist es auch heute, ich treffe Simone – und sie stellt mit Jürgen vor, dessen Namen ich bislang nur über Twitter kannte. Er erzählt mir, dass er bis vor ein paar Jahren mit Fußball nicht wirklich etwas anfangen konnte – bis er einmal ein Spiel besuchte. Und schon sah die Welt anders aus.

Der Gästeblock ist gut gefüllt und macht naturgemäß weitaus lauter auf sich aufmerksam, als es die Heimkurve könnte. Beim FSV ist es ja stets recht gemütlich, jeder macht irgendwie, was er will, einer pöbelt, einer trinkt Bier, ein paar rufen EFF ESS Vau und der Rest friert. Das Stadion hier hat ja seit ein paar Tagen einen neuen Namen, es heißt jetzt offiziell PSD Bank Arena. Von daher gibt es vor Spielbeginn einige Feierlichkeiten – und hinter der Haupttribüne illuminiert Feuerwerk den kalten Märzhimmel. Wer auf der Haupttribüne sitzt, kann es nicht sehen – und für mich wird es bis zum letzten Atemzug der Bornheimer Hang bleiben. Mit klassischen Flutlichtmasten. Wer hätte je gedacht, dass der Anblick solcher Masten ein nostalgischer ist?

Nach Anpfiff legen die Kickers, ganz in rot, mächtig los, der FSV steht dem Ganzen unsortiert und schlafmützig gegenüber – und so dauert es auch nicht lange, bis der OFC führt. Der Gästeanhang freut sich und wir schauen bedröppelt aus der Wäsche. Aber binnem Kurzem wird es ein ganz anderes Spiel, der FSV erwacht, kombiniert und schon fällt der Ausgleich. Und Bornheim bleibt weiter am Drücker, hat Chancen. Aber es kommt, wie es kommen muss, ein Konter reicht und die Kickers führen mit 2:1.

Halbzeit, ich trippel mittlerweile von einem Fuß auf den anderen. Unten findet ein Torwandschießen statt, es geht um ein VIP-Ticket, aus den Boxen läuft der Fansong, diesmal „Rose Tattoo“ von den Dropkick Murphys. Caro sagt kurz hallo, während ich versuche, mit klammen Fingern ein Cigarette zu drehen, es ist wie früher: Scheiß auf die Ästhetik, Hauptsache es dampft.

In der zweiten Hälfte entwickelt sich ein ausgeglichenes, zuweilen hitziges Spiel, auf den Rängen sind die Anhänger des OFC zu hören. Ihr seid scheiße, wie die SGE. Dann entrollen sie ein Banner, „Gegen alle Betretungsverbote“. Unmittelbar darauf setzen die Kickers ihr eigenes Feuerwerk in Gang, ein paar Raketen fliegen in die Luft, Rauchschwaden überziehen den Platz. Das Bier aber wird den FSVlern um die Ohren geworfen, die Eckbälle vor der Gästetribüne ausführen dürfen. In der FSV Kurve bleibt es überschaubar ruhig, nur im anderen Eck setzen die Bornheim Ultras ein paar Fackeln in Gang, das war’s. Ein Elfmeter für den OFC bringt den 1:3 Endstand, der FSV müht sich, bringt aber nichts zählbares mehr zu Stande. Kurz vor Ende verlasse ich den Hang – und muss aufpassen, dass meine Beine nicht gleich Eiszapfen beim Laufen durchbrechen.

Zu allem Überfluss ist der direkte Durchgang zu den Gärten durch eine Polizeikette versperrt, die Bornheimer müssen am Erlenbruch an den Gleisen entlang Richtung Tankstelle laufen und die Dippemess umrunden. Jeder Meter schmerzt ob der Kälte, jetzt wäre die Fähigkeit beamen zu können eine feine Sache. Vor mir läuft ein junger Mann mit Turnschuhen und nackten Knöcheln. Oben an der Eissporthalle werfe ich einen Blick auf die kommenden Straßenbahnen, die 12 kommt in drei Minuten, was freue ich mich darauf. Leider gilt das Eintrittsticket nicht für den RMV, das wäre eine schöne Idee. Die Bahn kommt pünktlich, es ist warm und ich tucker schnatternd mit hinauf zum Günthersburgpark. Noch ein paar Schritte, und ich bin zuhause. Pia macht mir einen heißen Tee und ich ziehe mit schnurstracks die Decke über die Ohren. Stunden später taue ich immer noch auf.

Am nächsten Tag lese ich, dass es wieder vereinzelte antisemitsche Rufe seitens des OFC gegeben hatte – und dass die Offenbacher die Gästetoilette völlig zerlegt haben, 30.000 Euro Sachschaden. Beim FSV. Eine Leistung, wie in der Kita die selbstgemalten Kinderbilder zu zerreißen. Wie sagte ein Frankfurter Philosoph vor ein paar Jahren? Das Grauen hat zwei Namen: Kickers und Offenbach.

 

 

 

2 Kommentare

  1. stefan schleicher

    Saustarker Beitrag, „Beve“!

    Den Klaus Beverungen hab ich früher auch geil gefunden: Ehrlicher, schnörkelloser Fighter mit nem Schuss. der an den des Bernd “ Dr.Hammer “ Nickel fast heran kam.

  2. fg-sge

    Oxxe halt, arme Deppe!
    Genauso A…kalt wars mir gegen Hannover, auch de heiße Äppler hat net geholfe :-)

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