Noch vor einer Woche hatte ich nie und nichts von ihr gehört, ein kleiner Hinweis auf Facebook über ihren Auftritt im Bett brachte mich dazu, mal in ein Video hinein zu schauen – und ich war geflasht von der norwegischen Sängerin Kari Rueslåtten. Einen Abend später hielt ich ein Ticket für das Konzert in der Hand.

Die folgenden Tage liefen ihre Songs mehr oder minder ununterbrochen, zu Hause, im Auto, wo auch immer. Angefangen mit ihrer ersten offiziellen Platte von 1997, Spindelsinn, bis zum letzten Album, Silence Is The Only Sound, veröffentlicht im August 2017. Noch vor Spindelsinn erschienen ihre Demo Recordings. Begonnen hat ihre Karriere allerdings schon Anfang, Mitte der 90er als erste Sängerin von The 3rd an the Mortal, Gothic Metal mit weiblichem Gesang der frühen Stunde. Schon nach der ersten Platte und einer EP verließ sie die Band, um sich Solo Projekten zu widmen. Bis 2005 veröffentlichte sie fünf Alben und drei EPs, dann wurde es ruhig um Kari – bis sie sich 2014 mit neuem Produzenten zurück meldete und Time To Tell das Licht der Welt erblickte. 2015 folgte To the North und dieses Jahr Silence is the only sound. Und das alles ging an mir vorbei.

Ihre Musik ist in erster Linie geprägt durch ihre Stimme, glasklar wie ein Nordlicht im verschneiten Norwegen, die Musik meist minimalistisch zwischen Folk und Indie, sphärisch und klar, märchenhaft, doch niemals süßlich. Verschneite Wälder, Aurora Borealis, Elfengesang in Klosterruinen, wohlige Melancholie, schmelzende Sehnsucht, Verlust und Sichfinden.

Ich mag Frauengesang nicht zwingend und seltenst in meiner bevorzugten Richtung, dem Indiesound, oder Dark Wave – aber immer mal packt es mich. So bei Loreena McKennitt, Heather Nova oder Amy McDonald – und die Musik von Kari Rueslåtten erinnert zuweilen an alle drei, an Loreena erinnern auch die langen rötlichen Haare – und doch ist die Welt der Kari Rueslåtten ein ganz eigene.

Es regnet auf dem Weg zum Bett hinten im Gallus, Schmidtstraße, Regentropfen rollen über die Scheibe, Nachtstadtlichter glänzen in die Kälte, später Berufsverkehr, Radfahrer ohne Licht, Autos ohne Blinker, niemand will bei diesem Wetter draußen sein, die Welt hat es eilig. Ich parke kurz vor acht direkt vor dem Bett, Lichterketten leuchten in die unwirtliche Nacht, noch ist die Tür geschlossen, nur vier Menschen warten vor dem Einlass und ich ahne, dass das Bett nicht der allerbeste Ort für diesen Abend sein wird, zu groß für die wenigen Besucher – und in der Tat werden wir später nicht mehr, als 20, 30 Leute sein, die meisten männlich, verteilt auf den Bierbänken im Raum, es ist ruhig, leise Musik verkürzt das Warten. Die Bühne ist spärlich hergerichtet, Mikrofonständer, Effektgeräte, kleine Boxen – irgendwas fehlt – später fällt mir auf: Es ist ein Schlagzeug.

Pünktlich um 20:30 betritt Jostein Ansnes die Bühne, Produzent und Gitarrist der letzten Alben und heute neben Kari der einzige Musiker auf der Bühne. Die Gitarre klingt metallen, vielleicht ein Tuck zu schneidend, der Eindruck legt sich aber schnell. Und dann betritt Kari die Bühne, lange rötliche Haare, schwarzes Kleid, schwarze Stiefel, unprätentiös – und ihre Stimme beherrscht den Saal mühelos – aller Fokus liegt auf der Musik, auf der Stimme. Jostein spielt die Gitarre wie ein Werkzeug, unterschiedlichste Klänge werden gemalt, die Effektgeräte kommen zum Einsatz, niemand spricht. Mein Nachbar ist extra aus Dortmund angereist, wer sie einmal gesehen hat, wird wieder kommen.

Kurze Ansagen Karis verweisen auf die Entstehung der Songs, kokettschüchtern, freundlich – ob du die Augen geschlossen oder offen hast, spielt keine Rolle. Sie spielen Songs der neuen Platte aber auch Lieder aus vergangenen Zeiten und die Verkörperung dessen liefert Spellbound, ein Lied der neuen Platte welches in anderer Orchestrierung schon auf dem ersten Album zu finden ist, seinerzeit unter dem Titel Spindelsinn auf norwegisch, ich traue mich kaum zu fotografieren, geschweige denn umher zu laufen, um die Atmosphäre nicht zu stören. Es ist selten, dass du nach einem Konzert nicht weißt, wer außer dir noch im Raum war, aller Mittelpunkt liegt in der Musik, bei Kari Rueslåtten und zuweilen auf Jostein Ansnes, der naturgmäß etwas seltener im Blick steht. Das Fehlen eines Schlagwerkers macht sich nur selten bemerkbar – aber anlässlich der überschaubaren Zuschauerzahl und der großen Bühne wären sie heute in einem kleineren, atmosphärischem Raum etwas besser aufgehoben, in der Hamburger Prinzenbar oder im Frankfurter Nachtleben – man kann nicht alles haben.

Nach einer knappen Stunde werden schon die letzten Lieder angekündigt, die Zeit, verwandelt in Atmosphäre, vergeht zuweilen viel zu schnell. Doch natürlich werden sie zu einer Zugabe gerufen, zu einer Weiteren dazu, das war’s nach knapp 90 Minuten, von mir aus hätte es noch ewig weiter gehen können. Charmanter Abgang, leise Musik und wenig später steht Kari am Merchstand, plaudert mit den Fans verkauft Alben, die sie freundlichst signiert – so kommt dann doch noch ein bisschen was zusammen. Ich erstehe die letzte CD, lasse sie mir signieren und verabschiede mich in die Regennacht. Irgendwo auf der Mainzer glänzt Blaulicht in die Nacht, drinnen läuft Chasing Rivers – das leider aber nicht gespielt wurde. Dankbar für den magischen Abend rolle ich nach Hause, kein Nordlicht, kein Winterschnee am Hafen. Aber Pia ist da, und das ist die Hauptsache.