Als die Tourdaten von Bruce Springsteen bekannt gegeben wurden, fehlte tatsächlich das Frankfurter Stadion auf der Liste – und auf die Idee, ob des Konzertes in eine andere Stadt zu fahren, kam ich erst gar nicht. Vielleicht, weil die Karten am End doch arschteuer waren. Aber letztlich kam doch alles ganz anders, in diesem Juli 2023 – meinem Konzertmonat schlechthin.

Anfang des Monats stand ich im Innenraum der Arena und lauschte Depeche Mode, zwei Tag später überzeugten die Interrupters auf ganzer Linie in Saarbrücken. Auf dem Rödelheimer Parkfest rockte Kick Joneses mt Toby am Bass und die Mannheimer Schogettes soulten anschließend in den Abend. A.S. Fanning und Pom erfreuten uns mit Mainblick am Hafen 2 in Offenbach und Revolte Tanzbein brachte das Zelt  beim Grüne Soße Festival zum Kochen. Und dann brachte ein unscheinbarer Tweet schließlich einen ganz anderen Stein ins Rollen.

Ich checkte spontan die Kleinanzeigen und tatsächlich waren etliche Tickets für das Konzert am Hockenheimring im Angebot – einige davon sogar unter Normalpreis. In Kelkheim wurden gar zwei Tickets zu je 50 Euro (VB) offeriert, ich bot deren 45, doch leider wollte der Verkäufer nur beide zusammen abgeben – und sich melden, so er die Tickets nicht los bekommt. Da die Karten Donnerstag nachmittag noch immer drin waren, machte ich mir leise Hoffnungen, fuhr zum Training und als dieses zu Ende ging, waren die Tickets weg. Ich schrieb eine weitere Anbieterin an, die ein Ticket in Eckenheim anbot – 60 Euro standen zur Verhandlung, ich bot 50 – doch sie beharrte freundlich auf den 60. Eine Stunde später, Donnerstag abend, keine 24 Stunden vor Beginn des Konzertes, hatte ich mein Ticket für Springsteen in der Tasche. Drei Mal habe ich ihn bislang gesehen, alle drei Konzerte im Frankfurter Waldstadion, das erste 1985. Mit zwei Joints hinter den Ohren und fünf Liter Apfelwein ging es auf die Reise mit dem Boss – eine Offenbarung seinerzeit, wir tanzten gemeinsam in die Dunkelheit. Jetzt, unfassbare 38 Jahre und ein gefühltes Leben später sind wir alle merklich älter geworden und doch ist Springsteen neben der Eintracht eine der wenigen Konstanten im Dasein. Also los.

Die Parktickets in Hockenheim erforderten ein Vermögen, zwischen 25 und 50 Euro sollte ein Stellplatz kosten – inklusive erwartbarem Chaos bei der Abreise, das konnte ich gleich vergessen. Das 49-Euro-Ticket, mit dem ich zwei Tage zuvor noch nach Neckargemünd gereist bin, schied ebenfalls aus; ich wäre aller Voraussicht nach nachts in Mannheim gestrandet. Also packte ich am Freitag morgen mein Rad in den Dacia und rollte gegen viertel nach Elf Richtung Hockenheim – ähnlich wie sich rund 80.000 Menschen auf den Weg zu Springsteen machen sollten. Tramps like us, Baby we were born  to run …

Der Verkehr blieb überschaubar, aus den Boxen rockte der Boss und ich spulte brav meine Kilometer ab, Darmstadt, Bensheim, Weinheim – hie und da ein kleines Stäuchen, ein kurzer Verfranser in Heidelberg und schon rollte ich in der Nähe von Schwetzingen auf einen Parkplatz am Waldrand und parkte den Dacia ordnungsgemäß. Von hier führte ein vier Kilometer langer Waldweg direkt zum Ring. Hoffentlich auch zum Einlass – aber ich hatte jede Menge Zeit, die Wege zu erkunden und wuchtete mein Rad aus dem Kombi. Einige Fahrzeuge standen dort schon  und mit einem Fan, der die gleiche Idee hatte, kam ich ins Gespräch. Er besaß Karten für den vorderen Bereich, satte 200 Euro löhnte er dafür bei Ebay. Schon gegen elf war er am Gelände gewesen, dort wurden Nummern verteilt, so dass auch im vorderen Bereich der Einlass punktgenau geregelt scheint. Er trug die Nummer 304 und sollte gegen 14:30 wieder dort sein, um gegen 15:00 nach innen geführt zu werden. Aber sieben Stunden auf trockenem Geläuf wären mir dann doch zuviel, zumal der Platz ja futsch ist, wenn du aufs Klo musst.

Ich schwang mich aufs Rad, gondelte durch den Wald und landete nach 15 Minuten am Jim Clark Denkmal, der hier in Hockenheim tödlich verunglückte. Anschließend radelte ich am Zaun vorbei Richtung Eingang. Mit mir waren schon etliche Konzertbesucher unterwegs, fast alle hatten T-Shirts von Springsteen an – die hier vor Ort 50 Euro kosteten, Das ist auch so ein Phänomen bei Springsteen, aber auch bei Depeche Mode: Hier trägt man Shirts vom Boss, resp. DM. Auf den meisten andere Konzerten, die ich so besuche, scheint es nahezu verpönt, Shirts des Acts zu tragen – im Gegenteil: Man zeigt seinen besonderen Geschmack auf die vielfältigste Art und Weise. Heute jedoch regierte der Boss. Einer hatte ein Judas Priest Shirt, ein andere trug Ian Hunter – alle anderen waren ordnungsgemäß gekleidet. Sie saßen vor den Kurven an den Ständen und aßen Grillwurst und tranken Bier. Markant die geschwungene Tribüne, an der ich schon so oft auf dem Weg nach Stuttgart vorbei gefahren bin. Mein Weg führte mich an den Tribünen vorbei bis zum Einlass für den Innenraum. Dort campten schon die ersten und warteten auf das Öffnen der Türen.

Ich gondelte weiter nach Hockenheim-City, noch blieb der Verkehr überschaubar, auch in der Stadt. Zwar waren Restaurants und Cafés gut besetzt, aber es war ein leichtes Durchkommen – bis zum örtlichen Eiscafé. Genau der richtige Ort für ein Päuschen, um anschließend meine Runden durch den Ort zu drehen. Aus allen Ecken zogen nun die Springsteen-Shirts in Richtung des Rings, ich radelte auf die andere Seite und betrachtete das Geschehen aus der Nähe, dort, wo die die Front Row Besucher in Reih und Glied auf ein Kommando warteten. Anschließend kurvte ich gemächlich zum Auto, ignorierte die wenigen Regentropfen, um nach einem kurzem Stopp noch einmal in den Ort zu rollen, in dem ich geparkt hatte. Hier war wenig von der Aufregung des Konzertes zu spüren. Bei einem Bäcker gönnte ich mir noch einen Kaffee sowie ein Nussplunder, dann ging’s ein letztes Mal zum Dacia. Mittlerweile drehten am Parkplatz etliche Wagen ihre Runden,  die Kennzeichen gaben sich international.

Gemächlich radelte ich wieder durch den Wald, passierte das Memorial erneut und merkte nun, dass es langsam voller wurde, auch waren schon etliche Räder angekettet. Irgendwo auf halbem Wege schloss ich auch meines an, die Regentröpfchen hatten sich verzogen, und ich schlenderte mal hier hin, mal dort hin, um gegen 17 Uhr ohne Ansteherei durch den Eingang zu spazieren. Konzertbeginn sollte um 19 Uhr sein – und doch war auf dem riesigen Gelände schon einiges los. Essens- und Getränkestände warteten auf Kundschaft, und neben den Dixie-Klos gab es frisches Wasser an improvisierten mobilen Waschbecken. Das war auch gut so, mein Hals war ob der staubigen Wege recht trocken.

Die Sitzplätze auf den hinteren Tribünen waren irrsinnig weit von der Bühne entfernt – und auch der einfache Innenraum ließ viel Platz zwischen Bühne und Fan, da wirkt die Festhalle schon fast intim und das Stadion überschaubar. Die ersten beiden Bereiche nahmen viel Raum ein und durften nur mit speziellen Karten betreten werde, wobei die second Row auch schon weit von der Bühne entfernt schien, wenn du am hinteren Ende standest. Aber die Sitzplätze, die weitaus teurer als die Stehplätze waren, toppten alles. Von daher war klar: Mach dir einen entspannten Abend ohne Stress, außer der Leinwand wirst du eh nicht viel sehen – und so kam es dann auch.

Ich suchte mir ein Plätzchen zum Chillen, legte mich ins trockene Gras, futterte später ein paar Gemüsenudeln, drehte meine Runden und nahm wahr, wie sich das Areal langsam füllte – bis es gegen 19 Uhr allmählich unruhig wurde. Doch es sollte noch zwanzig Minuten dauern bis die E-Street-Band die Bühne enterte. Noch war es taghell, und dann one, two, three … und los ging es mit No surrender vom Born in the USA Album. Der Sound war grottig, sollte sich aber langsam und stetig optimieren. Zwei Leinwände neben der Bühne sowie zwei weitere links und rechts auf dem Gelände sorgten dafür, dass fast jede/r etwas sehen konnte, wobei das Bild nicht lippensynchron übertragen wurde und es eine zeitlang dauerte, bis ich mich daran gewöhnt hatte. Mit Letter to you folgte im vierten Song ein erster Höhepunkt, doch während der ersten halben Stunde sollte der Funke nicht richtig überspringen, erst mit dem Commodores Cover Nightshift glühte es auf. Dann spielte sich die Band warm, der Sound passte und es wurde ein richtig schönes Konzert, wie man es von der Band gewohnt ist. Emotional wurde es bei The River und Last man standing, auch wenn die Übersetzung von Springsteens spontaner Rede schon eingblendet wurde, bevor er sie hielt. Er erinnerte an einstige Mitstreiter seiner Anfangsjahre – und wir hatten alle eine Träne im Auge. Bei Because the night sangen alle mit, außer die, die filmten oder schwätzten und bei Badlands hatte er sie alle in der Tasche, der Boss.

Hochroutiniert. spielfreudig, allerdings ohne – wie früher – gewohnt das Set durch Musikwünsche zu ändern, spielte sich die Band durch die Zeit und in die Dunkelheit, Thunder road, Born to run und natürlich Dancing in the dark, einer der größten, wenn nicht der größte Live-Song ever. Das Konzert machte Spaß, keine Frage, aber vielleicht war alles ein Stück zu routiniert, die Inszenierung zu perfekt – es war ein großer Abend, der mit dem leisen I’ll See You in My Dreams zu Ende ging. Keine drei Stunden spielten sie und ich hätte mir durchaus noch Jungleland, Atlantic City, Hungry Heart oder The ghost of Tom Joad  gewünscht – aber mit seinen 73 Jahren ist Springsteen auch kein Jungspund mehr – und dafür war der Auftritt immer noch großartig. Vor allem, da auch an die verstorbenen Bandmitglieder Danny Federici und Clarence Clemence, dessen Neffe nun das Saxophon spielt, gedacht wurde.

Nun strömten die Massen zum Ausgang, es erhob sich ein rechtes Gedränge aber ohne Stress, und es dauerte ein Weilchen, bis wir den Ring verlassen konnten, ein spontan geöffneter Zaun war dabei hilfreich. Die Wege staubten, gedankenverloren zogen wir dahin, bis ich nach einer weiteren guten viertel Stunde mein Rad erreichte, welches ich mit der Masse noch eine ganze Weile schieben musste, selbst der Waldweg ward nun zum Highway. Fußgänger zur Rechten, Radler zur Linken zogen in endlosen Karawanen des Weges – doch am End konnten die Radler zügig radeln. Ich packte mein Rad wieder in den Dacia zurück, parkte zwischen den nun doch reichlich am Wegesrand stehenden Autos auch ohne Servo gekonnt aus – und rollte ohne nennenswerte Vorkommisse nach Frankfurt zurück. Gegen halb eins landete ich wieder im Nordend und fand sogar einen Parkplatz. Da standen viele der anderen immer noch in Hockenheim oder warteten am Bahnhof auf einen Zug, der doch nie kommen wird. Ich trank eine Limo und dachte bei mir: „… We learned more from a three minute record Baby, then we ever learned in school.“