Und schon wieder heißt es: Rucksack packen. Diesmal geht es nach Hamburg, die Eintracht tritt zum Pokalspiel bei St. Pauli an und die Fanabteilung nutzt die Gelegenheit, die Eintracht den Hamburger Mitgliedern näher zu bringen. Von daher reisen wir schon einen Tag vor dem Spiel an, abends steht ein Veranstaltung auf dem Programm, erwartet werden Präsident Peter Fischer und Axel Hellmann, Vorstand der Eintracht Frankfurt Fußball AG.

Und wieder einmal rollt die Straßenbahn 12 mit uns durch den frühen Frankfurter Verkehr Richtung Hauptbahnhof, erstmals seit langem sind keine kurzen Hosen im Gepäck, statt dessen der Wintermantel, der die letzten Monate im Schrank verbracht hatte. Im Januar war ich letztmals in Hamburg, wir standen auf der Plattform der Elbphilharmonie und der Wind hat uns beinahe in die Elbe geweht, ganz so eisig wird es jetzt nicht, frisch aber ist’s an der Elbe immer.

Kurz vor neun Uhr sind wir am Gleis 8, Kathrin ist schon da, Henning kommt nur wenig später und schon rollt der Zug aus Stuttgart ein, kaum sitzen wir, geht die Reise auch schon weiter. Über den Main verlassen wir Frankfurt, rollen nach Offenbach, Hanau und weiter hinaus Richtung Gelnhausen, vorbei an den Hügeln des Spessarts, an Steinau an der Straße, an Schlüchtern, bis wir in Fulda kurz halten. Ich schaue aus dem Fenster, draußen lebt die wirkliche Welt, wirkt jedoch wie eine Märklin Kulisse, während ich im Zug eine seltsame Beschütztheit fühle. Ich lese den neuen Asterix, Kassel, Hannover, Hamburg Harburg, Hauptbahnhof. Wir sind da, rauchen eine schnelle Zigarette und nehmen uns ein Taxi Richtung Reeperbahn. Nur ein paar Meter vom Millerntor entfernt liegt unser Hotel zwischen den „Tanzenden Türmen“, ich summe „An den Landungsbrücken raus“ von Kettcar, wie immer, wenn ich in Hamburg einrolle. Wir checken ein, unser Zimmer ist groß, durch das runde Fenster fällt der Blick auf die Kastanienallee, rechter Hand beginnt die Reeperbahn. „Reeperbahn, wenn ich dich heute so anseh‘, Kulisse für ’n Film, der nicht mehr läuft, Ich sag‘ dir, das tut weh…“ sang Udo Lindenberg schon Ende der 70er – und besser ist es ja dann auch nicht mehr geworden.

Nach einer kurzen Besprechung machen sich Pia und ich auf in Richtung Schanzenviertel, wir passieren das Millerntor, drehen eine Runde durch das Karolinenviertel und landen wie so oft im Olympischen Feuer, eine gemütliche griechische Kneipe mit handfestem Essen und freundlichem Personal, ich denke nicht, dass ich in Hamburg schon einmal woanders gegessen habe, seit ich den Laden mit meinem Kumpel Andi vor gut 10 Jahren entdeckt hatte. Tradition verpflichtet.

Dann machen wir uns auf zum Veranstaltungsort. Dieser befindet sich in einem altem Stückgutfrachter jenseits der Elbe liegend, die MS Bleichen. Zu Fuß scheint der Weg kaum machbar, wir nehmen an der Sternschanze die S-Bahn Richtung Veddel, überqueren die Elbe und müssen uns erst einmal orientieren. Zwei Hamburger Jungs erklären uns zumindest die Richtung, wir laufen über den viel befahrenen Veddeler Damm, lassen einen alten Güterzug mit Tausenden Waggons passieren und fragen unterwegs erneut nach dem Weg. Bald erreichen wir eine Abzweigung, die auf ein Hafengelände führt, es erscheint quasi privat. An alten Kränen vorbei tasten wir uns in der Abenddämmerung vorsichtig hinein, nach einigen Metern erkennen wir den Schriftzug MS Bleichen, wir haben es geschafft – und sind an Bord des alten Frachters, der 1958 vom Stapel gelaufen ist, anschließend die Weltmeere durchpflügte und nun als Eventlocation dient..

Kathrin und Henning sind auch schon vor Ort, bereiten die Kulisse für den Abend vor. Die Eintracht hat in und rund um Hamburg 700 Mitglieder, für sie ist der Abend gedacht. Einst wurden hier unter Deck die Fässer, Kisten oder Säcke geladen, die dann am anderen Ende der Welt landeten, jetzt leuchtet der Raum in den Farben der Frankfurter Eintracht. Vielleicht noch schöner die Beleuchtung draußen. Strahler leuchten das Schiff rot an, der Eintrachtadler auf Container und Schornstein projiziert, hurra, hurra, die Frankfurter sind da. Sogar unser Kumpel Ingo ist gekommen, dessen Herz ja für Werder Bremen schlägt.

Kathrin und Pia sind bereit für den Einlass, es ist angerichtet, die Hamburger entern das Schiff, die Crew steht bereit. Moin heißt es hier, wir antworten: Gude. Der Raum füllt sich rasch, es gibt Bier und Currywurst, aus den Lautsprechern erklingt „Shiny happy people“ von R.E.M. Pünktlich treffen auch Peter Fischer und Axel Hellmann ein, nach einer kurzen Begrüßung von Henning geht es los.

Zunächst hält Peter Fischer trotz Erkältung eine flammende Rede, schlägt den Bogen von den Relegationsspielen gegen Nürnberg als die Eintracht wieder einmal am Abgrund taumelte, über die Endspielen 2017 und 2018 und die anschließende phantastische Reise durch Europa. Natürlich bekräftigt er die klare antifaschistische Haltung der Eintracht und er erntet dafür stehenden Applaus.

Dann habe ich die Ehre mit Axel und Peter noch einmal die Zeiten Revue passieren zu lassen, beide sind ja untrennbar mit der Fanabteilung verbunden, Axel als Gründungsmitglied und Peter als derjenige, der seine Präsidentschaft im Jahr 2000 eng mit der Gründung der Fanabteilung verknüpft hat. Zweimal hatte Peter sein Amt zur Verfügung gestellt. Einmal als es um die Gründung der Abteilung ging, das andere Mal, als er Axel Hellmann zum Geschäftsführer des Vereins bestellen wollte, beide Male konnte er sich in den Gremien durchsetzen, die Abteilung wurde gegründet und Hellmann Geschäftsführer des Vereins – bis er 2011 in den Vorstand der Fußball AG wechselte. Großprojekte wie der Umbau des Riederwaldes wurden gestemmt, jetzt steht der nächste Umbau an, allerdings im Frankfurter Stadtwald. Die Eintracht wächst auf allen Ebenen. Anschließend starteten wir eine kleine Fragerunde mit den Mitgliedern, Axel und Peter standen Rede und Antwort, nahmen ebenso Stellung zur Einheit von Verein und AG, zum Frauenfußball wie zur UEFA und den drohenden Kollektivstrafen.

Mit einem launigen Quiz und einigen Schöppchen ging der Abend zu Ende, die Fans waren begeistert und wir sind sicher, dass wir wieder kommen werden. Ein Taxi brachte uns sicher ins Hotel, nach einem Absacker ging es dann in die weichen und bequemen Betten.

Matchday

Die Nacht war kurz und traumlos, das Frühstück reichhaltig – nur Henning ist angeschlagen, er hat es schon bei Union Berlin nicht ins Stadion geschafft, auch heute stehen die Sterne eher ungünstig. Pia und ich treiben über die Reeperbahn, laufen runter zu den Landungsbrücken, an der Elbe weht ein Wind, ich kaufe mir ein Tuch für den Hals, ehe wir die Hafenfähre 62 entern und über die Elbe schippern. Das Oberdeck ist voll, Kindergruppen sind unterwegs, Hamburger Rapper mit Hamburger Rapper Hunden, Touristen. Vorbei gehts am Fischmarkt, an Övelgönne und den Elbstränden bis Finkenwerder und retour. Ein blauer Sonnenhimmel beleuchtet uns, ein gigantisches Containerschiff zieht vorbei. In Altona verlassen wir das Boot, wandern über den alten Elbtunnel auf die gegenüberliegende Seite, sind froh, dass es im Tunnel nicht tropft und marschieren vor zum Aussichtspunkt. Hier hast du einen wunderbaren Blick auf Hamburgs Skyline, rechter Hand die ElPhi, geradeaus der Michel und das Bismarck-Denkmal. Die Fähre „Wolfgang Borchert“ zieht zum wiederholten Mal an uns vorbei, wir beobachten die Möwen und die Spatzen, die auf die Krümel der Fischbrötchen warten, die an der Bude frisch zubereitet werden. Pia sortiert derweil die leeren Flaschen in die Bierkästen.

Dann gehts durch den Tunnel, der schon seit geraumer Zeit renoviert wird, zurück an die Landungsbrücken, weiter Richtung Sternschanze. Graffitis jeglicher Art an den Häusern weisen den Weg, der uns wieder einmal ins Olympische Feuer führt. Von dort geht es zurück durch St. Pauli ins Hotel zum relaxen, ein Tee wärmt uns, der Abend legt sich über Hamburg. Henning ist wirklich angeschlagen, er wird heute Abend nicht mit ins Stadion kommen, wir versuchen, sein Ticket über Twitter noch an den Mann resp. die Frau zu bringen. Marco meldet sich, er freut sich, überraschender Weise doch noch das Spiel sehen zu können. Dann geht es raus zum Spiel.

Am Wappen vor dem Haupteingang treffen wir Ingo und seine Kollegen, trinken ein Bierchen und verabreden uns mit Marco zwecks Ticketübergabe – es klappt tadellos. Und so wandern Pia und ich weiter zum Gästeeingang an der Feldstraße, treffen an der Jet-Tanke jede Menge Leute, erfahren, dass es einige Frankfurter erwischt hat. Wir wurden vorgewarnt: Aufpassen, der St. Pauli Anhang ist in Teilen auf der Suche nach Fanklamotten der Eintracht, haltet euch bedeckt. Wasserwerfer und Räumpanzer warten auf ihren Einsatz, die Atmosphäre ist gleichermaßen entspannt wie ungemütlich.

Am Einlass ist schon einiges los, die ersten Meter gehen flott – dann geht gar nichts mehr. Minute um Minute verrinnt, am Einlass passiert nichts. Drinnen hört es sich nach Feuerwerk an, wir stehen draußen. 10. 20. 30 Minuten, dann geht es weiter – ein kleiner Korridor, umsäumt von behelmter Polizei, lässt wenig Raum. Eine Karte will niemand sehen, kontrolliert wirst du auch nicht, es ist so albern wie sinnlos, wir sind drin, nehmen die Stufen hoch auf unsere Plätze, drehen uns um – und die Eintracht führt 1:0. Dost hatte in der ersten Minute getroffen. Na immerhin.

Kaum haben wir uns halbwegs orientiert, fällt das 2:0, eine gute Viertelstunde ist gespielt, erneut hat Dost getroffen. Auf der Anzeigetafel wird Hamburgs Nummer 9 eingeblendet – ehe es auffällt und doch Dost als Torschütze angezeigt wird. Doch wer gedacht hatte, das Ding ist durch das lockere 2:0 im Sack, der wurde in der Folgezeit eines Besseren belehrt. St. Pauli mit dem Ex-Eintrachtler Flum fuchst sich langsam zurück ins Spiel – und bekommt kurz vor dem Halbzeitpfiff einen fragwürdigen Elfmeter zugesprochen, den Sobota auch noch verwandelt. Nun erwacht auch das Hamburger Publikum, dass zuvor mehr oder weniger am dösen war.

Die Ultras St. Pauli empfangen die Teams zur zweiten Hälfte mit Glitzerlicht, Hinteregger wie Chandler bleiben in der Kabine, für sie kommen  Abraham und Da Costa, das Millerntor war nun erwacht, aber keinesfalls überragend, auch unser Support bleibt eher überschaubar. Die Eintracht aber wird durch St. Pauli mächtig unter Druck gesetzt, wobei Torchancen auf beiden Seiten Mangelware bleiben. Bloß keine Verlängerung denken alle, keineswegs souverän agiert die Eintracht, die vielen Spiele der letzten Monate fordern ihren Tribut. Als Flum ausgewechselt wird, kommt die Stadionsprecherin mit den Namen durcheinander, einer der Höhepunkte der zweiten Hälfte. Letztlich bleibt es beim knappen 2:1 der glorreichen SGE, der Einzug ins Achtelfinale ist geschafft, die Mannschaft wird noch ein bisschen gefeiert, ehe es in die Hamburger Nacht geht.

Weit aber kommen wir nicht, die Polizei lässt uns nicht durch. Erst kommen wir nicht rein, jetzt kommen wir nicht raus, stehen in der kalten Nacht sinnfrei vor dem Eingang, umrundet von behelmter Polizei und werden unruhig. Ein Sprecher faselt etwas von einem „Sonderzug“, von dem niemand etwas weiß – und so langsam bekommt man eine Ahnung, weshalb der G20 Gipfel hier völlig in die Hose ging. Plötzlich können wir über die Tankstelle in die Freiheit, eine weitere Sinnlosigkeit, die wir jedoch gerne nutzen, Dario und Stefan sind bei uns, berittene Polizei trampelt an uns vorbei, wir schlüpfen über die Straße Richtung Reeperbahn. Später erfahren wir, dass dieser Weg auch wieder dicht gemacht wurde. Auf der Wohlwillstraße rennt ein Trupp aus der Abteilung „Freizeitsport“ aufgeregt an uns vorbei, an den Kiosken und Kneipen stehen die Leute auf der Straße und trinken Bier.

Wir wandern rüber an die Pils Börse, mitten zwischen unseren Hotels gelegen, trinken noch ein Bier, treffen haufenweise Frankfurter, aber irgendwie ist’s drinnen zu laut und draußen zu ungemütlich. Pia verabschiedet sich früh, ist müde, ich bleibe mit Dario und Stefan noch ein Weilchen, ehe ich mich durch Halloween-Kostümierte über die bunt beleuchtete Reeperbahn schiebe, „Reeperbahn, wenn ich dich heute so anseh‘, Kulisse für ’n Film, der nicht mehr läuft, Ich sag‘ dir, das tut weh…“ vor mich hin summe und froh bin, im warmen Zimmer zu landen. Pia wacht kurz auf, alsbald falle ich in die Koje und in einen Schlaf.

Fazit: Hamburg ist immer eine Reise wert, das Millerntor ein prima Stadion, die Hamburger Polizei samt Planung eine Katastrophe, vor Teilen der Anhänger St. Paulis musst du dich auch als Normalo in acht nehmen und Budnikowsky wirbt mit einem Totenkopf, statt Knochen jedoch gekreuzte Klobürsten, fürwahr ein passendes Symbol. Kaiserslautern, Karlsruhe und Saarbrücken haben wie die Eintracht den Sprung ins Achtelfinale geschafft, die Auslosung wird spannend. Vielleicht fahren wir ja sogar wieder nach Berlin, Hertha und Union sind auch noch dabei.

Nach einem üppigem Frühstück bringt uns ein Taxi über die Alster wieder zurück an den Bahnhof, die Bahnsteige sind eng, Rollkoffer drängeln, der Zug hat ein paar Minuten Verspätung. Wir sitzen jetzt in einem Abteil, Henning ist noch nicht wirklich fitt, Kathrin nimmt einen Zug später, andere Mitreisende sitzen bei uns. Und so rollen wir wieder zurück, der Halt in Hannover ist zu kurz für eine Zigarette, das W-Lan wacklig, am Fenster sitzt jemand anderes – über die Kopfhörer pluckern Heather Nova und Nick Cave, ich blätter im Hamburger Abendblatt von gestern, ein Blatt genau so konservativ und reaktionär wie die hiesige SPD, deren Bürgermeister Olaf Scholz und einem Innensenator Grote unter dessen Ägide hier für Recht und Unordnung gesorgt wird. Draußen an der Elbe ist’s schön. Jetzt passieren wir Gelnhausen, überqueren den Main und landen nahezu pünktlich am Frankfurter Hauptbahnhof. Dort verabschieden wir uns von Henning, nehmen die U4 zur Konsti, dann die 18 zur Friedberger, ein paar Schritte noch und wir sind wieder zuhause. Hurra, hurra, zwei Frankfurter sind da.

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