Wieder einmal nehmen wir unser Frühstück im Monte Carlo, der ältere Besitzer strahlt, wir tun es ihm gleich. Er ist Anhänger von Braga, von daher wird er uns heute die Daumen drücken. Die Eintracht spielt in Guimaraes, Matchday. Also raus.
Wieder einmal ist der Ticketerwerb nicht sonderlich selbsterklärend, wir werfen im Bahnhof Sao Bento Geld in den Automaten, ein Kärtchen fällt nach unten, möge es für die Strecke auch seine Gültigkeit bewahren. Stefan und Dario sind gleichfalls pünktlich und schon steigen wir in die Bahn, die sich nach und nach ordentlich füllt. Um 10:25 Uhr gleiten wir los, rollen am Douro entlang und verlassen nach einigen Stopps gemächlich Porto. Nach wenigen Kilometern kommt der Fahrkartenkontrolleur, wir haben Glück, unsere Tickets sind gültig. Zumindest bis hier her.
Über eine Stunde brauchen wir bis nach Guimaraes, dort angekommen verabschieden wir uns für’s Erste von den beiden. Während sie ein Hotel um die Ecke beziehen, müssen wir hoch ans Stadion und noch ein paar Meter darüber hinaus. Und hoch heißt auch hier: Hoch. Vorbei an der Altstadt schieben wir uns mit leichtem Gepäck Richtung Guesthouse, das meiste haben wir in Porto gelassen, da wir unser Zimmer auch dort behalten haben. Offiziell können wir erst in zwei Stunden einchecken, vielleicht haben wir Glück. Nach einer guten Viertelstunde erreichen wir das Stadion, das von außen recht schmucklos wirkt, nach weiteren 10 Minuten und einem steilen Anstieg sind wir an der Unterkunft – und haben Glück. Unser Host Maria ist vor Ort, wir können vor der Zeit ins Zimmer, ein kleiner Raum, sauber und ordentlich, wie es der Deutsche erwartet. Um die Ecke ist noch ein kleiner Pool, doch da wir keine Badesachen dabei haben, lässt er uns kalt.
Kaum angekommen, sind wir auch schon unterwegs. Am Fuße des Stadions auf der anderen Seite der Straße wartet ein kleiner Gemüseladen auf Kundschaft, wir holen uns eine Cola, lehnen dankend das für einen Euro offerierte Bier ab und verweisen auf heute Abend. Dann treiben wir in die Altstadt. An allen Ecken und Enden hocken natürlich Frankfurter und lassen es sich bei Bier oder Tapas gut gehen. Hier sitzen Susi und Helga, dort die Fatboys-Gang überall ein großes Hallo. Lustigerweise ist im gleichen Hotel wie Stefan und Dario auch das Team von Guimaraes untergebracht. Wir schlendern von Tisch zu Tisch, hören Geschichten der Fans, die über Brüssel oder Luxemburg, über Mailand und Madrid angereist sind, bis wir in eine ruhigere Seitenstraße geraten. An der Ecke sitzt Arno bei Vinho Verde, ein paar Schritte weiter unten warten Moni und Ingo auf ihr Essen. Der Laden sieht gut aus, wir setzen uns dazu und keine 10 Minuten später landen gegrillte Sardinen auf meinem Tisch. Später schlendern wir über die Stadtmauer, trinken in einem Straßencafé außerhalb der Altstadt ein erstes Bier und brechen langsam auf Richtung Stadion.
Bald sind wir zurück am kleinen Gemüseladen, holen uns einen Sixpack und setzen uns auf die Stufen unterhalb unseres Eingangs und beobachten die Karawanen, die langsam nach oben zum Gästeeingang wandern. Die Schobberobber Holgers kommen mit Klaus vorbei, gesellen sich zu uns, von unten winken Ariane und Storchi und weitere tausend Leute. Moritz hat noch ein paar Tickets in der Tasche, er verschenkt sie an den Gemüsemann und kommt freudestrahlend zurück: „Mensch Beve, der hat sich gefreut“, lacht er.
Und so vergeht die Zeit im Nu, ich hole noch zwei weitere kleine Bier, bekomme ein Tütchen mit Nüssen geschenkt, bis auch wir uns zum Eingang aufmachen. Dort angekommen, muss ich meine kleine Kamera abgeben, erstmals nach Hunderten von Auswärtsfahrten, mir schwillt der Kamm. Wenigstens ist die Abgabestelle gleich um die Ecke, die Warterei sowohl dort als auch am Eingang kurz. Ich gebe Janines Powerbank gleich mit ab, dann wandern wir im Block ganz nach oben, Platz ist genug. Auch Holger steht neben uns, wir haben schon in Tel Aviv gemeinsam ins Meer gepinkelt, so etwas verbindet.
Das Stadion ist bei weitem nicht ausverkauft, die Musik recht gut. Vor Anpfiff präsentiert die gegenüber liegende Kurve ein riesiges Banner, es leuchtet auf Seiten der Anhänger von Guimaraes recht bunt. Plötzlich gibt es Trouble. In Sekundenschnelle hat sich der Eckblock an unserer Kurve gefüllt, Pöbeleien, fliegende Stühle. Wir stehen weit weg, können kaum etwas sehen. Dann geht es los.
Bei der Eintracht steht ob der Verletzung Trapps Rönnow im Tor, auch Hasebe fällt aus. Dafür ist N’Dicka mal wieder dabei – und Rode. Guimaraes setzt unsere SGE mächtig unter Druck, die Eintracht wackelt – sie fällt aber nicht. Und aus dem Nichts geht sie sogar durch N’Dicka in Führung. Die Kurve singt und tobt, bis es in die Halbzeit geht. Nach der Halbzeit ein gleiches Bild, Vitoria spielt, die Eintracht wackelt – und hält bis zum Ende den Kasten sauber, vor allem für Rönnow freut es mich. Nach Abpfiff müssen wir noch eine halbe Stunde warten, „Im Herzen von Europa“ klingt durchs weite Rund, bis wir endlich das Stadion verlassen dürfen. In der Schlange vor der Abgabestelle treffe ich auf Vatmier und Anjo. Während Vatmier wichtige Medikamente abgeben musste, wartet Anjo auf seine Badeente.
Da es mittlerweile angefangen hat zu regnen, fällt unser nächtlicher Ausflug in die Altstadt ins Wasser. Um Mitternacht habe ich Geburtstag, eigentlich wollte ich gemütlich reinfeiern – daraus wird jetzt nichts. Aber ein paar Meter unterhalb des Stadions ist eine Kneipe, ein paar Frankfurter sind schon drin, wir gesellen uns dazu – und erkennen die Fatboy-Gang. Ernst drückt uns einen Brandy in die Hand, wir nehmen noch ein Bierchen dazu, quatschen über Gott und die Welt, bis sich einer nach dem anderen verkrümelt. Kurz vor Mitternacht holen wir uns noch ein Roadbier, Punkt zwölf stehen Pia und ich unter einer Brücke mit einem Super Bock im Regen. Wir stoßen an, erste Glückwünsche trudeln ein. Wenig später liegen wir in der Koje.
Tag V
Nach einem überraschend gutem Frühstück im Guesthouse zieht es uns wieder nach Porto. Es regnet nicht mehr, trockenen Fußes erreichen wir den Bahnhof, und erfahren, dass die schon gekauften Tickets nicht für die Rückfahrt gültig sind, bzw erst ab einer Zwischenstation. Bis dahin erstehen wir zwei neue, treffen auf Jens und Anette und entern gemeinsam die Bahn, die auch bald ankommt. Kaum dass wir los gefahren sind, kommt auch der Kontrolleur, alles ist in Ordnung – und wir hoffen, dass es auch so bleibt, wir haben nämlich keine Lust, auf halber Strecke aus der Bahn zu springen, um die anderen Tickets zu entwerten – und die Bahn zu verpassen. Alles geht glatt, jetzt hoffen wir, dass uns die verbliebenen Fahrten morgen elegant zum Airport bringen.
Anette und Jens verlasen uns an der Station Campanha, wir rollen weiter bis Sao Bento und wandern zurück in unsere Unterkunft, nicht ohne uns zuvor noch vom Cafébesitzer im Monte Carlo zu verabschieden. Zu unserer Überraschung packt er uns noch zwei Espressotassen als Geschenk ein, wir sind gerührt, machen Fotos und verabschieden uns herzlich. Wer weiß, ob wir uns noch einmal sehen werden. Dann schauen wir kurz in der Unterkunft vorbei, ehe es wieder in die Stadt geht.
Wir schlendern durch die engen Gassen von Sé und Ribeira, treiben hoch und runter und entdecken den kleinen nahezu versteckten Aufzug, der nach unten ans Kai fährt. Weiter geht es durch die dunklen Straßen der Hinterstadt, durch geschäftige Viertel und Hinterhöfe, vorbei an einsamen Plätzen und Gewimmel und Gewusel. Langsam werden die Beine schwer, hinter der Rua do Infante finden wir ein Plätzchen in einem Straßencafé, nebenan wird gebaut, LKWs schieben sich vorbei, Presslufthämmer tackern wie überall. Dann machen wir uns auf die Suche nach dem Ort, an dem Goncalo Paciencia vor einigen Wochen ein Bild getwittert hat. Damals saß er mit freiem Oberkörper vor einem Grill an einer Mauer mit Blick auf die eiserne Brücke. Für unser Gespür muss dieser Ort auf der weniger belebten Seite der Brücke sein. Wieder geht es nach oben, wir halten uns diesmal rechts, kommen an einem Parkplatz vorbei – und entdecken dahinter die Mauer, hier müsste es sein. Und tatsächlich haben wir ein gutes Näschen, wir können sogar die exakte Stelle lokalisieren. Vor uns die Mauer, der Blick über den Douro – und hinter uns parkende Autos und eine viel befahrene Brücke. Hier grillen portugiesische Fußballer in aller Öffentlichkeit auf einem Minigrill. Das hat sowas von Charme. Andere hocken in sündhaft teuren Restaurants. Wir stellen das Foto nach und wandern für ein kleines Päuschen zurück in die Unterkunft.
Dort angekommen hakt der Schlüssel zur Haustür. Besser gesagt: Er passt nicht wirklich ins Schloss. Pia probiert, ich probiere – es hilft nichts: Wir kommen nicht rein. Da das Schloss schon zuvor etwas wacklig war, gehen wir davon aus, dass jemand seinen Schlüssel abgebrochen hat. Nun ist guter Rat teuer. Ich rufe unseren Gastgeber an, der nicht in Porto wohnt, er verspricht Amalia vorbei zu schicken, die uns auch schon vor einigen Tagen begrüßt hat.
Na super, es ist unser letzter Abend in Porto, ich habe Geburtstag und statt irgendwo auf den Fluss zu schauen, Sardinen oder Brathähne zu essen, warten wir. Auf Amalia und auf die Antwort auf die Frage, was eine junge Frau wohl anstellen kann, um eine Tür zu öffnen. Eine gute dreiviertel Stunde später ist sie mit einem Freund vor Ort. Auch ihr Schlüssel passt nicht. Sie registrieren das Problem und kennen einen Handwerker, der sich um die Ecke mit Schlüsseln und Schlössern beschäftigt. Keine fünf Minuten später kommt er, versucht mit schwerem Gerät das Schloss und später die Tür zu öffnen. Nach einer weiteren Viertelstunde ist die Tür offen. Das ist schon einmal gut, doch wie wird es um Mitternacht aussehen, wenn wir wieder nach Hause kommen. Vor allem, da er uns versichert, dass beide Schlüssel nicht zum Schloss gehören.
Oha. Wir gehen hoch in unser Zimmer, während Amalia und ihr Kumpel sich mit dem Schloss beschäftigen. Während wir einen Portwein auf der Terrasse trinken, bauen sie den Schnapper aus. Jetzt ist die Türe zwar offen – und zwar dauerhaft, dafür kann aber auch jeder rein. Wenigstens auch wir, das ist vorteilhaft, da wir morgen in aller Frühe Richtung Flughafen müssen. Und kaum wollen wir uns dann doch noch auf letzten Weg machen, klingelt es. Vor der Tür steht eine völlig zerknirschte Amalia und gesteht: Wir können heute Abend nicht mehr raus. Unser Appartement gehört einem anderen Besitzer, unser vorgeblicher Eigentümer hat die Wohnung selbst nur gemietet und seit Monaten illegal im Netz angeboten. Jetzt steht die Hausbesitzerin unten, hat das Schloss ausgetauscht und rückt für Amalia den Schlüssel nicht raus. Na, happy birthday. Aber wir könnten ja noch einmal mit ihr reden, auch wenn es zwecklos scheint. Aber sicher machen wir das.
Die Hausbesitzerin ist eine ältere Dame, die mit ihrer Tochter und Enkel im Treppenhaus steht. Mittlerweile kleben an der Haustür große Aufkleber, mit dem Hinweis, dass die Weitervermietung illegal ist. Immerhin, die Besitzerin spricht englisch, ist recht umgänglich und erkennt unsere Lage und unsere Unschuld. Doch es gibt nur diesen einen Schlüssel, er ist nicht zu kopieren. Aber mein Geburtstag und unsere fabelhafte Freundlichkeit bewegen sie letztlich doch dazu, uns den Schlüssel zu geben. Wir sollen in morgen früh in einen der Briefkästen werfen. Wir versprechen es hoch und heilig, machen uns ausgehfertig und verlasssen das Gebäude, nicht ohne zu checken, ob der Schlüssel auch wirklich passt. Er passt. Puuuh.
So geht es dann leicht aufgelöst Richtung Rua do Bonjardim in unsere Churrascaria, und wir futtern ein letztes Mal in Porto zu Abend, trinken einen Rotwein auf den Schreck und wandern früh zurück, noch ist der Tag nicht vorbei. Zum Abschluss trinke ich noch einen Port auf der Terrasse, höre leise Musik und bin sicher, dass diejenigen, die für die kommenden Tage unser Appartement gebucht haben, lange Gesichter machen werden. Und ich weiß, dass auch wir Teil des Problems sind, wenn wir in Wohnungen wohnen, die für die Einheimischen nicht zur Verfügung stehen; wenn wir Preise bezahlen, die für uns überschaubar, aber für diejenigen, die hier taxifahren, oder kellnern nicht zu leisten sind. Vor ein paar Jahren war das hier noch in Ordnung, kaum jemand reiste nach Porto, es gab Raum en masse, auch wenn vieles zerfiel. Und wir brachten ein paar Escudos oder Euros in die Stadt. Jetzt hat Porto die Grenze überschritten, wir Reisenden sind zu viele geworden, es gibt zu viel, welches nicht mehr für die Einheimischen ist und nur von Touristen genutzt wird, für Touristen gemacht wird. Das gleiche Schicksal, welches Venedig schon lange ereilt hat, trifft nun auch in den schmucken Bereichen Porto: Es wird eine Kulisse für Touristen, die diese Kulisse für Alltag halten. Und somit wird die Kulisse Gesicht und das eigentliche Gesicht verschwindet. So ziehen wir weiter dorthin, wo der Alltag authentisch ist, und sind damit erneut Vorreiter einer Wandlung, welche weiterhin die Leute vertreibt. Was tun?
Früh am Morgen sind wir wach, packen unsere wenigen Sachen zusammen und werfen die Schlüssel in den Briefkasten. Ein letzter Blick, schon liegt die Straße hinter uns, schon sind wir an der Metro, am Flughafen, am Security Check. Auch diesmal sitzen wir im Flieger getrennt. Adeus Porto, obrigado. Ob wir wieder kommen, steht in den Sternen. In Lissabon singen sie darüber traurige Lieder.