Ein Sammelsurium aus dem angebrochenen Leben

Horror in Nürnberg feat. Vollidioten

Es ist Freitag mittag gegen 11:30 Uhr. Irgendjemand hat uns über Nacht den Heckscheibenwischer geklaut. Merke ich allerdings erst, als der metallene Wischerarm während der Fahrt über die Scheibe kratzt. Ein Geräusch, dass in dir ein Gefühl verursacht wie man es ähnlich nach einem Eintracht-Spiel der letzten Wochen verspürt. Der Tag verspricht nicht wirklich frühlingshafte Temperaturen – aber auch keine Unwetter, wir sind wieder unterwegs. Pia, der Golf und ich. Uns begleiten neben British Sea Power und Rainald Grebe auch The Boxer Rebellion sowie David Bowie, Helmut Zacharias, oder eine Band mit dem schönen Namen My heart belongs to Cecilia Winter. Als The National laufen, singt Pia mit:

It’s a terrible love and I’m walking with spiders

It’s a terrible love and I’m walkin‘ in its quiet company

Seltsam, dass eine amerikanische Band über die Eintracht dieser Tage schreibt. Seltsam auch, dass jedesmal, wenn von Sade Soldier of love läuft, irgendjemand nach seinem Handy greift, um zu schauen, ob eine SMS angekommen ist? Macht mal den Versuch. Hat aber nichts mit der Eintracht zu tun.

Auf der Autobahn: Vollidioten. Wir taumeln von Stau zu Stäuchen, hinter Hösbach wird’s ernst. Deutschland baut sich neu; Stauen für den Frieden. Bei Wertheim Village am Almosenberg reicht es uns; wir verlassen den Highway und rollen auf die B8 – vorbei an den verkitschten Vollidiotenhäuschen, in denen wahrscheinlich überteuerte Sachen an Vollidioten verkauft werden – Cluburlaub, Clubeinkaufen, Clubverblöden. Wir müssen soviel kaufen, dass das Spritgeld wieder raus ist. Shop dich schön. Jetzt im Moment gibt dort übrigens Peyman Amin gegenüber Ferry’s Bistro Autogramme. Nichts wie hin. (Schreibweise Original). Auch wenn ich nicht weiß, wer das ist.

Wir haben andere Pläne, rollen über die Bundesstraße, ein LKW zieht eine Schlange PKWs hinter sich her, weiter weiter. Kurz vor Würzburg geht’s wieder auf die A3, bei Biebelsried wieder zurück auf die Bundesstraße. In Kitzingen an der Tanke wird Pias Adlerkarte nicht genommen – das ist keineswegs persönlich gemeint, das Teil wird vom Lesegerät einfach nicht erkannt. Würde ich derzeit genau so machen. Ein paar Meter dahinter in Mainbernheim scheint das Mittelalter noch lebendig; langgezogene Stadtmauern, steinerne Torbögen, malerische Türmchen ohne Outletverkauf dafür aber mit einglasigen Fenstern. Wir sehen bei unserem Spaziergang zwei Autos. Keinen Menschen. Was gibt’s zum Mittagessen? Tod mit Ketchup.

Weiter geht’s. Drinnen Musik und draußen Deutschland.

Wir erreichen Nürnberg gegen halb vier, leichter Nieselregen begleitet uns als wir zwischen City und Stadion im Stadtteil Galgenhof einen Parkplatz finden – bis zu Beginn des 19. Jahrhunderts parkten hier jedoch keine silbernen Golfs; ein Galgen verabschiedete die Sünder, auch die Unglücklichen.

Der Stadtteil wird durch die Bahnlinie von der Innenstadt getrennt, einen Falkplan haben wir nicht – aber einen großen Autoatlas; ich mache ein Foto vom Innenstadtbereich Nürnberg und fortan tragen wir ein mobiles Navigationsgerät mit uns. Wir wandern durch den Bahnhof, entdecken eine auf Platte aufgezogene Modelleisenbahn und lassen sechs Züge für 50 Cent kreisen; die Welt in einem Glaskasten – Figuren sitzen ein Leben lang unter einem Sonnenschirm, während die Bahn sie umrundet.

Altstadt Nürnberg. Kirchen und Bratwürste stehen für die Historie, Kaufhof und die Müller Drogerie für die Gegenwart. Es ist feuchtkalt, wir lassen uns zum Hauptmarkt treiben, suchen eine Bäckerei die wir nicht finden, entdecken einen nahezu historischen

Frisör, den wir nicht gesucht haben und bewundern die Fleischerbrücke, die schon Jahrhunderte auf dem Buckel hat und ein wenig an Venedig erinnert. Später sitzen wir im Gasthaus Andechs und gönnen uns ein Dunkles; dazu gibt’s wahlweise Schweinebraten oder Rahmschwammerl. Am Tisch gegenüber sitzen ein paar Nürnberger vom Gute Laune Fanclub Schwabach, trinken Bier und essen zu Abend; unauffällig, harmlos. Dennoch fällt mir auf, wie bescheuert ein Fußballtrikot bei einem erwachsenen Mann aussieht. Völlig egal was dort drauf steht. Richtig albern wird es erst, wenn Reklame für ein Etwas gelaufen wird, das mit Fußball nichts zu tun hat. Das Essen schmeckt.

Mittlerweile hat sich Ina gemeldet, die noch zwei Karten für uns hat; von ihr erfahren wir, dass das Spiel später angepfiffen wird – auf Grund des hohen Verkehrsaufkommens. Wir haben Zeit; marschieren in der anbrechenden Dunkelheit zum Auto zurück, trinken noch einen Schluck Tee und überlegen, noch ein paar Meter näher Richtung Stadion zu fahren, auf dass der Rückweg kürzer wird. Aber das optionale Verkehrsaufkommen lässt uns laufen, keine Lust, im Stau zu stehen oder keinen Parkplatz zu finden. Wir laufen, kaum ein Auto begegnet uns – dafür aber bis dicht zum großen Park und Dutzendteich jede Menge Parkplätze. Was soll’s, der Fußballverkehr scheint sich von der anderen Seite zu nähern, der Messeverkehr ein Ende zu haben. Bislang würde kein Mensch auf die Idee kommen, dass hier in der Nähe ein Bundesligaspiel stattfinden wird. Auch ist niemand im Park unterwegs – außer uns zwei warm eingepackten Frankfurtern. In der Ferne gleißt Flutlicht. Erst auf dem großen Messeparkplatz entdecken wir menschliches Leben – Vollidioten mit großen Autos geben Vollgas, andere werden von den Ordnern eingewiesen. Wir schlagen uns in den Wald, erreichen die Arena und umrunden das Frankenstadion, dessen Träger noch immer blau sind. Verblüffend, denn diese Farben haben nichts mit dem Club zu tun. So etwas kennen wir von zuhause aber auch.

Am Gästeeingang treffen wir Ina, sie gibt uns die Tickets und erklärt, dass die Busse fünf Stunden gebraucht hätten – von Frankfurt nach Nürnberg – oh heiliger Golf, danke, dass es dich gibt, verlass uns nicht.

Der Einlass geht flott – es ist nicht mehr allzulange hin bis zum Anpfiff. Ein Gitter verhindert den Weg aus dem Gästebereich hinaus, Begegnungen sollen vermieden werden. Wir quetschen uns in den Block, treffen Holger und Ruth, Kine und Jens und finden einen Platz mit vernünftgem Blick. Dort stehen wir und harren der Dinge die kommen werden. Noch vor dem Einlaufen präsentieren die Nürnberger eine Choreo (Gemeinsam mit Herzblut zum nächsten Sieg) während die Frankfurter ein bisschen leuchten. Im Block macht es auch Bumm. Kommt demnächst eine Rechnung ins Haus – bezahlbar, man hat ja Prämien gespart.

Nach dem Feuerwerk wird auf den Plätzen gesungen und supportet. Hände spreizen, klatschen – Sternenhimmel und so. Die Eintracht spielt ohne Amanatidis in der Anfangsformation, dafür aber mit Heller und Altintop, Rode und Vasoski. Ansonsten kennen wir die Pappenheimer noch vom letzten Kick; Franz nun als rechter Verteidiger. Es geht los, schon halte ich die Luft an – Vasoski hat einen Nürnberger im Strafraum behindert. War’s Foul? Nein sagt Schiri Kinhöfer. Hin und her rennen die Kicker, mein Nachbar fuchtelt mir mit den Händen im Gesicht rum, singt alles mit, was vorgegeben wird. Manchmal glaube ich, die kicken da unten absichtlich so schlecht, damit das Fangehampel endlich mal aufhört. Mein Nachbar zur Linken blökt alle fünf Minuten irgendwas von schwul, ein anderer plärrt alle drei Minuten spiel den Ball ab – völlig egal, ob der ballbesitzende Spieler diesen unter Kontrolle hat oder nicht. Als Heller den Ball vertändelt kreischt einer Köhler. Der spielt aber im Moment gar nicht, Meier auch nicht.

Unverdrossen singt die Kurve, wie immer kann man daran nicht ablesen, was auf dem Platz gerade passiert. Ich will Fußball gucken. Unten spielt Chandler für Nürnberg. Ich habe den jungen Mann mit der 26 oft am Riederwald kicken sehen, U19, U23. Jetzt spielt er gegen die Eintracht – freut mich für den Jungen, es gepackt zu haben. Der Stadionsprecher hingegen blökt alle naslang ins Mikro Auf geht’s; vielleicht ist er der Grund für den Fanschwund trotz des Erfolges, den eine Tageszeitung in Nürnberg konstatierte. Eine Schlagzeile, die ich mir für die Eintracht wünsche. Das Spiel wogt hin und her und ich überlege, was passiert, wenn Frankfurts Trainer den Spieler Amanatidis in der 87. Minute einwechseln würde. Dann hält Nikolov sensationell einen Kopfball des eigenen Verteidigers Russ. Es bleibt beim 0:0. Andere Szenen, die ich behalten habe, waren ein Zweikampf des Nürnbergers Wolf mit Schwegler, woraufhin Franz grantig wurde und ein Foul von Ochs am Nürnberger Torwart. Hab aber vergessen, in welcher Halbzeit dies war.

Zur zweiten Hälfte wird der Block voller. Der Stadionsprecher gibt wie gehabt den Animator, die Nürnberger Fans wedeln mit Fahnen, die Frankfurter durften ja keine mitnehmen – singen aber, denn Maddin erklärt, dass wir ja alle hier wären, um die Eintracht zu unterstützen. Ich denk mir, nö, ich will Fußball gucken. Dann schießt Rode ein Tor, das hat er toll gemacht. Kurzer Jubel, Bierbecherwurf – doch schon scheint klar, das Ding zählt nicht. Kriegen fast alle mit. Ein paar raffen es erst später, müssen noch Feuerwerk zünden. Sieht doof aus, nachdem das Tor nicht zählt.

In einer ruhigen Minute denke ich: mal schauen, ob es 0:0 ausgeht, das habe ich nämlich getippt. Batsch. 1:0 für Nürnberg. Schieber hatte einen Freistoß aufs Tor gezwirbelt und Oka den Oka gegeben. Dann wird bei der Eintracht gewechselt – mit der Folge, dass Amanatidis nun von Ochs die Kapitänsbinde bekommt und sich Köhler und Tzavellas über den Haufen rennen. Irgendwann verliert Altintop den Ball. Scheiß-Türke ruft einer über uns. Pia dreht sich um, hält dagegen. Der Rest schweigt. Dem 2:0 folgt noch das 3:0 – dann der Abpfiff. Es schneit.

Die Spieler nähern sich zögerlich der Kurve, Vereinzelte der fiesen Frisuren- und merkwürdigen Turnschuhträger auf den Rängen blöken Texte von Hurensöhne und Wichser, das gefällt den Fußballern nicht und sie kehren wieder um. Das sechste Spiel im Jahr 2011. 0:11 Tore, von 18 möglichen Punkten hat die Eintracht nur einen geholt – Grund für Übermut haben einzig die Clubfans. Die Frankfurter schauen neidisch nach Bochum, dort hat der einstige Kollege Korkmaz seinen zweiten Treffer erzielt. Auf der Anzeigetafel in Nürnberg sehen wir noch einmal die Treffer des Clubs. Wunden.

Konsterniert verlassen wir das Stadion, laufen durch den Schneeregen Richtung S-Bahn; zwei Meter vor dem Tunnel schlüpfen Polizisten aus dem Nichts, bilden eine Kette vor uns und versperren den Weg. Oben auf den Plattformen seien zuviele Menschen. Über uns der Schnee, neben uns Massen von Nürnbergern, die davon erzählen, dass die Frankfurter sich montags abends frei nehmen sollen, vor uns eine Polizeikette. Der richtige Zeitpunkt für einen spontanen Amoklauf.

Etwas später gibt die Polizei den Weg frei, es geht hoch auf die Gleise. Trunken vor Freude wollen ein paar Nürnberger eine U-Bahn nach Auschwitz bauen. Als ich meinen Mund aufmache, hält mich Pia zurück. Um dann selbst für Ordnung zu sorgen. Die Umstehenden glotzen blöde. Wer nicht hüpft, der ist ein Fürther. Leckt mich ihr Vollidioten. Als die S-Bahn kommt und die Türen sich öffnen, drückt die Masse Mensch wie Tiere hinein, in Duisburg wird’s nicht anders gewesen sein. Der Zug setzt sich in Bewegung, sie singen und patschen mit den Händen an die Verkleidung. Ich wünschte, ich wäre woanders. Im Hauptbahnhof noch einmal Gedränge, Geschiebe – wir halten uns fest, entrinnen dem Fußballgehassel, raus in die Kälte, zurück zum Auto, Galgenhof. Zurück gehts flott, der Golf schnurrt, bald hört es auf zu schneien.

It’s a terrible love and I’m walking with spiders

It’s a terrible love and I’m walkin‘ in its quiet company

3 Kommentare

  1. Fritsch

    Weiter geht’s. Drinnen Musik und draußen Deutschland. So sieht das aus, Axel. Und aus diesem Grund bin ich dann doch immer mit Euch unterwegs.

    Und die Bilder öffnen sich so schön auf dunklem Hintergrund. Eine Reise. Ein Traum. Eine Traumreise.

    Viele Grüße & weiterhin sichere Straßen,
    Fritsch.

  2. admin

    Mensch Fritsch, da hast du den Blog schon entdeckt – dabei bin ich ja noch am probieren. Danke dir für deine Infos, bislang klappt ja alles halbwegs. Manchmal ist gar nicht verkehrt, drinnen zu sitzen und so unterwegs zu sein.

    Machs gut

    beve

  3. Jupp

    Sehr schöner Text, großartige Band! Da entstehen selbst hier im warmen Südafrika winterlich-graue Bilder im Kopfkino.

    Das schlichte Design der Heimseite gefällt im Übrigen gut. „Stumpf ist trumpf!“ hieß es beim mukken früher immer bei uns.

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