Als ich so um die 20 war, las ich Heinrich Bölls Irisches Tagebuch. Und seither träumte ich von einem Besuch auf der grünen Insel. Ich verliebte mich in die Musik der Pogues, bewunderte Phil Lynott mit Thin Lizzy sowie Rory Gallagher, hörte Van Morrison oder Gary Moore aus Nordirland – und erinnere mich, dass Schreckensmeldungen aus dem Fernsehen der jungen Jahre oft aus Belfast kamen. Dazu George Best. W.B. Yeats. Ullyses. Die Zeit rann durch die Sanduhr des ewigen Werdens, doch bis nach Irland oder Nordirland hatte ich es in all den Jahren bislang noch nie geschafft. Bis jetzt. Tonight, there’s gonna be a Jailbreak …
Das Fanzine der Eintracht, Fan geht vor, für das ich hie und da tätig bin, veranstaltet regelmäßig eine Winterreise. So kam es, dass ich in den vergangenen Jahren mit anderen Eintrachtfans gemeinsam jeweils an Wintertagen durch Athen, Bilbao oder Valencia gestapft bin. Als jetzt die Idee nach Irland zu reisen ins Haus flatterte, konnte ich nicht nein sagen – im Gegenteil. Und so rollte eine verschlafene Kleingruppe in aller Herrgottsfrühe des 4. Januar 2024 in Richtung Flughafen Hahn. Einen ausführlichen Reisebericht über den Trip, über die Beteiligten und ihre Abenteuer im Detail findet ihr in der kommenden Fan geht vor, dort könnt ihr auch nachlesen, weshalb es keine gute Idee ist, irisches Privatgelände zu befahren oder wie es dazu kam, dass einer der Mitreisenden nachts seinen Hoodie föhnte.
Pünktlich hob der Flieger nach Kerry ab, mein Sitznachbar erklärte seiner Frau lautstark die Welt und drückte seine Arme und Beine selbstbewusst in einen Bereich der eigentlich mir zustand. Ich hielt halbherzig dagegen, blätterte in dem durchaus empfehlenswerten Büchlein von Lisalina Sagner über Irland und hörte Musik. Irische Musik. Mit Sinéad O’Connor und Shane MacGowan sind ja im vergangenen Jahr zwei irische Größen leider verstorben, Phil Lynott und Rory Gallagher weilen auch schon länger nicht mehr unter uns. I can’t believe the news today …
Die Iren leben in einer anderen Zeit, sprich bei Landung drehten wir die Uhr eine Stunde zurück und besorgten uns zwei Mietwagen. Leider hatten sie keine Automatikschaltung, ich musste also nicht nur auf der linken Spur aber auf dem rechten Sitz fahren, sondern gleichermaßen die Schaltung mit der linken Hand bedienen, – das willst du nicht zum ersten Mal im Berufsverkehr in Bangkok machen müssen. Fahrschul-Vibes, ich kann es euch sagen – mit der Konsequenz, dass ich bei der Rundfahrt um den Ring of Kerry zunächst kaum einen Blick für Schafe, grüne Hügel, Rinder und Atlantik aufbringen konnte, sondern arg achtgeben musste, den Renault Capture in der Spur zu halten. Doch mit der Zeit klappte es immer besser, auch wenn ich immer wieder beim Umschalten zunächst mit der falschen Hand an die rechte Tür stieß. Und aufpassen musste, keinen Leprechaun zu überfahren.
Irland, Nordirland. Diffuse Geschichtsbilder wabern durch den Kopf, Hungersnot, Fields of Athenry, Unabhängigkeit, Nordirland-Konflikt. In der Tat ist die Geschichte Irlands geprägt von Armut, Fremdbestimmung und Freiheitskampf. So richtig ruhig ist es erst seit 1998, hoffen wir, dass es noch eine Weile anhält. Denn die Insel ist wunderschön, die Menschen freundlich und jedes erzählte Klischee wird erfüllt. Natürlich nicht immer und überall, aber sagen wir so: Wir sind über 1000 km durch die Insel gefahren, vom Südwesten bis in den Norden und retour – unterwegs hat niemand gehupt.
Wir rollten an der Südwest-Küste entlang, besuchten den Stonecircle samt Fairy Tree in Kenmare, speisten in einem Pub in Killarney, staunten über die üppige Weihnachtsbeleuchtung in den Gärten und Straßen der Insel und übernachteten bei Gareth und Patricia mit Blick auf Carrigafoyle Castle. Wir überquerten am folgenden Tag den Broad majestic Shannon, ließen uns an den mächtigen Cliffs of Moher den kalten Wind um die Nase wehen – wobei dort der Parkplatz resp. Eintritt mit 12 Euro pro Person nicht gerade günstig ist und rollten weiter bis nach Galway (The boys of the NYPD choir were singing Galway Bay – and the bells were ringing out for Christmas day). In einem Musikgeschäft vor Ort besorgte ich mir eine kleine Flöte, später wanderten wir über den illuminierten Galway Continental Christmas Market, um an der Ecke im Pub wahlweise ein Guinness oder einen Tee zu trinken. Fish n Chips gab es später in Charlestown bis wir gegen Mitternacht nahe Donegal todmüde in die Kojen fielen und mühsam die Bilder eines ereignisreichen Tages sortierten. Viel Zeit blieb dafür nicht – zu früh klingelte der Wecker – doch dafür entschädigte ein ausgiebiges Frühstück in Donegal. Wenn ihr mal vor Ort seid, schaut im Blueberry Tea Room vorbei. Die Weihnachtsdeko dürfte mittlerweile abgebaut sein, aber die freundlichen Bedienungen sollten weiterhin für euch da sein. Und Kaffee gibt es auch. Irische Dörfer und Städtchen. Man muss sie einfach gern haben, die bunten Häuschen, die freundlichen Menschen, irgendwo steht immer ein Castle, plätschert ein Bach, lädt ein Pub zum Besuch ein und sagt jemand Hallo.
Dann mussten wir die Pläne umstoßen. Es war zeitlich unmöglich, sowohl die Cliffs von Slieve Leagues als auch Derry in Nordirland zu besuchen, geschweige denn dort ein Pokalspiel. Von daher tuckerten wir gemächlich in Richtung Nordirland, die Grenzkontrolle fiel aus, die Weihnachtsbeleuchtung auch, die Geschwindigkeitsbegrenzungen wurden nicht mehr in km/h angezeigt, sondern in Meilen. Die Spritpreise nicht mehr in Euro, sondern in Pfund.
Nordirland. Belfast Child. Konflikt. IRA. The Troubles. Protestanten, Katholiken. Briten. Iren. Ulster. Sunday bloddy sunday. In Derry. Wie gerne hätte ich mehr Zeit gehabt, für Irland, für Nordirland, doch wir rollten weiter, schauten uns in Enniskillen ein Jugendfußballspiel an, die Sonne gleißte in den blauen Himmel. Und wir fuhren gen Südwesten zurück nach Irland, um in Ballylee – gar nicht mal so weit weg von Athenry – in einem Wahnsinnshaus mit allein drein Wohnzimmern zu übernachten. Als wir ankamen, loderte bereits ein Feuer im Kamin. Keine 10 Kilometer entfernt in Gort lockte der Pub The Field mit einem finalen Abendessen. Duck, Fish, Burger, Curry, Guinness, Baby-Guinness. Der Vorteil in Irland ist ja, dass du ja auch überall ein Kännchen Tee kommst – und zwar Tee und keinen sechs Jahre alten Kamillebeutel in lauwarmen Wasser.
Am letzten Morgen kratzen wir das Eis von der Windschutzscheibe und rollten durch nebelverhangene und mit Raureif überzogene Wiesentäler bis nach Limerick, entdeckten im morgendlichen menschenleeren Ort das Hook & Ladder an der Sarsfield Street (Grüße an Michelle, so ihr mal vor Ort seid) und frühstückten bis die Zeit uns Richtung Flughafen drängte. Ein letzter Blick über den Shannon.
Nach wenigen Metern klarte es auf, wieder einmal war ich dankbar über Pias Idee, trotz monatelangem Regengrau eine Sonnenbrille mitzunehmen, wir warfen finale Blicke auf die Straßenschilder, die stets auf irisch und englisch den Weg weisen, gaben die Autos in Kerry unbeschadet zurück – letztlich hat doch alles ganz gut geklappt – und hockten und in das kleine Restaurant am Flughafen. Zur geplanten Abflugszeit hob unser Flieger gerade in Frankfurt ab, wir hatten Zeit und spielten Anno Domini bis es dann doch noch irgendwann losging. Unspektakulär segelten wir nach Hahn und rollten über Land und Highway nach Frankfurt. Zwar fuhr ich nicht, erwischte mich aber bei den Gedanken: hui, wir sind doch auf der falschen Spur. Waren wir natürlich nicht. Automatismen und Gewohnheiten können sich also durchaus ändern. Man muss es nur wollen. Ich glaube, das gilt für alles.
Ich verabschiedete mich an der Friedberger von meinen Mitfahrer*innen, wanderte ein paar Minuten durchs eisige Nordend und freute mich gewaltig auf Pia, die sogar schon einen Tee vorbereitet hatte. Es ist schön, unterwegs zu sein. Wenn man ein Zuhause hat. Und Irland resp. Nordirland, ich komme wieder. Diesmal wird es nicht ein Leben dauern. So viel Zeit bleibt mir nicht mehr.
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