Ein Sammelsurium aus dem angebrochenen Leben

Die Oysterband in Aschaffenburg – Colos-Saal

Es war im Sommer 1992, Nach einem wochenlangen Trip an der Antlantikküste mit Aufenthalten in Lequeitio oder La Coruna, in Lissabon oder der Bucht von Santo André, parkt der alte Diesel auf dem Weg zum Cabo de Sao Vicente, dem südwestlichen Zipfel Portugals.

Was liegen für Wochen hinter mir. In Bergerac ist mir ein Vorglühsteuergerrät durchgebrannt, bei Seignosse erneut. Kurz darauf wurden zwei Scheiben eingeschlagen, das Autoradio und auch das Fahrrad geklaut, in Lequeitio fuhr mir dann jemand hinten drauf, die Anhängerkupplung verhinderte Schlimmeres – und jetzt war ich dennoch am Ziel meiner Reise. Ich lief die staubige Straße entlang, der Wind pfiff mir um die Ohren und im Walkman lief eher zufällig von der Oysterband Love Vigilantes, ein Cover von New Order. Einer dieser Momente, in der ein Song mit der äußeren Welt verschmilzt und der für den Rest des Lebens beim Anhören unvermittelt an diesen in die Zeit gemeißelten Moment erinnert. Ein Moment der Freiheit, ein Moment, der allen Ärger vergessen macht und die Anstrengungen zuvor als notwendige Voraussetzung für diese Unvergesslichkeit eines Gotteskusses scheinen lässt.

23 Jahre später liege ich in der Hängematte meiner kleinen Hütte in Koh Payam, eine Insel in der Andamanischen See anderthalb Bootsstunden vom Festland Thailands entfernt. Ich schaue auf das Wasser, im Hintergrund verschwimmt Myanmar. Im Sonnenlicht glitzern die Wellen wie Diamanten auf dem Wasser. An jedem Tag auf der Insel höre ich neben Chilloutgeblubber nur zwei Songs, der eine ist A Clowns heart, der andere Diamonds on the Water, beide ebenfalls von der Oysterband. Thailand, große Tage damals.

Jetzt mal wieder live, im Aschaffenburger Colos-Saal, das letzte Deutschlandkonzert der 40jährigen Geburtstagstour. 40 Jahre, großer Gott, da spielt doch Peter Kraus oder Conny Froboess, Peter Alexander oder so. Nein, es ist unsere Zeit, die gleichfalls vergangen ist. Alte Helden also, alte Erinnerungen. Im Saal stehen für die Zuschauer Stehtische und Barhocker auf dem Parkett, das langsam eintrudelnde Publikum setzt sich, in Ehren ergraut, das Leben hat sich in die Körper, die Gesichter gefressen, das wilde Leben hat nicht statt gefunden oder seinen Tribut gefordert, die Träume sind angenagt, ein Spiegel eines Selbst, der daran gemahnt, einerseits in Würde zu altern aber auch daran, weiter hungrig nach Leben, Erfahrungen, nach Bewegung zu sein – dem Tod entkommst du sowieso nicht, also stirb nicht vor der Zeit. Die ganze Vorsicht, Rücksicht, das ganze Gesundseinwollen macht einen ja ganz krank. Bräsige Zufriedenheit sowieso. Eine Zigarette vor dem Eingang, ein Kellerbier dazu.

Dass es keine Vorband gibt, scheint von Beginn an klar, die Instrumentierung auf der Bühne spricht Bände – und ziemlich pünktlich gegen 20 Uhr, geht es los, die Herren betreten die Bühne. Nahezu von Beginn an vor 40 Jahren dabei: John Jones, Gesang, Ian Telfer, Geige und Andy Alan Prosser, Gitarre – seit vier Jahren fehlt Chopper, der über 20 Jahre den Bass bediente. Die Jungs sind mit uns gealtert, keine Frage, die Frage aber ist, ob sich der Schatten der Vergänglichkeit, der über der Szenerie liegt, während des Konzertes verflüchtigt.

I am the fountain of affection
The instrument of joy
To keep the good times rolling
I’m the boy, I’m the boy
I say the world will be our oyster
You can put your trust in me
We’ll keep the good times rolling
Wait and see, wait and see
Wait and see…

Einige junge Leute sind auch hier, der Saal füllt sich auch jetzt noch, eine jüngere Frau hüpft vor uns wie ein Gummiball gut gelaunt zu den Klängen von „When I’m up, I can’t get down“, die Herren freuen sich, die Damen schauen neidisch, da tanzt das Leben, während uns schon das Stehen schwer fällt. Aber der Saal singt, wippt, wackelt, wie einst in der alten Batschkapp, damals als wir vom Flaschenpfand Altbier kauften und in den Konzertsälen noch geraucht werden durfte, als jeder Blickkontakt ein Versprechen auf eine Ewigkeit war, welches nie eingehalten wurde und die Träume groß wie ein voller Mond am Meeresnachthimmel waren, die Lyrics dazu. lieferten unsere Bands, auch die Oysterband. Folk, Sehnsucht, Punk, Indie.

Sie spielen im ersten Set die komplette „Holy Bandits“ von 1993, Telfer an der Geige in Schottenkarohosen mit unverkennbarem schottischem Akzent bei den wenigen aber klugen Ansagen, die er macht. Der Hinweis auf den Merchandising Stand mit den Worten „expensive Nonsens“. Die Mimik von John Jones hat in den Jahren gelitten – so es denn eine gibt, aber der Gesang ist klar wie stets – Andy Alan Prosser an der Gitarre hat sichtlich Spaß,. Adrian Oxaal am Cello bleibt meist im Hintergrund, ebenso wie am Bass Al Scott. Den Jungen (Pete Flood) am Schlagzeug kenne ich nicht. Und so reisen wir durch die Songs, die noch immer mitreißend klingen, von mir aus hätten sie das Album zwar nicht komplett durchspielen müssen, aber für viele ist es wohl DAS Album der Band schlechthin, das Publikum freut’s und zieht mächtig mit. Emotionaler Höhepunkt vielleicht A fire is burning, aber textsicher ist der Saal bei jedem Song.

Nach einer guten dreiviertel Stunde gibt es die erste Pause, dann geht es mit einem Potpourri bekannter Songs weiter, nach 40 jahren und einer hier überschaubaren aber treuen Fangemeinde ist für jede/n etwas dabei und einem Jedem, einer Jeden fehlt etwas, mir am Ende Diamonds und A clowns heart – aber wir sind hier nicht beim Wunschkonzert und zuweilen vergessen wir die Zeit. Natürlich riecht derjenige am Strengsten, der am Dichtesten neben mir steht, aber seine Versuche zu fotografieren reißen es raus. Mit mehrfachen Kameras respektive Handys ausgerüstet, blitzt er die Hinterköpfe der Vorderen; ja er schafft es sogar ein mehrminütiges völlig unscharfes Video zu drehen. ich weiß dies, da ich es genau vor Augen hatte. Da dürften dann auch die Bilder, die eine Menschenmasse mit winzigster Bühne im Hintergrund zeigen, auch nicht mehr ins Gewicht fallen. Durch ein Loch in der nach oben gehaltenen Abdeckhülle des Handys erkenne ich Ian Telfer, den Geiger. DAS ist doch schön.

Langweilig wird es an diesem Abend nicht, die Geschichten vom Unterwegssein, vom Ankommen und Losziehen, von Flüssen zwischen uns, die nie das Meer erreichen, entfalten noch immer ihre Kraft – und beim nächsten Konzert werden die meisten wiederkommen, so es die eigene Kraft zulässt. Sie tragen dann die T-Shirts, die sie heute gekauft haben und zelebrieren mit der Oysterband einen weiteren Ausflug in die Vergangenheit, die in der Gegenwart angekommen ist, die Musik aber bleibt sowieso unsterblich.

 

A clowns heart and a mandolin
Crazy hearted fools sings as one
We tear these old walls down
And we bring back, bring back the sun

 

1 Kommentar

  1. Kid

    Da bist du da, wo ich so oft war und bin, und ich bin nicht dort, sondern in der Brotfabrik. Dabei ist die Welt doch ein Dorf.

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