And also the trees veröffentlichten neulich ihr 14. Studioalbum, wenn man es genau nimmt, sogar ihr 16. When the rains come und Driftwood beinhalten im Grunde nahezu ausschließlich akustische Versionen älterer Songs – wie auch immer: Mother-of-pearl-moon erblickte das Licht der Welt – und infolgedessen spielte die Band einige Konzerte in Birmingham, Belgien und Frankreich. Da ich bislang in Straßburg nur bis zum Stadion gekommen bin, kauften wir kurzerhand zwei Tickets für das Konzert in La Laiterie und buchten ein nahegelegenes günstiges Zimmer dazu.

Bis zum Abreisetag war nicht ganz klar, ob wir das 49-Euro-Ticket oder den Dacia nehmen sollten, da die Reise mit der Bahn etliche Umstiege mit teils recht knappen Zeitkorridoren beinhaltete. So entschieden wir uns nach längerer Zeit mal wieder für eine Fahrt mit unserem Auto und rollten einen Tag nach Ostern über den Alleenring ans Nordwestkreuz und dann auf die A5. Mother-of-pearl-moon gab den Soundtrack für die Fahrt, unaufgeregter waren wir selten unterwegs. Wir passierten den E-Highway auf der A5, rollten an Darmstadt, der Bergstraße und Heidelberg vorbei, ließen Karlsruhe rechts liegen und schon befuhren wir die Landstraße Richtung Kehl und schafften es tatsächlich bis nach Straßburg, das ich bis zum Verlassen des Landes nun konsequent Strasbourg schreiben werde, wie es die Franzosen seit jeher ebenfalls machen.

Strasbourg empfängt dich zunächst nicht mit offenen Armen, sperrige Gebäude und eine große Schneise für die  Autos – so der erste Eindruck, der sich aber bald grundlegend ändern wird. Der Check-in im Hotel Montagne Verte ist erst in ein paar Stunden möglich, von daher geben wir kurz Bescheid, dass wir gelandet sind, lassen das Gepäck im Dacia, den wir auf dem hoteleigenen Gelände parken können und brechen zu Fuß auf in die Stadt. Da der direkte Zugang zur Ill durch ein Tor versperrt ist, müssen wir das Hotel einmal weitläufig umrunden – direkt gegenüber ziehen die Autos auf der Autobahn ihrer Wege, geschützt der Fußgänger durch eine Lärmschutzwand, die später auch für ruhige Nächte sorgen wird. Wir spazieren durch eine Straße mit Tulpenbeeten und Altbauten, kaum ein PKW parkt hier, dafür umso mehr Fahrräder – es könnte eine Filmkulisse sein, das leise Rauschen der Autobahn und die Wand am Ende der Straße durchbrechen das Idyll. Wir landen an der Rückseite des Hotels, wo exakt der gleiche Wagen parkt, wie der unsrige – nur mit Tübinger Kennzeichen. Von dort führt ein Weg am Fluss Richtung Altstadt, Radfahrer sausen an uns vorbei. Gegenüber liegt das große Krankenhausgelände, linker Hand das Museum für moderne Kunst und dahinter öffnet sich die Altstadt, wir sehen die Kanäle des kleinen Frankreichs, la Petit France, das wir über die große Terrasse des Vauban-Wehrs erreichen.

Patisseries, Boulangeries, Bistros, Souvenirsshops  und Flammkuchen reihen sich in pittoresken Häuschen dicht an dicht, dazu Straßennamen, die meist auf französisch als auch auf deutsch ausgeschildert sind – das deutsch erinnert an eine Mischung aus jiddisch und odenwälderisch – und es gibt sogar eine Straße der spielenden Kinder.

Wir durchschlendern die Gassen, die immer wieder mit Streetart verziert sind, bestaunen in Souvenirshops die feilgebotenen Plüschbretzeln, trinken einen Café im freundlichen Bretelles, werfen einen Blick in die Kathedrale und fragen uns wie immer, wie es vor hunderten von Jahren gelungen ist, solche Bauwerke ohne Strom zu errichten. Einerseits eine phantastische Leistung, andererseits für den Alltag auch ein bisschen überdimensioniert. Wir bestaunen die mechanische Uhr, werden durch den Münster-Fanshop geschleust und treiben weiter durch die Gassen und Plätze an Kanälen entlang. Ein Kind quietscht vergnügt auf einer Schaukel am Place des Orphelins (Waiseplätzel) in Krutenau. Durch das Krankenhausgelände gehend, wandern wir nach einem Café am Kanal zurück Richtung Hotel, die geglaubte Sternwarte entpuppt sich als Moschee, der Empfang im Montagne Verte ist freundlich, unser Zimmer ist klein aber sauber und vor unserem Erdgeschossfenster parkt der rote Dacia aus Tübingen. Und das Wappentier des Elsass ist der Storch.

Abends sehen wir uns in unserer Ecke um. Hier gibt es alles. Die Filmkulissenstraße Rue de Foulons, der Fluss, die Autobahn, Schrebergärten, moderne Wohnhäuser, einen Park am Kanal, die Eisenbahnlinie und eine Hauptstraße an der die Straßenbahn hält, die unter der Autobahnbrücke hindurchfährt, um an der Laiterie erneut zu halten. Faszinierend. Wir suchen eine Wirtschaft, welche eine extrem gute Bewertung auf Google aufweist, landen an einem Gartengelände nahe der Eisenbahn, entdecken einen kleinen Reifenhandel in No-mans-land und laufen retour. Das Navi beharrt darauf, dass wir den Platz erreicht haben, allein weit und breit kein Hinweis auf Speis und Trank. Wir wandern nochmal zurück zum kleinen Reifenhandel am Gartengelände, ein paar Männer stehe davor – und während wir noch irritiert umherblicken, öffnet sich eine Tür und eine türkische Französin bittet uns herein. Wir haben den abgelegensten Ort der Welt gefunden, wollen allerdings noch eine Runde drehen und versprechen, in einer Stunde wieder zu kommen. Und so kommt es auch, Wir durchschreiten den Tunnel, der an den Rand des angrenzenden Bahnhofsviertel führt – dort, wo die alte Molkerei heute eine Konzert-Location ist. Sie beherbergt zwei Konzerträume, im kleineren, der etwa 300 Leute fasst, werden morgen And also the trees spielen, eine Band, die mich seit über 30 Jahren begleitet und von der ich mit Fug und Recht behaupten kann, dass sie meine „Lieblingsband“ ist. Ein Fels in der Brandung in der sich wie irrsinnig gebärenden Welt.

Das Essen in der Pita Night ist fantastisch, der Ort skurril. Einige wenige Tische stehen im Raum, der geschmückt ist mit alten Bildern aus der Türkei, dazu hängt ein alter Kassettenrecorder an der Wand, ebenso eine betagte Kamera. Die Menschen, die hier arbeiten, sind ausgesprochen freundlich, hie und da kommt jemand vorbei und holt sich sein Essen ab – in dieser Gaststätte inmitten der Gleise und Gärten, auf die nichts, aber auch gar nichts hinweist. Die Nacht ist ruhig, nach einem Spaziergang durchs Viertel landen wir in der Koje, der 1. FC Kaiserslautern zieht ins Pokalfinale ein.

Der folgende Morgen führt überschaubares Wetter im Gepäck, wir wandern erneut am Fluss entlang Richtung Altstadt und wechseln eine Brücke vorher die Seite, es ist keine 10 Uhr, die Tourist:innen schlafen noch, auch etliche Läden sind noch geschlossen. Nicht aber das Café Bretelles – und es findet sich sogar im oberen Stockwerk ein Platz für uns. Ein Schild verweist darauf, dass am Wochenende hier keine Laptops erwünscht sind. Wir freuen uns über unser Frühstück, die Dielen knarzen, Milchkaffee für Pia, Tee für mich, Croissants, und frisches Baguette mit Marmelade, der Tag erwacht und wir nun mit ihm.

Über den Place Kléber landen wir an der Straßenbahnhaltestelle République, besorgen uns eine Tageskarte und nehmen die moderne Tram in Richtung Robertsau und fahren am Europaparlament vorbei. Glasfassadenbauten für Glasfassadenmenschen. Aber Moment, was ist eigentlich mit Brüssel? Sitzen dort nicht die Abgeordneten? Richtig. Sowohl als auch. Und sie pendeln. Man glaubt es nicht, wofür massig Geld vorhanden ist. Wir lassen Europa hinter uns und spazieren durch einen Park in Richtung Hôtel Château de Pourtalès. Ein Kumpel meinte, sie hätten dort übernachtet und ich war mir nicht ganz sicher, ob ich verscheißert werde. Aber im End ist die Übernachtung im Schlosshotel gar nicht mal so arg teuer. Und ganz schick.

Wir wandern durch Park und Wohngebiet zurück zur Station Mélanie, die auf Google zu einer Bewertung von 3,0 kommt, was Mélanie höchstwahrscheinlich wenig juckt. Von dort bringt uns die Bahn Richtung Stadt, wo Pia aussteigt, während ich über die Universität, Esplanade und Meinau-Stadion vorbei am „Baggersee“ Richtung Süden und wieder retour gondel und bei nachlassendem Regen die Bahn am Kanal bei Gallia verlasse (4,4). Am Münster treffen wir uns wieder, essen Bioburger und wandern für acht Euro die über 330 Sandstein-Stufen der Kathedrale nach oben. Da es gerade aufklart, ist einerseits gute Sicht über die Dächer der Stadt Richtung Elsass, Vogesen und Schwarzwald und andererseits wenig los. Im Wächterhaus sind noch zwei Laufräder zu sehen, mit denen während des Baus die schweren Steine über Seile nach ober gehievt wurden. Der Rückweg geht übrigens flotter, als der Aufstieg. Wir drehen noch eine Runde durch Krutenau bis uns das Bähnchen B zurück ins Hotel bringt. Zu Fuß geht es abends in die Laiterie. And also the trees spielen im kleinen Club, im großen tritt Terror auf, eine volltätowierte Männerkapelle mit rauem Gesang. Als Vorband der Trees fungiert Aeroflot, zwei Musiker die 30 Minuten lang Triphoptronica mit Gesang aus der Luft darbieten – ich bin nicht böse, als eine knappe halbe Stunde später der Hauptact die Bühne betritt und die rund 300 Gäste in Verzückung bringt. Hie und da werden Handys gezückt, im Großen und Ganzen hält sich die schlechte Angewohnheit des minutenlangen Filmens aber in Grenzen. Die Band um die Brüder Simon Huw und Justin Jones präsentieren vorwiegend Songs der letzten beiden Alben aber auch einige Klassiker wie Virus Meadow, Shantell Wallpaper Dying oder am Ende Slow Puls Boy – die 90 Minuten gehen wie so oft viel zu schnell vorbei, die Jungs gehen eine rauchen und wir ins Hotel – kaum angekommen, bricht schon die letzte Nacht an.

Wir nutzen unser 24-Stunden-Ticket aus und rollen ein letztes Mal nach dem Auschecken Richtung Klein Frankreich, um zu frühstücken, es regnet leicht – ein Zustand, der gefühlt seit Oktober anhält. Unseren Dacia können wir auf dem Parkplatz bis zur Abreise stehen lassen. Das ist nett und so rollen wir gegen 12 Uhr ein letztes Mal vom Hof, fahren gemächlich auf die Autobahn in Richtung Hagenau und von dort nach Wissembourg. Es regnet ununterbrochen, die Wischer schwappen atemlos über die Scheibe, aus den Lautsprechern pluggern wenig verwunderlich And also the trees. In Wissembourg selbst drehen wir eine Runde unter Regenschirmen, aber im trockenen Auto sind wir doch besser aufgehoben – und so geht es an Feldern voller Reben durch die südliche Pfalz, über die Landstraße und Worms stau-umfahrend Richtung Bürstadt, grau der Tag – bis wir unspektakulär wieder in Frankfurt ankommen.

So schnell ging das also? Aber schön war’s – und ein bisschen was erlebt haben wir auch. Das ist es ja, um das es geht: Erinnerungswürdige Momente sammeln. Merci Strasbourg, nous allons revenir.