Es begann alles mit einem Satz während eines TV Interviews – nach einer Niederlage des FC Augsburg bei Borussia Mönchengladbach am 26. Januar 2019: „Ich kann nichts Positives über ihn sagen und will auch nichts Negatives sagen.“ Gesprochen hat ihn Martin Hinteregger, gemeint war der damalige Trainer des FCA, Maunel Baum. Sieben Tage später stand Hinteregger gegen Dortmund auf dem Platz. Im Trikot des frisch gebackenen DFB-Pokalsiegers Eintracht Frankfurt.

Nur die Wenigsten in Frankfurt kannten den jungen Kärtner näher, am ehesten noch der damalige Trainer der Eintracht, Adi Hütter, der den jungen Hinteregger schon als Coach der Salzburger unter seinen Fittichen hatte. Gute zweieinhalb Wochen später, gerade einmal sieben Minuten waren im bitterkalten Charkiw gespielt, als die Eintracht im 16tel Finale der Europaleague gegen Shakhtar Donezk in Führung ging. Torschütze: Martin Hinteregger. Es sollte nicht lange dauern, bis sich „Hinti“, wie er bald auch hier genannt wurde, in die Herzen der Eintrachtfans spielte. Emotionaler Höhepunkt: Das verlorene Elfmeterschießen im Halbfinale bei Chelsea. „Hinti“ verschoss einen Elfmeter, Paciencia ebenfalls und so fand das Finale ohne die Eintracht statt. Doch anstatt (wie vier Jahre später die Anhänger von Glasgow) das Stadion traurig zu verlassen, feierten die Eintrachtfans ihre Mannschaft, als hätte sie das Endspiel erreicht. Während die Fans des siegreichen Chelsea FC die Stamford Bridge längst verlassen hatten, schallte es aus Tausenden Frankfurter Kehlen durch die Londoner Nacht: „Im Herzen von Europa“. Tags drauf ging ein Foto um die Welt: Martin Hinteregger, todunglücklich, getröstet von einem mit der Eintracht befreundeten Ultra der Leipziger Chemiker.

Zu diesem Zeitpunkt tönte es schon länger durch die Gassen: „We‘re Hinty Army now“ … Im März 2019 twitterte Basti Red die Worte, die sich schon bald verselbständigten: Hinty Army. Natürlich lag es nahe, sofort an den alten Popsong von Bolland & Bolland zu denken, „We‘re in the Army now“, den Status Quo berühmt gemacht hatten. Und da die Jungs von Fußball 2000 umtriebig und fix sind, trafen sich bald darauf ein paar Eintrachtler, um in einer österreichischen Kneipe in der City ein Video zu drehen. Pia und ich hatten Zeit und waren dabei. Flugs wurde ein Text geschrieben, weiße „Hinti-Army-Shirts“ ausgeteilt und alsbald ging das Video viral. Zu diesem Zeitpunkt dachte niemand daran, Hinteregger zu vergöttern oder über die Mannschaft zu stellen. Wir dachten, ein paar Fans würden sich das Ding ansehen, grinsen und dann weiter im Takt. Ein kleiner Independent Spaß, mehr nicht.

Doch die Sache wurde größer als gedacht.

Mit dem Haken, dass natürlich der eine oder die andere bemäkelte, dass es ein Unding sei, einen Spieler nach so kurzer Zeit zu erhöhen. Man konnte nicht widersprechen, doch möglicherweise einwenden, dass dies ja so nicht gemeint gewesen sei. Fortan hörte man im Stadion bei gelungenen Aktionen Hintereggers (und es gab deren einige) immer häufiger ein frenetisches „Hinti, Hinti“. Hinteregger tat es gut, die Symbiose zwischen ihm und den Fans ließen den jungen Kerl aufblühen, der in Mönchengladbach gescheitert und in Augsburg über eine unbedachte Aussage gestolpert war. Und wir bekamen immer mehr mit, dass wir es nicht mit einem 0815 Profi zu tun hatten, sondern mit einem Burschen aus Kärnten, der gerne um die Häuser zog, sich auch mal im Moseleck blicken ließ, gerne Hubschrauber flog und auch schon zu seinen Salzburger Zeiten für die ein oder andere Schlagzeile taugte. Für viele einen Grund mehr, ihn ins Herz zu schließen. Hinti schrieb mehr Autogramme als er müsste, nahm einen Fan in seinem Auto mit, zeigte sich nahbar und war für viele Späße zu haben.

Als die Leihe im Sommer zu Ende ging, wollte er nicht mehr zurück nach Augsburg, doch der FCA ihn nicht so einfach fix zur Eintracht wechseln lassen. In der Folge landeten Hunderte Postkarten in der Geschäftstelle und forderten #freehinti. Sogar bei der Tour de France las man diesen Hashtag – geschrieben mit Kreide auf eine Etappen-Strecke. Da hatte wiederum Basti seine Finger im Spiel. Letztlich kam, wie es kommen musste, Hinteregger wurde von der Eintracht fest verpflichtet. Zuvor war er fröhlich mit seinem Eintracht-Rucksack zum Training in Augsburg spaziert.

Es zeichnete sich immer ab, dass Hinteregger zwischen dem nötigen Ernst als Fußballprofi und dem ewigen Kindskopf chargierte. Auf dem Platz zerriss er sich für seine Eintracht, in der Heimat kapriolte er sich unbekümmert durch die freien Tage.  In seiner 2021 erschienenen Biographie „Innensicht“ erzählte er frei heraus über seine Eskapaden, die alles andere als bösartig waren – aber zuweilen den Mannschaftsgeist sowohl bei der Eintracht aber auch bei der Nationalmannschaft arg strapazierten.

Doch er schilderte auch die dunkle Seite: „Ich wohnte alleine im Hotel, war verzweifelt, brach praktisch jeden Kontakt zu meiner Außenwelt ab. Ich lag nur noch auf der Couch, vegetierte vor mich hin. Jedes Geräusch war zu viel, sogar spazieren gehen kostete mich unglaubliche Überwindung.“ (Innensicht – S. 130)

Hinteregger suchte sich über die Eintracht Hilfe und fand sie in der Psychologin Nicole Szesny, die ihn behutsam wieder auf Vordermann brachte.

Auch zwei namentlich nicht erwähnte Journalisten aus seiner Augsburger Zeit bekamen von ihm ihr Fett weg: „Erstmals lernte ich, wie skrupellos und respektlos Journalisten sein können. Wie Aussagen und Handlungen so lange zurechtgebogen werden, bis sie zur vorgefertigten Meinung des Reporters passen. … Das nahm mich brutal mit. Ich fraß es – wie so oft – in mich hinein.“ (S. 128)

Womöglich liegt hier der Schlüssel zu einigen Reaktionen seinerseits, die ihn ein gutes Jahr später noch stärker in die Bredouille brachten. In der Sommerpause 2022 – in die die Eintracht als amtierender Europacup-Sieger ging. Hinteregger hatte die Eintracht in letzter Sekunde gegen Betis Sevilla ins Viertelfinale geschossen, in Barcelona ein unfassbar starkes Spiel gezeigt und sich gegen West Ham eine Verletzung zugezogen, die ihn das Finale in Sevilla gegen Glasgow gekostet hatte. Als Tage später alle endlich in ihren Betten lagen, zog „Hinti“ noch immer als Europapokal-Sieger um die Häuser – und natürlich musste eine der Elendsgestalten einen wackligen Hinteregger auf Video bannen und die Aufnahmen ins Netz stellen. Die Eintracht verabschiedete im Mannschaftskreis ohne Hinteregger derweil die Spieler, die den Club verlassen würden. Noch zählte „Hinti“ nicht dazu.

Für den Sommer wurde derweil der „Hinti-Cup“ in seinem Heimatort Sirnitz geplant, ein Freizeitturnier unter seiner Federführung mit Gesang und Tanz, Hubschrauberflügen und lustigem Brauchtum. Eine spaßige Idee, ein typischer Hinti, der sich nicht um schicke Klamotten oder Badeurlaube auf angesagten Inseln kümmerte, sondern um eine Gaudi, volksnah und zünftig. Es hätte für den, der es mag, eine unbeschwerte Zeit werden können. Womöglich wurde es dies auch. Aber in erster Linie wurde es ein Desaster. Am Ende stand das vorläufige Karriereende von Martin Hinteregger. Das Ende seiner Zeit bei Eintracht Frankfurt.

Michael Bonvalot, Journalist und Blogger aus Österreich, der sich schon länger mit rechten Umtrieben in Felix Austria befasst, schaute sich die Hintergründe der Turnier-Organisation genauer an – und stellte fest, dass zur Firma, die das Fest ausrichten sollte, nicht nur Hinteregger, sondern auch auch Heinrich Sickl gehörte, der zu den politischen Rechtsaußen Österreichs zählt und im gleichen Ort wie Hinteregger beheimatet ist. Sickls Mutter, Elisabeth Sickl, saß für die FPÖ im Ministerium – und ist Eigentümerin des Schlosses, in dem der Festi:Ball abgehalten werden sollte. Am 8. Juni erschien der Beitrag und schlug erwartungsgemäß hohe Wellen. Vor allem, da Eintracht Frankfurt sich in der Vergangenheit mehr als jeder andere Verein eindeutig gegen rechte Umtriebe verwehrt und die Unvereinbarkeit mit den Werten der SGE postuliert hat. „Man macht keine Geschäfte mit Rechtsaußen“, schrieb mir ein Freund – ich konnte ihm nicht widersprechen.

Ab diesem Moment geriet die Sache völlig außer Kontrolle – und gipfelte in einem Statement der Eintracht gute 14 Tage später, in dem Martin Hinteregger für die meisten überraschend sein Karriereende verkündete. Zwar hatte er schon in einem Interview angkündigt, dass er seine Karriere bei der Eintracht beenden wolle – doch von der Aktualität dürften die meisten doch mehr als irritiert gewesen sein.

Dazwischen lagen einige unglückliche Fernsehinterviews Hintereggers. Er distanzierte sich zwar von seinem Geschäftspartner, für viele eher halbherzig, und schimpfte zudem über Michael Bonvalot: “Der Journalist, was das veröffentlicht hat, der ist ja ein klar Linksextremer, denke ich, linksextremer Journalist”. Bonvalot legte nach und filetierte Hintereggers Reaktion. In Frankfurt saßen sie derweil vor den Fernsehgeräten und beschworen: „Bitte, Hinteregger, sei ruhig“. Er blieb es. Allerdings viel zu spät.

In der Folge wurde einerseits Bonvalot übelst beschimpft und bedroht – andererseits ergingen sich andere über Hinteregger und verorteten ihn mehr oder weniger ironisch stramm bei der FPÖ. Es waren ebenso vorhersehbare wie bittere Reaktionen. Vorsichtige Stimmen wurden kaum gehört. Die Eintracht aber erreichte Hinteregger zunächst gar nicht. Und als sich alles halbwegs beruhigt hatte, der Transfer von Götze die Schlagzeilen beherrschte, platzte die Bombe: Karriereende von Martin Hinteregger. In einem Vereinsvideo saß ein sichtlich derangierter Hinteregger vor der Kamera und begründete seine Entscheidung, die schon länger reifte und nun zur Vollendung gekommen war. „Die Siege haben sich nicht mehr so angefühlt, wie sie sich anfühlen müssen. Dafür wenn eine Niederlage war, war es doppelt und dreimal so schlimm“. Auch entschuldigt sich Hinteregger erneut und stellt fest, dass er das Thema in Österreich unterschätzt hatte: „In der Hinsicht hätte ich wirklich mediale Beratung gebraucht“. Nicht präzisiert wird allerdings, bei wem er um Entschuldigung bittet. Auch bei Bonvalot, der sich, wie so oft, wenn Rechtsaußen im Spiel sind, massiver Anfeindungen ausgesetzt sah? Auch wenn dieser im abschließenden Statement nach Hintereggers Rücktritt nicht ganz den richtigen Ton getroffen hatte. Im Fokus standen ein Journalist, der Sachverhalte aufdeckte, Hinteregger, der Fehler begangen hatte – nur die Fraktion um Sickl hielt sich bedeckt . Und kam relativ unbeschädigt aus der Sache heraus.

Doch wie steht Hinteregger selbst zum Thema Rassismus?

„Es steht mir nicht zu, aber ich würde gerne jeden ausländerfeindlichen Menschen für einen Tag in die Eintracht-Kabine einladen. Er würde hinausgehen, und all seine rassistischen Anschaungen wären verschwunden.“ (Innensicht S. 167)

Man mag es naiv nennen. Aber man spürt die Hintereggersche Wesensart, die ihn sich in die Herzen vieler Eintrachtfans hat fräsen lassen.

Die Fanseele der Eintracht war letztlich im End bis ins Mark getroffen. Hinteregger, der ebenso Konflikt- wie genau aus diesen Gründen Identifikationspotential bot, war von Bord des Eintracht-Schiffes gegangen. Der Druck wurde zu groß, die Unbeschwertheit ging flöten. Ich schrieb auf Twitter, dass es womöglich in der Causa Hinteregger nur Verlierer gäbe. Ein Freund widersprach und schrieb mir sinngemäß: „Vielleicht ist Martin Hinteregger doch ein Gewinner. Da er nun zu sich selbst kommen könne – und außerhalb des Profizirkus sich wieder den Dingen widmen kann, die ihm Freude bereiten“. Kicken zum Spaß, Eishockey, Musik, Hubschrauberfliegen und mit seinen alten Freunden in Sirnitz von Zeit zu Zeit um die Häuser zu ziehen – ohne darauf zu achten, ob irgend jemand zu unpassender Zeit die Videokamera zückt. Nur Champions-League wird er mit der Eintracht nicht spielen. Mit seiner Eintracht, von der er im Buch schrieb:

„Wäre die Eintracht eine Frau und würde sie mich fragen, ob ich sie heiraten möchte, ich würde Ja sagen!“ (S. 192)

Ich wünsche „Hinti“ alles Gute für die Zukunft. Nur schau dir in Zukunft deine Partner genauer an. Und nicht jeder Journalist, der unbequem ist, ist auch bösartig. Der Fehler lag sicherlich in der Geschäftsbeziehung und nicht im Aufdecken dieser. Und nun viel Spaß in Sirnitz, vielleicht fliege ich eines Tages ja mal mit im Hubschrauber. Und womöglich stimmt auch, was mir ein weiterer Freund mitteilte: „Beve, wir haben alle Fehler gemacht.“ Und meinte damit unseren Umgang mit Menschen. Die wir erhöhen und fallenlassen – grad wie es uns beliebt und uns nicht um die Folgen kümmern.