Nach dem Abenteuer in der Ukraine stand nun die Auswärtspartie der Eintracht im Achtelfinale der Europaleague bei Inter Mailand an. Dieser Satz, so schlicht und wahr er auch ist, hätte noch vor wenigen Jahren oder besser Monaten für Gelächter gesorgt. Im März 2019 aber ist für Eintracht Frankfurt alles möglich. Und für uns hieß es wieder: Support your local Team. Also kommt mit …

Und diesmal waren alle dabei, die Pia, der rote Dacia und der Beve, Montag morgens ging es los, der Dacia war voll getankt, ein paar Klamotten waren mit am Start und in der Tasche steckte die Buchung für ein kleines Appartement in Laufweite zum Giuseppe-Meazza-Stadion. Ein paar sorgenvolle Gedanken kreisten über der Tatsache, dass wir den Dacia vor Ort wohl auf der Straße werden parken müssen, aber irgendwas ist ja immer und so rollen wir los, reihen uns stadtauswärts in die Miquelallee in den Stau ein und mäandern der Autobahn entgegen. Für musikalische Untermalung sollten während der Reise neben anderen The Beauty of Gemina, She wants revenge oder Klaus Schulze mit Lisa Gerrard sorgen. Und die Schweizer Verkehrsnachrichten, doch  dazu später.

Für mich war Mailand ja gar nicht so ein Traumlos, also die Stadt. Bislang hatte ich immer einen Bogen um die Metropole im Norden Italiens gemacht, war in Rom oder Venedig, in Florenz oder Genua, Sizilien oder Neapel. Mailand klang für mich immer so ein bisschen nach München. Aber fußballtechnisch war das Los bei Inter natürlich ein Knaller. Durch Deutschland kommen wir zunächst flott, also was bei einem Dacia mit 75 PS so flott heißt. Bis Lahr spielt auch das Wetter mit, ab dann wird es ungemütlich, regnerisch verschneit, grau und wolkenbehangen der Himmel, die Scheibenwischer fluppen über die Scheibe, bis wir kurz vor der Grenze noch einmal tanken und uns die Vignette besorgen. An der Grenze bei Basel werden wir locker durch gewunken – das schlechte Wetter hält sich.

Durch die Schweiz fährt man ja immer wie durch ein Museum, guckt sich das Panorama an und freut sich die ganze Zeit darauf, irgendwann in Italien zu sein, wo die Sonne scheint und die Zitronen blühen. Doch vorher glänzen die großen Seen vor den Berggipfeln, wir passieren Luzern und nähern uns dem Gotthard Tunnel – bis wir aus dem Nichts auf der Autobahn A2 stehen. Nichts geht mehr – und niemand weiß, weshalb. Draußen ist es ungemütlich, kalt und verschneit und wir warten. Und jetzt kommt auch der Verkehrsfunk ins Spiel, die mobilen Daten sind ja außerhalb der EU kostenpflichtig. Und so erfahren wir durch Schweizer Akzent, dass die A2 wegen Schneemassen voll gesperrt ist, Räumfahrzeuge seien unterwegs, einen zeitlichen Rahmen erfahren wir nicht. Machen wir es kurz, geschlagene 75 Minuten lang stehen wir still und hofften bis dahin jeden Moment, dass es weiter geht. Und dann rollen wir wieder langsam an, der schöne Zeitplan ist im Arsch, aber große Termine haben wir nicht, also Musik an und weiter. Praktisch ist, wenn du dich an einen Flixbus hängst, freies WiFi geht dann klar.

Die Fahrbahn ist jetzt in der Tat tückisch, Eis- und Schneereste machen die Sache nicht einfacher, immerhin: Im 17 Kilometer langen Gotthard Tunnel ist es trocken, stoisch halten wir uns an die Geschwindigkeitsbegrenzungen und irgendwann ist tatsächlich Land in Sicht, mit jedem Meter wird es sonniger, die Abfahrt die Berge hinunter über Bellinzona ist jedesmal der gefühlte Beginn des Urlaubs, die Straßen- und Reklameschilder weisen nun auf Italienisch auf die kommende Grenze hin, die wir auch locker passieren. Keine Stunde noch und wir rollen in Mailand ein, finden auch unsere Straße, das Viertel liegt am Rande des Zentrums, die Häuser wirken etwas heruntergekommen – aber nachdem Gerry, unser Gastgeber, uns die Schlüssel für unser Zimmer gegeben hat und wir mit dem Aufzug in die sechste Etage des Wohnhauses fahren, die Tür aufschließen und vom kleinen Balkon aus das Giuseppe-Meazza-Stadion vor dem Bergpanorama erblicken, sind wir völlig zufrieden, zumal unsere Unterkunft hübsch und sauber ist. Buona Sera Milano. Oder: Hurra, hurra, die Frankfurter sind da. Der Dacia parkt derweil am Straßenrand, Gerry meinte zwar, dies sei kein Problem – aber so ganz wohl ist mir bei dem Gedanken nicht, zumal Schilder etwas von „Abschleppen“ flüstern. Aber was soll’s, wir lassen ihn erst einmal dort stehen. Und machen uns auf in die anbrechende Dunkelheit und in die Stadt. Wirklich warm ist es nicht, und es pfeift auch ein ordentlicher Wind, aber es fällt auch kein Schnee.

Auf den breiten Alleen sausen die Autos umeinand, aber sie fahren anders als in Rom eher gesittet, als Fußgänger stehen die Überlebenschancen gut. Magnolien blühen, wir passieren die Metro Stationen de Angeli und Wagner, spazieren an der mächtigen Santa Maria delle Grazie Kirche vorbei, die das Abendmahl von Leonardo da Vinci beherbergt und schlendern langsam runter bis zum gigantischen Dom, der auch in der Nacht durchaus imposant wirkt. Nebenan warten die Läden der pompösen Einkaufsgallerie Vittorio Emanuele II mit ihren Glasdächern und verzierten Böden auf Kundschaft, ob Motta oder Prada, Armani oder Versace, Gucci und Louis Vuitton, sie sind alle hier vertreten – und sie repräsentieren alle nicht unsere Welt.

Mailand also. Häuserreihen, Autos, Geschäfte, Kirchen. So in etwa hatte ich mir das vorgestellt. Wir nehmen die Metro, fahren zurück in unsere Richtung und suchen dann per pedes eine kleine Pizzeria, ein Unterfangen, das zunächst nicht so ganz gelingen will, aber wir sind auch müde und nicht mehr wirklich frisch – und landen dann natürlich doch noch irgendwo, wo es sich aushalten lässt, der Liter Hauswein für sieben Euro, die Pizza knackig. Und so endet unser erster Abend in Milano – mit Blick auf das beleuchtete Stadion und einer Zigarette auf dem Balkon.

Und das Stadion steht auch noch am nächsten Morgen, bedeckt von einem klarblauen Himmel und schon sind wir wieder auf der Straße und erkunden die Stadt, wandern an den neuen Hochhäusern an der alten Messe vorbei durch einen kleinen Park, bis wir unsere erste Station erreichen, den großen Simplon Park. Hier befindet sich das alte Stadion, das aber leider nicht offen hat, hier trinken wir an einer kleinen Bude einen fabelhaften Cappuccino, hier warten Karussells und bunte Buden auf Besucher. Ein paar Meter weiter hinten entdecken wir in einem kleinen Teich jede Menge Schildkröten, die ihre Hälse wie wir in die Sonne recken. Durch die angrenzende Festung Castello Sforzesco spazieren Jugendgruppen, wie in allen Zeiten Jugendgruppen durch Sehenswürdigkeiten spazieren, mit kaputten Hosen und dem Blick nur auf das nächste Mädel oder den nächsten Kerl gerichtet. Schnatternd, und gickelnd ziehen sie weiter – in ihr Leben und werden irgendwann Jugendgruppen durch Sehenswürdigkeiten spazieren sehen und sich denken: Gott, so war ich auch mal.

Wir aber wandern durch Chinatown hin zum monumentalem Friedhof, unterwegs gibt es ein Panini in der Sonne, Straßenbahnen rumpeln vorbei, geschäftig ist hier vieles – aber Mailand umschlingt dich nicht, du verliebst dich nicht in diese Stadt wie vielleicht in Porto oder London. Mailand ist stolz und selbstverständlich – und wer Geld hat, kann hier sicher gut leben. Die andere Seite verweist auf die vielen Bettler, meist Schwarze, die recht häufig den Kontakt suchen – und sicherlich ebenso häufig ignoriert werden. Sie werden sicher nicht auf dem Cimitero Monumentale ihre letzte Ruhe finden, auf diesem Friedhof für die Berühmten, Reichen und Mächtigen. In den Galeriearmen am Eingang findest du hier die letzten Ruhestätten von Giuseppe Meazza oder von Dario Fo, auf dem Friedhof selbst reihen sich monumentale Grabstätten dicht an dicht, Inschriften zeugen von vergangenem Leben, Kinder sind hier genauso beerdigt, wie ganze Familien, es ist bei aller Stille hier zuweilen ein lautes Gedenken. Wir sitzen später draußen am Eingang auf einer Treppe in der Sonne und mit uns eine ganze Menge Eidechsen, die mit zunehmender Dauer immer näher kommen. Getrennt in den Farben, vereint in der Sache.

Über Brera, einem gediegenem Künstlerviertel mit gediegenen Restaurants und den Kellnern, die dich auf der Straße ansprechen und von uns überall in der Welt ignoriert werden schlendern wir nun im Sonnenschein zum Dom. Unterwegs hätten wir uns von Maria die Zukunft vorhersagen lassen können, wir aber waren auch so überzeugt, dass die Eintracht den Einzug in die nächste Runde schafft. Am Dom selbst treffen wir auf die ersten Eintrachtler, ZoLo ist hier und Daniel und Pascal, die die Gelegenheit nutzen, noch vor der Arbeit der nächsten Tage die Stadt zu erkunden. Hinter der Einkaufspassage, die wir noch einmal durchwandern, wartet die weltberühmte Scala auf den Abend – doch die Scala musst du erst finden, der Bau ist dermaßen unscheinbar, dass man es kaum glauben kann. Erst die Plakate machen deutlich, wo du hier bist. Aber bei einer Oper ist es ja auch nicht von Bedeutung, wie das Gebäude aussieht, sondern wie sie innen klingt. #ElPhi.

Unsere letzte Station für heute ist die Porta Venezia und die angrenzende Einkaufsstraße Corso Buenos Aires, hier wirkt alles normaler, lebendiger – wie auch im angrenzenden Viertel. Die Geschäfte sind wohlbekannt, H&M, Timberland, Zara – hier ist es auch für den kleineren Geldbeutel erschwinglich – wir wandern in den anbrechenden Abend nach oben, bestaunen die Menschen, die wie es sich für Italiener gehört, meist wohl gekleidet sind. Die Damen tragen dreiviertel Hosen, gerne mit leichtem Schlag, dazu Chelsea Boots, Docs oder Stan Smith, die Herren fallen durch vernünftiges Schuhwerk, Leder, auf – und durch Kleidungsstücke, die woanders wohl gegeckenhaft wirken, hier aber glaubwürdig Stil verkörpern. Das können sie hier, gut aussehen. Und gut kochen. Damit ist ja schon viel gewonnen.

Die Metro bringt uns zurück in unser Viertel, elf Stationen fahren wir – Gambara heißt die Haltestelle und nach einem kurzem Zwischenstopp im Appartement geht’s raus für eine Pizza. Gegenüber, im Supermarkt, wandern noch drei Peroni in unsere Taschen und als wir nach Hause kommen, leuchtet die Anzeigetafel im Stadion auf, wir erkennen das Wappen der Eintracht mit bloßem Auge. Von unserem Balkon. In Mailand.

Frisch geduscht brechen wir am folgenden Morgen auf, nun ist das Ziel das Navigli-Viertel an den Kanälen. Doch zuvor parken wir noch das Auto um, der Platz an der Straße war uns nicht ganz geheuer – zumal am Vorabend zwei Jungs bemerkten, dass der Dacia aus Frankfurt ist. Das muss nichts bedeuten, aber sicher ist sicher.

Eine Zwei-Tageskarte kostet 8,25 Euro – das ist fair und schon landen wir an der Station Porta Genova. Da Mailand nicht wirklich an einem Fluss liegt, müssen die Kanäle für mediterranes Flair herhalten – und och jo, hier ist es Urlaub. Wir spazieren am Kanal entlang, frühstücken in einem kleinen Café, lassen uns die Sonne auf die Nase scheinen und freuen uns des Daseins. Die Wassermassen am Kanal sind allerdings überschaubar. Mailand ist nicht Venedig, das ist eindeutig. Und der junge Kellner etwas verschlurcht. Aber die Croissants sind himmlisch.

Und dann kam, was kommen musste. Ich bleibe an einem Schuhladen hängen. Und komme ein paar Minuten später mit einer Tüte wieder heraus. In der Tüte lungern meine weißen Adidas Samba, an den Füßen trage ich italienisches Schuhwerk. Pia ist dezent neidisch. Weiter unten beginnt die Corso di Porta Ticinese, eine bummelige Einkausfstraße mit Läden und Restaurants, Grafittis und Vintagestores – und wer will, kann sogar im Green Tunnel ein Tütchen Gras kaufen, hoch legal, selbstverständlich. Nach einem kleinen Bummel, kommt dann auch Pia zu ihrem Recht. Vintagestores sind natürlich mit magischen Kräften versehen, leerer Hand gehst du hinein und schwer bepackt wieder heraus. Die Waage ist ausgeglichen, jede(r) von uns ist nun bepackt. Und dann ruft es plötzlich: Acht mal die acht. Ich drehe mich um – und erkenne Andreas lachend in einem Straßencafé sitzen. Das ist ja ein Ding. Wir haben uns in einer Bar in Charkiw kennen gelernt – und treffen uns jetzt wieder. In Mailand. Acht mal die acht war übrigens das WiFi Passwort in der Charkiwer Bar. Und so trinken wir ein Kaltgetränk in der Sonne, bis sich Pia und ich auf den Weg zur historischen Straßenbahn machen. Und die 10 bringt uns dann auch Richtung Hauptbahnhof, unterwegs rumpeln wir an etlichen der Gegenden vorbei, die wir gestern noch per pedes erkundet haben – jetzt wissen wir Bescheid.

Wir werfen einen Blick in den monumentalen Bahnhof und nehmen die Metro Richtung Gambara, unserer neuen Heimat. Die Tageskarten funktionieren tadellos, wie alte Hasen sausen wir durch die Eingänge, werfen zuhause einen kurzen Blick auf das Stadion und fahren zurück in die Corso di Porta Ticinese. Erneut ist es dunkel geworden, und nach einem gepflegtem Abendmahl wandern wir zurück an den Kanal. Der Laden, in dem wir das Spiel der Bayern gegen Liverpool sehen wollten ist schon eine Stunde vorher brechend voll. Ana, Julian und Sebastian sitzen mit Freunden draußen in der Kälte – das ist aber nichts für uns. Wir beschließen, eine andere Bar zu finden – und landen nach gefühlten 100 Metern einen Volltreffer. Der Laden ist cool, und es gibt jede Menge Platz, wir sind nämlich außer dem Wirt zunächst die einzigen. Kurzerhand der Museumsgang Bescheid gesagt, die alsbald auch eintrudelt und bei Bier und Chips sehen wir, wie Liverpool die Bayern zerlegt. Mittlerweile ist die Bar auch ordentlich gefüllt, ein paar andere Frankfurter sind auch hier – und bei jedem Treffer der Liverpooler ist der Jubel groß. Am Ende ist klar: Eintracht Frankfurt ist die letzte deutsche Mannschaft in einem europäischen Wettbewerb. Oder mit anderen Worten: Weltweit beste Mannschaft. Und das bringt uns zum:

Matchday

Doch bevor das Spiel ansteht, nutzen wir den Tag für ein weiteres Frühstück im Luca e Andrea am Kanal. Die Sonne lacht in den Tag und besonders schön ist ein kleines Holzkästchen in dem Zuckertütchen aufbewahrt werden. Es ist ein einfaches schlichtes Holzkästchen, vielleicht 15*3 Zentimeter. ich liebe ja solche Dinge, wer weiß, wie lange dieses Kästchen hier schon stand, wer es alles in der Hand gehabt hatte. Und ich sammle solche Dinge. Die benutzte Kupferkaraffe aus der Hafenkneipe in Piräus, die Teekanne aus Koh Payam, das Glas aus Bilbao, den Weinkrug aus Venedig. Und so frage ich den Kellner, ob ich das Kästchen kaufen könne. Er schaut etwas irritiert, fragt nach und erklärt, dass der Wirt dieses Teilchen selbst gemacht hat. Aber kaufen ginge nicht. Kurz darauf kommt er wieder, nimmt die Zuckertütchen in die Hand und schenkt mir das Kistchen. Oh, was bin ich glücklich. Ein gutes Trinkgeld später, sind wir wieder auf dem Weg. Erneut auf dem Corso Buenos Aires besorgt sich Pia noch die Dufthölzchen, die unser Zimmer so angenehm duften lassen (Millefiori) – und bei der Gelegenheit wandern auch noch zwei Hosen in ihre Taschen. Dann geht’s runter zum Dom, der schon ordentlich von Frankfurtern bevölkert ist. Dort treffen wir Steffen, der unsere Karten dankenswerter Weise mitgebracht hat. Matze ist hier, Ingo auch. Da kommen Chris oder Schusch und Miri, überall ein großes Hallo – und die Familie Minden darf natürlich nicht fehlen.

Da uns aber das Gewimmel zu wimmelig wird, brechen wir mit Steffen auf und landen wieder bei der Pizzeria in der Nähe von unserem Hotel. Den Rest des Nachmittags aber verbringen wir auf unserem Balkon mit einem Peroni in der Hand und beobachten den Hubschrauber, der schon seit Stunden das Stadion umkreist. Unterdessen hat sich auch der Fanmarsch in Bewegung gesetzt – wir aber packen unser Stadionbündel für unseren eigenen kleinen Marsch. Zu dritt spazieren wir los, schieben noch ein Taxi, das den Geist aufgegeben hat an den Straßenrand und nähern uns dem Giuseppe-Meazza-Stadion. Natürlich auch hier ein Gudewie aus allen Ecken und Enden, Andy Klünder sitzt mit einem Schöppchen am Wegesrand und an der langen Mauer mit Graffitis schieben wir uns Richtung Einlass. Und dann ragt es vor uns in die Höhe, das Stadion, in dem heute Abend Inter Mailand gegen Eintracht Frankfurt spielen wird.

An beleuchteten Buden gibt’s Speis und Trank, auch Merch jeglicher Art, ich kaufe nach zähen Verhandlungen einem fliegenden Händler ein Bier ab, wir treffen Caro und Oli und Marc und Maria und Gott und die Welt. Nur der Einlass selbst ist etwas kompliziert, wir müssen eine ganze Ecke laufen und stehen dann dicht gedrängt im Pulk, ich beginne, meine Contenance zu verlieren. Ich liebe die Freiheit und wenn ich etwas hasse, dann ist es das Eingesperrtsein. Aber irgendwann haben wir dann doch den ersten Durchgang passiert, es folgen ein paar weiter Kontrollen wobei mein Feuerzeug den Weg alles irdischen geht und schon schieben wir uns den mächtigen Wendelweg nach oben, schaffen Meter um Meter bis wir endlich im Block sind und das Flutlicht auf den Rasen und die Ränge gleißen sehen. Fehlte nur noch der Einsatz von Lou Reed: This magic moment.

Wir schieben uns bis fast nach oben, rechter Hand blinkt die Mailänder Nacht, der Rest der Tribünen geht über drei Ränge und ein Großteil der oberen Ränge ist voll mit Eintrachtlern. Tausende und Abertausende freuen sich auf dieses Spektakel, Interfans schwenken Fahnen im Innenraum, das Aufwärmprogramm fliegt vorbei, Thor und Siggi setzen sich zu uns, Anpfiff, Vorfreude, Eintracht Frankfurt international. Los geht’s. Die Eintracht in San Siro.

Die ersten Sekunden muss ich mich orientieren, sind wir die dunklen? Ne, wir sind die weißen, du bist schon weit weg vom Spielfeld. Fahnen wehen, etliche Rangblöcke sind frei. Und die Eintracht geht drauf. Chance Gacinovic, Nachschuss Haller, Latte. Keine zwei Minuten später ist es Jovic – und er lupft die Kugel zum so wichtigen Tor für die Eintracht ins Netz, kollektives Ausrasten, Unfassbare Blicke. Und dieses Unfassbare wird größer, als nebenan im Block einzelne Bengalos aufflackern und eine Rakete fliegt. Jetzt im Moment, keine sechs Minuten sind gespielt, die Eintracht führt und mit der Rakete fliegt die Botschaft: Ihr seid beim nächsten Auswärtsspiel in Europa nicht dabei. Und es wedeln Bengalos. Es ist keine Gruppe, es sind einzelne Leute. Unfassbar. Wir stehen unter Bewährung und einzelne Leute ziehen willentlich Tausende in den Dreck.

Der Rest des Spiels ist eine Eintracht, die sich zig Chancen erspielt und ein Inter, dem nichts groß einfällt. Die Stimmung könnte man gut nennen, wenn man nicht wüsste, was möglich gewesen wäre. Mir hat es die Stimmung dezent verhagelt. Ich muss denken. Und ich gehe zum Fußball, weil ich nicht denken will, weil ich mich vom Sog erfassen lassen will, konzentriert auf den Moment, alle Zeit und alles Werden vergessen, einfach nur sein. Ich hasse die Arschlöcher, die dafür gesorgt haben, dass ich diesen Zustand des Denkens hier erleben muss. Gedanken an das weshalb und warum, will mich auf’s Spiel konzentrieren, doch immer wieder Gedanken. Wer macht so etwas? Wie wird die UEFA reagieren.

Die Eintracht versiebt Chance um Chance, doch die Zeit tickt gegen Inter. Ein kurzes Hoffen, ein kurzes Bangen. Bengalos flammen erneut auf. Die Leute rufen: Und ihr wollt Eintracht Frankfurt sein und Ihr seid scheiße wie der OFC.  Zwei Jungs, Style bekannt, drohen sogar bei uns am Eck den Rufern mit Prügel. Sie scheinen geübt zu sein. Mit Abpfiff lodert es erneut, zwei Raketen gehen hoch. Eine fliegt abgelenkt durch ein Gestänge in den Unterrang, eine verzuckt auf dem Rasen. Die Eintracht steht im Viertelfinale, einer der größten Erfolge der Vereinsgeschichte – und ich fühle mich, als hätten wir verloren. Ein trotziges „Im Herzen von Europa“ wird gesungen, die Mannschaft kurz gefeiert, später kommt auch noch Adi Hütter, der für dieses Spiel gesperrt war – und wird zu Recht gefeiert. Dann warten die Leute, dass sie raus dürfen. Es ist still im Stadion geworden. Viel zu still für dieses Ergebnis.

Es gab in Mailand keine überzogene Polizei, es gab Platz und Karten für fast alle, es gab einen Fanmarsch und überschaubare Einlasskontrollen, es gab eine Eintracht die Inter dominiert hat. Und es gab eine Gruppe von Leuten, denen das alles egal ist. Und einen Verein, eine Fanszene, die dem scheinbar machtlos gegenüber steht. Ich weiß da auch nicht weiter. Gegen Leute, denen alles egal ist und deren Hang zur Gewalt vermutlich den meinigen übertrifft, bist du machtlos. Vielleicht wäre eine größere Gruppe mächtiger, so sie sich aufraffen könnte, sich den einzelnen Leuten zu stellen. Dazu müsste sich die Gruppe klar positionieren. Und eigene Leute ausgrenzen. Denn Kollektivstrafen und Polizei im Block sind keine Alternativen. So denkend warte ich darauf, dass wir gehen können. Der Abgang ist geräuschlos, wir schrauben uns die Wendelwege nach unten, es sieht skurril aus, wie sich die Massen auch in den anderen Abgängen im Kreis nach unten schieben. Diskussionen überall. Wut, Zorn, Frust, nur zuweilen dringt die Freude über den glorreichen Auswärtssieg durch.

Wir müssen noch eine ganze Weile in die falsche Richtung laufen, bis wir endlich aus dem Stadiongelände draußen sind. Steffen wandert rüber zu den Bussen, wir laufen bedröppelt zurück in die Via Daniele Ricciarelli. Das Licht im Stadion brennt noch, das Spiel ist aus.

Epilog und Heimfahrt

Wir frühstücken um die Ecke, holen den Dacia, tanken und parken wieder direkt vor der Unterkunft. Pünktlich um halb elf können wir die finale Abrechnung machen und schon verlassen wir Mailand und rollen zurück auf die Autobahn. Heute scheint es hier richtig warm zu werden, aber ich muss um acht Uhr im Museum sein, eine Nachtführung wartet – und damit die Arbeit.

Schweren Herzens verlassen wir Italien, verlassen die Sonne. An der Grenze jede Menge Eintrachtler, die Ausreise klappt problemlos. Dann schnauft sich der Dacia die Berge hinauf, es wird frischer, auf Sonne folgt Schnee, es folgt der Gotthard und die Auslosung zur nächsten Runde. Pia hat ihr Handy an, verkündet Paarung um Paarung. Und dann der Hammer: Die Eintracht spielt in Lissabon, bei Benfica. Für mich ein absolutes Traumlos. Lissabon. Im Frühling. Fado. Tejo. Galao. Pasteis de nata. Alfama. Vinho Verde. Pessoa.

Drohende Auswärtssperre.

Ach, weißt du was Pia. Wir fahren da vorne raus und buchen jetzt einen Flug und eine Unterkunft. Und wenn wir nicht rein dürfen, machen wir halt Urlaub.

Und so fahren wir bei Hergiswil kurz runter, stellen uns an den See, buchen bei steigenden Preisen einen Flug von Dienstag bis Samstag, eine einfache Unterkunft dazu – und eh wir länger nachgedacht, war’s passiert. Nicht stornierbar, egal, was geschieht, wir werden in Lissabon sein. Vorausgesetzt, wir bleiben gesund.

Leicht aufgekratzt fahren wir weiter, Luzern, Basel, Stau. Freiburg. Stau. Wir fahren durch Emmendingen, winken unserer Freundin Lea, die wir heute nicht treffen können, tanken, fahren zurück auf die Autobahn, Regen, Dunkelheit. Bis Baden Baden geht’s, dann quälen wir uns an Karlsruhe und Heidelberg vorbei, Bergstraße, Darmstadt, Frankfurt.

Wir gehen kurz hoch, dann muss ich weiter, fahre ins Stadion. 25 Leute sind gekommen, um an der Führung teil zu nehmen, ich erkläre, laufe durch die nächtliche Arena, die Leute haben ihren Spaß, dafür haben sie auch bezahlt. Gegen Mitternacht schließe ich ab. Fahre heim. Pia ist da, das ist schön. Und ich bin am Arsch.

Lissabon, wir kommen. Und ein paar sind scheiße, wie der OFC.