Ein Sammelsurium aus dem angebrochenen Leben

Wenn der Kopf richtig funktioniert ist er das dritte Bein

Es war schon ein denkwürdiger Tag, jener 23. März 2011, an dem der Messias Christoph Daum nach Frankfurt kam. Das Besondere  des Momentes war allein schon daran zu erkennen, dass im Presseraum  der Arena die Lautsprecher angeschlossen waren. Schon eine ganze Weile vor dem Erscheinen des Heilsbringers neuen Trainers positionierten sich Fotografen vor auf und unter dem Podium, bauten Kamerateams ihre Technik auf. Es waren alle gekommen, ausnahmslose alle, die in den letzten zwanzig Jahren jemals über die Eintracht berichtet hatten. Der Hessische Rundfunk nutzte die Gelegenheit zu einem Betriebsausflug und ich habe jetzt eine Ahnung davon wie es ist, wenn Paris Hilton in der Stadt weilt; diese nervöse Aufgeregtheit gepaart mit dem Stolz, einem Ereignis von Weltrang beiwohnen zu dürfen ist schon einmalig.

Und dann kam er. Flankiert von Heribert Bruchhagen und Pressesprecher Carsten Knoop betrat Christoph Daum den Raum. Einem kurzem aber heftigem Schweigen folgte ein Blitzlichtgewitter, wie es der Presseraum der Arena nur selten erlebt hat. Und dann ging es ans Eingemachte. In den schönen Süden Kölns sei er gefahren, der Heribert Bruchhagen, zu einer schönen Villa und dort habe er Christoph Daum ganz ohne Anwälte und Berater überzeugt, zur Eintracht zu kommen. Jener Eintracht, die in den letzten Jahren  dabei war, von einer launischen Diva zur grauen Maus zu mutieren – und dazu passend trug Herr Daum tatsächlich einen … mausgrauen Anzug.

Nach einer einleitenden Rede von Heribert Bruchhagen (wir wünschen uns, das alles was wir uns wünschen auch so kommt) begrüßte Christoph Daum die Anwesenden und auch die live Zugeschalteten in aller Welt. Und schon nach wenigen Minuten war klar: Sollte Christoph Daum eines Tages eine Pressekonferenz mit Ioannis Amanatidis abhalten, ist dringend angeraten, eine Übernachtung einzukalkulieren

Inhaltlich waren wir schon nach wenigen Minuten auf dem Weg nach Europa bzw. auf dem Weg, das internationale Flair nach Frankfurt zurück zu holen. Denn jeder der Christoph Daum kennt weiß, dass dieser nach dem Prinzip verfährt: Visionen schaffen Fakten. Sagte er und während ich noch staune, vergesse ich, in das Gesicht von Heribert Bruchhagen zu schauen. Zuerst müssen Visionen da sein, erklärte Daum und dazu: ich denke, dass ich da mit Heribert Bruchhagen auf einer Linie liege, dass wir sehr viele Visionen haben.

Zu gerne hätte ich in diesem Moment die Gedanken des Vorstandsvorsitzenden lesen mögen. Doch da plauderte der neue Coach schon gut gelaunt über den bevorstehenden Personalangleich, dem Kommen und Gehen von Spielern und Mitarbeitern. Er hätte es zudem gern, dass die Region wieder mit Stolz das Trikot der Eintracht trägt. Kurzzeitig durchzuckt es mich: Meint er mit Region jetzt Trier? Aber nur hinkommen, Hand auflegen und der Erfolg stellt sich von alleine ein: Das geht nicht. Ich nicke ergriffen.

Immerhin: Es geht in erster Linie um den Verein Eintracht Frankfurt, um die Mannschaft und Christoph Daum versucht diesen Verein zu unterstützen, damit jeder sagen kann: Ich bin stolz auf Eintracht Frankfurt, denn jeder weiß: Wenn der Kopf richtig funktioniert, ist er das dritte Bein, dann macht er den kleinen Unterschied aus.

Es ist der Mittag der bahnbrechenden Erkenntnisse: Motivation ist richtig verstandene und praktizierte Kommunikation. In erster Linie geht es jetzt 25 Stunden am Tag um die Eintracht. Wir wollen in Vorleistung gehen, damit das Feuer vom Spielfeld auf die Zuschauer überspringt.

Unablässig rattern die Motoren der Kameras, Daum erzählt davon, die Fans mitzunehmen, jeder Spieler fange bei Null an, das Wort Abstiegskampf wird von nun an getauscht gegen Klassenerhalt. Dabei lebt Daum die knallharte Seite des Berufes vor. Bei seiner Familie liegen Fotos und Videos von ihm, er selbst aber lebt von nun an für die Eintracht. Es ist unerheblich, wo ich wohne. Ich. Wohne. Jetzt. Und bin mit Leib und Seele in Frankfurt. Toll. Co-Trainer ist Roland Koch, der in der Erfolgsplanung eine wichtige Rolle spielt. Marcel Daum, der Sohn des Trainers, wird mit Software Programmen zusammen arbeiten. Zu guter Letzt glitt die Pressekonferenz ein wenig ab, als ein junger Mann von Radio YouFM Christoph Daum um eine Umarmung bat. Bruchhagens Blick ähnelte jenem, als von gemeinsamen Visionen die Rede war.

Es sind insgesamt selbstbewusste Worte die fallen, und bei rechter Überlegung bleibt bestehen, dass Daum die Eintracht wenig kennt und es wichtig ist nach vorne zu schauen, denn sonst knallst du irgendwo gegen. Mächtig hat es bei Daums letztem Auftritt als Trainer geknallt: Am letzten Spieltag der Saison 2009/2010 spielte Fenerbahce zuhause nur 1:1 gegen Trabzonspor während Bursaspor gegen Besiktas mit 2:1 gewann – und dadurch im letzten Moment Türkischer Meister wurde. Der Stadionsprecher bei Fener hatte jedoch schon den Ausgleich von Besiktas und die damit verbundene Meisterschaft Feners verkündet – ein fataler Irrtum.

Nun, vorzeitig wird in Frankfurt sicherlich auch in absehbarer Zeit kein Meistertitel verkündet.

Am Trainingsgelände der Eintracht hatten sich derweil nahezu anderthalb Tausend Kiebitze eingefunden – erstmals wurde bei einem Training frisch gezapftes Bier gegen Bargeld verkauft. Daum erschien wenig später in blauem Trainingsanzug; zu den Sponsoren der Eintracht gesellte sich ein Aufnäher eines privaten Geldgebers. Der HR übertrug das Training live, Werner Damm moderierte, Thomas Bertold gab den Experten – rein emotional dachte ich kurzzeitig an die Hochzeit von Lady Di.  Am Spielfeldrand lümmelten Fans auf einer Kolter, eine Shisha dampfte dazu und die Sonne strahlte über die Köpfe der Spieler, die sich von Zeit zu Zeit umarmten. Eine Mischung zwischen Woodstock und Wäldchestag lag in der Luft. Und ich weiß nun: Jede delegierte Macht ist eine schwache.

Co-Trainer Koch rief derweil den Profis zu: Ihr seid Eintracht.

32 Kommentare

  1. Kid

    „Das dritte Bein“ wird dann die Überschrift zu meinem Spielbericht über den Auswärtssieg in Wolfsburg. ;-)

    Gruß vom Kid

  2. Beve

    ich wünsche es uns von herzen, dass es so kommen möge :-)

  3. pia

    woodstock und wäldchestag am waldstadion – wahnsinn.

  4. Fritsch

    Der Rock’n’Roll ist zurück im Wald. Nur wir nennen ihn hier anders.
    W’n’W’n’W = Woodstock & Wäldchestag am Waldstadion!
    Großes Kino, großer Beitrag!

    Viele Grüße & weiterhin sichere Straßen,
    Fritsch.

  5. Bembelmonster

    „Wer soll uns schlagen?“ http://WWW.ahnsinn
    Dazke Axel, dass Du das so schön festgehalten hast!

  6. Beve

    wer weiß wohl, wohin wir wandern?

  7. rotundschwarz

    Weh, weh, Windchen…

    Danke fürs Berichten aus erster Hand. Fein!

    PS: Aufregung in der Stadt bei einem Besuch von Paris Hilton? Aber nur in Ermangelung von Liz Taylor. Oder Christoph Daum *g

  8. Holz

    Heißt es nicht auf „einem Kolter“?!

  9. Beve

    Liz Taylor als Cleopatra – Das war ein Ereignis und nicht die Simulation dessen.

    Holz, ich glaub, das ist regional verschieden. Auf alle Fälle ließen es sich die Jungs gut gehen.

  10. pia

    Kọl|ter das; -s, – ‹über altfr. coltre aus lat. culter „Messer“›: (landsch.) Messer vor der Pflugschar

    der oder das kolter ist eine decke. und ich glaube, die haben eher auf einer decke als auf einem pflugmesser gesessen ;-)

  11. pia

    edit!

    der oder DIE kolter ist eine decke!

  12. Beve

    ich habs genau gesehen, die saßen wirklich nicht auf einem pflugmesser :-)

  13. owladler

    Bei uns hieß es „die Kolder“. Man kann sich eine Kolder übrigens auch über den Kopf ziehen und Dunkelheit simulieren, man wird dann auch nicht geblendet. Und die Geräusche werden gedämpft. Wer weiß, was wohl werden wird?

  14. Beve

    hoffentlich ein klassenerhalt :-)

  15. Goyschak

    DIE Kolter. Alles andere wäre schläd.

    • Holz

      Quatsch! Der Kolter, das Kneipchen und die Bach

  16. e.s.

    Für mich ist CD ein Blender und Schaumschläger.

    Sollten wir in Wolfsburg und gegen die Fischköppe gewinnen, nehme ich das
    zurück.

  17. Jahn

    man oh man da hat man ein paar wochen kein netzt und dann das: beve verabschiedet sich einfach so. danke für den geilen blog. wehe wenn ich hier kein Heimspiel in lese……
    Übrigens Heimspiel in WOB bin ich dabei. Schon mein 2. Spiel dieses Jahr :dead. Diesmal aber wirklich ein Heimspiel. Ganze 14km zum Stadion. Hoffe ich sehe den ein oder anderen von Euch!

  18. Beve

    Derzeit weht halt überall ein frischer Wind; bei der Eintracht vielleicht gerade noch rechtzeitig. Warten wir ab, was passiert – wie bisher konnte es ja nicht weiter gehen.

    Jahn, herzlich im neuen blog :-)

  19. Ergänzungsspieler

    Bruchhagens Visionen. DAS ist mir auch aufgefallen. Hat das der Daum am End unbedacht gekündet oder täuscht er sich in ihm oder täuschen wir uns alle in Bruchhagen oder wollte CD den HB aus der Reserve locken oder hat er sich gar geändert, der HB oder oder oder

    Ich freue mich auf den Klassenerhaltskampf, noch mehr freute es mich in der nächsten Saison Bruchhagens tatsächliches visionäres Potenzial erleben – auch wenn die beiden ganz und gar nicht zusammenzupassen scheinen.

  20. Ergänzungsspieler

    da fehlt ein „zu“. Mindetstens.

  21. Holz

    Kolter!! es lässt mir keine ruhe, ich bleib
    bei DER kolter. siehe auch:

    Kolter: Kolter (m); Mehrzahl wie Einzahl (t weich sprechen); Wolldecke;
    „Leg d’r en Kolter eawwer die Knäi, ’s eaß kahlt“
    [Winter, Emil: Mittelhessisches Wörterbuch, Gießen, 1993]

  22. Beve

    Gute Frage Ergänzungsspieler – vermutlich wird es ein Rollenspiel sein. Abwarten.

    Holz, nehmen wir die Wolldecke – da ist’s dann klarer. Aber en kolter könnte sowohl ein als auch eine bedeuten. das m hinter dem begriff kolter heißt dann bestimmt: mädchen :-)

  23. Goyschak

    Also in Osthessen ist die Kolter weiblich. 8-)

  24. Schnellinger

    Mittelhessisch ist hier aber nicht Thema, alles außer Frankfurt ist Scheiße.
    Und ich wickel mich seit über 40 Jahren in DIE Kolter.

    • Holz

      Das ist ein tatsächlich ein Totschlagsargument. Gebe mich geschlagen!

  25. pia

    schlimm ist, dass ich jetzt ein kindheitstrauma zu verarbeiten habe. in meiner familie (dorf bei limburg) haben wir statt kolter den begriff „kult“ verwendet. ich google ein bisschen und was muss ich da lesen:
    „Kolter wird überwiegend im Süden und Westen Deutschlands verwendet. In der Rheinland-Pfälzischen Region Rheinhessen ist stattdessen das Wort Kult in gleicher Bedeutung anzutreffen.“

    ich und rheinhessen … pfft.

  26. Schnellinger

    Wikipedia ist nicht unbeding Fakt!, nur weil es da mal ein Einzelner reingeschrieben hat, Pia.
    Mir ist in 10 Jahren Exil in Rheinhessen das Wort Kult in dem Zusammenhang nie begegnet, und ich kenn mich mit Rhoihessisch recht gut aus. Was aber nicht ganz ausschließt das man im Hinterland 10 Käffer weiter an der Sprachgrenze zur Pfalz vielleicht auch irgendwo Kult sagt.

  27. rotundschwarz

    Rheinhessen ist besser als sein Ruf, hat aber leider dieses eine große Manko: „Kult“ ist hier kein Kolter, sondern leider ganz was anneres…

    Ansonsten: Die oder der Kolter? Ich glaub: Mer sagt beides, und je nachdem, ob man „die“ oder „der“ sagt, hat es eine gaaaaaaanz leicht andere Bedeutung – das is so wie mit der und die Butter. Oder wie mit die und das – sagen wir mal – Pia. Die ist richtiger, aber wenn man „da kommt das Pia“ bzw. (gib mir mal) „den Butter“ oder „den Kolter“. ggf. sogar „des Kolter“ sagt, gibt das der Situation, in der es gesagt wird, eine liebevoll-heimelig-vertraute Athmosphäre :-).

    Und alles in allem ist das natürlich vor allem ein Beleg dafür, wiiiiiiie differenziert das Hessische ist. Jawohl.

  28. Beve

    ich finde es es ja klasse. Während rundum mit den fingern geschnippt wird und parolen skandiert werden, war hier das entscheidende die/der/das kolter. großartig.

    ich bin froh ;-)

  29. pia

    des kolter ist das dritte bein.

    so, da wäre wieder der bezug zum eigentlichen drama hergestellt.

    es grüßt,
    das pia :-)

  30. Schnellinger

    Es heißt der Bein. Heißt ja auch der Uuuuuuwe. ;-)

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