Ein Sammelsurium aus dem angebrochenen Leben

Der Tag, als Ansgar im Museum war

Proppevoll wars im Museum der Frankfurter Eintracht, als Ansgar Brinkmann sich und die mit Bastian Henrichs gemeinsam produzierte Biografie Der weiße Brasilianer vorstellte. Der weiße Brasilianer – ein Begriff, den Trainer Rolf Schafstall einst geprägt hat, als er den jungen Brinkmann in Osnabrück trainierte und der Ansgar Brinkmann bis heute kennzeichnet; technisch filigran, zuweilen flatterhaft und dem Ball stets in großer Zuneigung begegnend – so irrlichterte der Blondschopf zwischen 1987 und 2007 durch die Ligen und wechselte in dieser Zeit 14 Mal den Verein; für den VfL Osnabrück, den FC Gütersloh und Preußen Münster spielte er gleich mehrmals. Und er trainierte unter insgesamt 38 verschiedenen Übungsleitern, darunter Benno Möhlmann, der ihm nicht wirklich übelnahm, dass er schon mal noch kurz vor dem Spiel Pommes in sich hinein schaufelte.

Mehrfach hatten sich Ansgar Brinkmann und Bastian Henrichs, seines Zeichens freier Journalist, getroffen, wobei die Gespräche auf Band aufgenommen wurden und die Grundlage für das Buch bildeten, welches im April vergangenen Jahres im Deliuis Klasing Verlag erschienen ist. Henrichs, der schon in jungen Jahren Fan des weißen Brasilianers war, formte eine Biographie, die nicht nur die fußballerischen Stationen Brinkmanns beleuchtet, sondern gleichwohl auch den Menschen, dessen Hang zu Autos und Musik auch im Gespräch deutlich wurde.

Aufgewachsen als jüngstes von sieben Geschwistern in Bakum, einem kleinem Ort zwischen Osnabrück und Bremen, lernte der kleine Ansgar schon früh, sich zu behaupten – sowohl auf dem Fußballplatz als auch auf der Straße. Und natürlich färbte der Einfluss der älteren Brüder auf ihn ab; so setzte sich Ansgar schon in jungen Jahren hinter das Steuer des väterlichen Wagens – und verkaufte auch übermütig die zum Broterwerb bestimmten Schuhe des Vaters (Beruf: Schuhverkäufer) vor einer Diskothek für kleines Geld aus dem Kofferraum. Das brachte ihm neben ein paar Mark auch einen Satz heiße Ohren ein. Fußballerisch war er jedoch stets einer der besten; so wurden bald größere Vereine auf ihn aufmerksam. Scheiterte ein Wechsel zu Werder Bremen zunächst am Alter, so verließ er seine Heimat erstmals mit 16 Jahren, um für die A-Jugend des damaligen Erstligisten Bayer Uerdingen zu spielen – und dies höchst erfolgreich: Gemeinsam mit Oliver Bierhoff und Marcel Witeczek wurde er 1987 tatsächlich Deutscher Meister – durch einen 2:1 Sieg über … Eintracht Frankfurt, in deren Reihen der junge Uwe Bindewald spielte.

Während seiner Zeit in Krefeld blieb Brinkmann außerhalb des Platzes weitestgehend sich selbst überlassen; der Verein kümmerte sich nicht wirklich um die Nachwuchsspieler, Geld gab es auch keines, selbst die Sportklamotten mussten von den Spielern gewaschen werden. Immerhin besuchte Ansgars Mutter ihn regelmäßig, beobachtete die Spiele und versorgte den Bub mit Lebensmitteln. Und wenn das Taschengeld aufgebraucht war, freute sich Brinkmann in seiner spartanischen Bude über die Einmachgläser und den damit verbundenen Hauch der Heimat, in die es ihn nach seiner Jugendzeit zurück zog. Trotz lukrativer Angebote unterschrieb er seinen ersten Profivertrag beim VfL Osnabrück für den er anschließend bis zum Winter 90/91 knapp 100 Spiele in der zweiten Liga absolvierte. Ganz ohne Reibereien ging es dort nicht ab, vor allem Pele Wollitz beklagte die Spielweise Brinkmanns. Anschließend ging es erstmals zu Preußen Münster. Legendär wurde der Satz auf dem Anrufbeantworter:  „Bin bis um fünf Uhr in meiner Stammkneipe zu erreichen“. Eigentlich als Spaß für Freunde gedacht, gelangte die BILD davon in Kenntnis und veröffentlichte ihn prompt. Laut eigener Aussage könnten sowohl Anrufbeantworter als auch das Band noch existieren – ein Fall für das Eintracht-Museum.

Im Sommer 93 wechselte Brinkmann trotz dessen Nähe zur heimatlichen Region zu Mainz 05, etablierter Zweitligist und Heimat von Jürgen Klopp, der schon damals über den Tellerrand hinaus schaute und zudem die Mannschaft auch als Spieler motivieren konnte. Spektakulär die Kündigung von Brinkmann in Mainz, kurz nachdem er seinen Vertrag verlängert hatte. Mit zerrissenen Jeans und Stirnband enterte er das Präsidiumszimmer, in dem schon damals die Herren Strutz und Heidel saßen und verkündete lautstark seinen Abgang. Mich seht ihr hier nicht wieder. Und er sollte Recht behalten. Als er zum Trainingsauftakt nicht erschien, riefen die Mainzer bei ihm an und fragten, wo er denn stecke. In London, beim Bruce Springsteen-Konzert so die wahrheitsgetreue Antwort.

Tiefpunkt seiner Karriere war die Zeit beim BV Cloppenburg, die sich seinerzeit über Albert Sprehe, Inhaber eines Feinkostunternehmens, finanzierten. Da Brinkmann in Gütersloh zu teuer war, ein Proficlub ihn nicht finanzieren wollte, wechselte er als Gallionsfigur nach Cloppenburg. Auf der Weihnachtsfeier sollte der damalige Kapitän eine Rede halten, was Ansgar auf seine Weise auch tadellos hinbekam. Bei uns ist es egal, ob der Trainer oder der Busfahrer auf der Bank sitzt sprach er eine einfache Wahrheit aus und wurde sofort in die zweite Mannschaft versetzt, die in der Kreisklasse kickte. Und selbst dort landete er sogar zunächst nur auf der Auswechselbank.

Der von Charly Körbel trainierte FSV Zwickau interessierte sich für den blonden Dribbler und beinahe war der Wechsel vollzogen, hätte da nicht auf dem Weg Brinkmanns Telefon geklingelt. Am Apparat war vermutlich Ute Hering, Sekretärin des Präsidiums der Frankfurter Eintracht, die Interesse an Ansgar Brinkmann zeigte und ihn nach Frankfurt beordern wollte. Glaubte Brinkmann zunächst an den Scherz eines Freundes, so überzeugte ihn erst der zweite Anruf, nun durch Eintracht-Präsident Rolf Heller persönlich. Schnurstracks sauste Ansgar nach Frankfurt, unterschrieb den Vertrag und erklärte der erstaunten Journalistenschar, die den Kicker aus der Kreisklasse natürlich fragten, was er denn in Frankfurt wolle. Ich bin hier um die Mannschaft zu stärken erklärte er selbstbewusst – und sollte Recht behalten. Im Jahr Eins mit Brinkmann stieg Eintracht Frankfurt auf und hielt im zweiten Jahr durch das legendäre 5:1 gegen den 1. FC Kaiserslautern am letzten Spieltag die Klasse. Zustande gekommen ist der Kontakt über Horst Ehrmantraut, den damaligen Trainer der Eintracht, der zuvor den SV Meppen trainierte und Brinkmann über die regionale Nähe zu Osnabrück, Gütersloh und Münster von daher kannte. Als Ehrmantraut entlassen wurde (trotz eines Sieges über Bayern München und einer Platzierung oberhalb der Abstiegsränge) übernahm Reinhold Fanz das Zepter, ein ausgewiesener Fußballfachmann, der es jedoch nicht verstand, die Mannschaft zu motivieren. Endlose Monologe über Taktik und Spielsystem bewirkten eher das Gegenteil und es bedurfte schon eines Jörg Berger, der die Eintracht in den letzten spielen der Saison 98/99 in die Spur brachte. Mit Berger zusammen war Brinkman übrigens nach dem Klassenerhalt ins ZDF Sport-Studio eingeladen, wo auch die Meistermannschaft des FC Bayern um Franz Beckenbauer zu Gast war. Als Beckenbauer Brinkmann ansprach, war dessen erste Reaktion: Boah, der kennt mich. Beckenbauer war Kapitän der Weltmeistermannschaft von 1974 – neben Muhammad Ali die großen Vorbilder des kleinen Ansgar Brinkmann.

Brinkmann, der sich voll des Lobes sowohl über Ehrmantraut aber auch über das willensstarke Eintracht-Team jener Jahre äußerte wäre nach dem Klassenerhalt gerne in Frankfurt geblieben. Die Eintracht aber verkaufte ihn aus finanziellen Gründen nach Berlin, zu Tennis Borussia – eine Transaktion, die beiden wenig Glück brachte. Während Eintracht Frankfurt erheblich in die Mannschaft investierte (Salou, Guie-Mien, Heldt, Kracht) und dennoch zwei Jahre später abstieg, landete die von der Göttinger Gruppe finanzierte Mannschaft aus Berlin auf einem enttäuschenden 13.ten Platz in Liga Zwei. Mit dem Zusammenbruch der Göttinger Gruppe fehlte der Sponsor und TeBe fiel auseinander. Über ein erneutes Engagement in Osnabrück landete Brinkmann in Bielefeld. Verpflichtet noch von Heribert Bruchhagen (welcher Brinkmann schon aus seiner Zeit beim HSV kannte und in der gleichen Gegend beheimatet ist), der kurz darauf zur DFL wechselte, stieg Brinkmann mit der Arminia auf und spielte erneut in der ersten Liga. Seine letzte große Station war Dynamo Dresden, dort konnte er den kaum noch für möglich gehaltenen Klassenerhalt realisieren. Zum Ausklang seiner Karriere schnürte er die Fußballstiefel noch einmal für Preußen Münster, bis er 2007 den Profifußball endgültig an den Nagel hängte.

Zu seinem Abschiedsspiel in Bielefeld kamen Fans und Spieler aus allen Vereinen für die er gespielt hatte zusammen und feierten sowohl auf dem Platz als auch danach ein rauschendes Fest. Als ein paar Frankfurter Fans von den Sicherheitskräften nicht zu den anschließenden Feierlichkeiten eingelassen wurden, nahm sich Brinkmann höchstslbest der Sache an und somit konnten auch die Ausgesperrten mitfeiern – nicht selbstverständlich, wobei Brinkmann die Normalität des Vorganges betonte. Für Ansgar Brinkmann scheinen Dinge normal, die für andere keineswegs selbstverständlich sind; vielleicht erklärt dies die außerordentliche Beliebtheit des „letzten Straßenfußballers“ bei Fans aller Vereine für die er gekickt hat. Und er hat viel gespielt, über 500 Einsätze in den ersten vier Ligen, dazu drei in der Kreisklasse bei der zweiten Mannschaft des BV Cloppenburg. Und obgleich er kein Länderspiel vorzuweisen hat, ist Ansgar Brinkmann noch heute gern gesehener Gast bei Charity-Spielen, wo er mit seinen Helden von einst in der gleichen Mannschaft steht.

Unter tosendem Applaus endete ein überaus interessanter Abend im Eintracht Museum, wo Ansgar Brinkmann noch Hunderte Schwätzchen halten durfte und sich die Finger für Autogramme wund schrieb. Natürlich in seiner Biographie, in der noch viel mehr bunte Geschichten aus seinem bewegtem Fußballerleben niedergeschrieben sind. Was nicht darin steht ist die die simple Tatsache, dass Brinkmann niemals gegen Eintracht Frankfurt verloren hat. Nicht mit Bayer Uerdingen, nicht mit Gütersloh, mit Bielefeld und auch nicht mit Dresden. Das ist ein Ding.

Fotos: Steffen Ewald

4 Kommentare

  1. rotundschwarz

    Hab’s an diesem Mittwoch leider, leider mal wieder nicht geschafft, ins Museum zu kommen. Am Samstag, in der Halbzeitpause, hat mir ein DK-Nachbar dann von dem Ansgar-Abend vorgeschwärmt und ein paar Details (z.B. den spektakulären Abgang bei den 05ern ,-) erzählt. Hatte auf einen Bericht von dir gehofft – und freu mich sehr, dass er jetzt da ist (obwohl ich mich jetzt dann noch mehr ärgere, dass ich nicht da war). Seufz. Danke! lgk

  2. Beve

    yo, der Abend war mal wieder legendär und hat spaß gemacht. e bissi was kannst du ja im buch noch nachlesen – ein paar gewaltige schoten kamen ja im museum auch gar nicht zur sprache :-)

    viele grüße

    beve

  3. pia

    ja, das war ein genialer abend. ansgar und bastian – beide supernett.
    ich schrieb es schon in der ankündigung, solche typen wie ansgar wird es leider nicht mehr allzu oft geben.
    darum ein herzliches dankeschön an alle für den wunderschönen kurzweiligen abend!

  4. Beve

    bitteschön. wenn mich nicht alles täuscht, wurde er ja festgehalten :-)

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