Ein Sammelsurium aus dem angebrochenen Leben

Es lebe der Friedhof

Zum dritten Mal hatte das Eintracht Frankfurt Museum einen Rundgang über einen der Frankfurter Friedhöfe organisiert, um Gräber verstorbener Eintracht-Größen zu besuchen. Fanden die ersten beiden Rundgänge noch in Eigenregie statt, so war der dritte eingebettet in den Tag des Friedhofs, eine Veranstaltung bei der der Hauptfriedhof quasi einen Tag der offenen Tür anbot und wir um 12:00 Uhr einen Spaziergang zu den Gräbern verstorbener Eintrachtler unternahmen. Bei anderen Vereinen können die Toten sogar in der Nähe des Spielfeldes beigesetzt werden; speziell ist dabei das Verstreuen der Asche der Verbrannten auf dem Rasen. Dies führt allerdings zu bislang ungeahnten Problemen. Da in modernen Stadien der Rasen regelmäßig ausgetauscht wird, wäre ja nun auch die Asche perdu. In England ging man dazu über, die Asche auf Rasenteilen hinter den Toren zu verstreuen; auf dass die Ewigkeit ein Auge darauf hat.

Ein Trupp von 25 Menschen, darunter der Enkel und Urenkel des Eintracht-Gründers Albert Pohlenk sowie Inge Kress, die Frau des einstigen Nationalspielers Richard Kress,  setzte sich bei einsetzendem Regen in Bewegung. Wir besuchten die Gräber des Eintrachtfans Georg Poth, der in den Fünfziger und Sechziger Jahren die Eintracht begleitete. Poth verstarb am Abend des 19.09.1964. Zuvor hatte er im Stadion die bis heute höchste Niederlage der Eintracht in der Bundesliga gesehen – mit 0:7 ging die Eintracht gegen den KSC damals unter – zuviel für den Mann, der auf fast allen Bildern anlässlich des Titelgewinns 1959 zu sehen ist.

Weiter ging’s zum 1930 verstorbenen Albert Wamser, dessen Grabstein ein mächtiges Portrait des Verstorbenen ziert; Wamser, der nicht zuletzt dem einstigen Reichspräsdidenten Hindenburg die Hand geschüttelt hat – und ordentlich stolz darauf war, war ein Ur-Eintrachtler; eine respektvolle Erscheinung mit wallendem Bart der sein Herz an die Turnabteilung verloren hatte. Doch auch bei den Leichtathleten war er zuhause.

Die nächste Station waren die Gräber von Karl-Heinz Runzheimer und dessen Frau Doris, geborene Eckert. Doris Eckert war eine Leichtathletin und vertrat die Farben der Eintracht bei Olympia 1936 während ihr Gatte ein begeisterter Hockeyspieler war und dazu langjähriger Mannschaftsarzt der Eintracht-Fußballer. Sogar Fritz Walter kam aus Kaiserslautern, um sich bei Runzheimer behandeln zu lassen.

Wir wanderten weiter zu den Gräbern von Richard Kress und Hermann Höfer. Beide standen in der Mannschaft, die 1959 die bislang einzige Meisterschaft für die Eintracht an den Main holen konnten, beide standen im Europapokalfinale 1960, in dem Richard Kress das erste Tor erzielen konnte und beide standen auch im allerersten Bundesligaspiel für die Eintracht auf dem Platz; Richard Kress im Alter von 38 Jahren. Höfer, dessen Spitzname „Stift“ sich noch aus den Lehrjahren bei einer Bank ableitete, fungierte nach seiner Karriere, die er 1966 verletzungsbedingt beenden musste, noch als Trainer der Amateure und als Vizepräsident der Eintracht. Beide sind im gleichen Jahr verstorben, 1996, und liegen nicht weit voneinander entfernt.

Zu guter Letzt besuchten wir die letzte Ruhestätte von Albert Pohlenk, der Mann, der den Vorgängerverein der Eintracht, die Victoria, aus der Taufe gehoben hatte und erster Vorsitzender des Clubs gewesen ist. Pohlenk, der eigentlich aus Sachsen stammt, blieb seinerzeit auf der Walz der Liebe wegen in Frankfurt hängen und stand auch im allersten Spiel der Victoria auf dem Platz, als der FC Bockenheim mit 4:1 besiegt werden konnte. An allen Gräbern legten wir im Gedenken einen Blumenstrauß nieder.

Als sich nach dem Rundgang die Teilnehmer in alle Winde verstreuten, besah ich mir den Friedhof, der 1828 die Nachfolge des zu klein gewordenen Petersfriedhof antrat genauer. Etliche Stände boten Informationsmaterial, es gab Kaffee und Kuchen, Weck und Worscht und Führungen zu verschiedenen Themen. Lehrlinge hatte Mustergräber aufgebaut; für ehemalige Kegler, Gärtner oder Punks – Plakate verkündeten seltsam lustige Sprüche; beim Grab des vermeintlichen Gärtners: Seine Welt war das Feld oder bei der Punkerin: Sie hatte immer einen eigenen Kopf. Das Foto zeigte einen Irokesenschnitt, dessen roter Kamm auf dem Grab mit Erikablumen nachgebildet wurde. Sehr hübsch auch das Grab eines Karnevalisten in Narrenform. Tatsächlich sprang auf dem Friedhof auch ein junges Mädchen, verkleidet als Clown umher.

Eine Grabreihe zeigte den Verlauf vom ausgehobenen Grab bis hin zum fertigen, Schilder informierten über Rituale verschiedener Kulturen; hochinteressant schien mir, dass beim Verbrennungsritual der Hindus das Knacken des Schädels ein Zeichen dafür ist, dass die Seele den Körper verlässt.

Sogar das Krematorium hatte geöffnet; das Verbrennen von Sarg und Körper dauert wie beim Fußball 90 Minuten erfuhr ich dabei, bei extremer Fettleibigkeit ist sogar eine Nachspielzeit möglich. Auf der Rückseite der Öfen wird die Asche durch eine kleine Luke entnommen. Jeder Verbrennung wird ein Stein mit eingravierter Nummer beigelegt, auf dass die Asche auch eindeutig dem Verstorbenen zugeordnet werden kann. Die Verbrennung kostet um die 350 Euro, eine Nacht im Kühlregal um die 50.

Da ich nun schon einmal hier war, schloss ich mich einer Führung zu den Gräber berühmter Frankfurter an. Es war ein eigenartiger Trupp, der sich da unter der Leitung von Brigitte Franke in Bewegung setzte, während die Sonne langsam durchbrach. Unter unseren Füßen knirschten Kastanien, Haselnüsse und Eicheln und wir marschierten zu den Gräbern ehemaliger Bürgermeister wie die Herren Adickes, Arndt, Brundert, Kolb, Miquel, Möller, Mumm von Schwarzenstein oder Fellner. Tragisch das Ende des Karl Konstanz Viktor Fellner, unter dessen Amtszeit die freie Stadt Frankfurt von den Preußen annektiert und zu gigantischen Zahlungen verpflichtet wurde. Als Fellner merkte, dass er dies nicht verhindern konnte, erhängte er sich am Morgen des 24.07.1866 in seiner Wohnung in der Seilerstraße.

Doch nicht nur Bürgermeister liegen hier begraben; auch der legendäre Heinrich Hoffmann, Erfinder des Struwwelpeter oder Alois Alzheimer, der Entdecker der gleichnamigen Krankheit. Auch einst lebendige Vorbilder für die Geschichten des Struwwelpeter sind hier zu finden, so Philipp von Fabricius, der Zappelphilipp oder das Paulinchen, Pauline Schmidt, die allerdings nicht verbrannte sondern im Alter von 16 Jahren einer Krankheit erlag.

Etwas in Vergessenheit geraten ist Lina von Schauroth, die Tochter des Frankfurter Bauunternehmers Philipp Holzmann, der gleichfalls hier begraben liegt. von Schauroth, deren finanzielle Unabhängigkeit ihr schon früh ein Leben als Künstlerin ermöglichte, galt als Grande Dame der Frankfurter Gesellschaft.

Das bekannteste Grab auf dem Frankfurter Hauptfriedhof ist sicherlich das von Arthur Schopenhauer, der sogar in den Zeichnungen von Wilhelm Busch verewigt wurde. Die Spaziergänge Schopenhauers mit seinem Pudel wurden sicherlich ebenso legendär, wie dessen philosophischen Werke. Doch auch Wilhelm Busch hatte einen starken Bezug zu Frankfurt. Durch seinen Bruder Otto, Hauslehrer im Hause Keßler, der auch auf dem Hauptfriedhof begraben liegt, lernte er die Bankiersgattin Johanna Keßler kennen – und zwar so gut, dass der Ehemann der Johanna dies am End gar nicht gerne sah, zumal die Begebenheiten im Hause Keßler das Material für eine der berühmtesten Geschichten Buschs lieferte: Die Fromme Helene.

Weitere bekannte Frankfurter, die hier ihre letzte Ruhe fanden sind der Unternehmer Josef Neckermann, der Verleger Siegfried Unseld, der Stadtgärtner Sebastian Rinz, die Gründerin des Volkstheaters Liesel Christ, die Schriftstellerin Ricarda Huch oder die Industriellenfamilie von Weinberg, die von den Nazis nach der Machtergreifung enteignet wurde. Und natürlich liegt hier auch Friedrich Stoltze: Un es will merr net in mein Kopp enei: wie kann nor e Mensch net von Frankfort sei! Aber auch an die weniger bekannten Toten wurde gedacht, so gibt es hier seit einigen Jahren eine Gedenkstätte für diejenigen, die von der Krankheit Aids hinweg gerafft wurden.

Kühl ist’s geworden und nach über 90 Minuten neigte sich der Spaziergang dem Ende zu. Natürlich konnten wir nicht alle Gräber besichtigen, so vermisste ich ein Besuch am Grab der großartigen Fotografin Absiag Tüllmann, oder von Theodor W. Adorno – aber das werde ich sicherlich demnächst nachholen, so wie der Friedhof stets einen Besuch wert ist, wenn man grad mal nicht weiß wohin mit sich und seiner Zeit.

 

4 Kommentare

  1. ThorstenW

    hmm, wenn ich nicht weiss wohin mit meiner Zeit, gehe ich lieber an der Nidda laufen…

  2. Fritsch

    Diese stillen Spaziergänge mit Dir sind immer wieder beeindruckend, Beve. Eintracht, Tüllmann & Deine wunderbaren Momente … es kommt alles zusammen, macht Sinn, stimmt nachdenklich & fühlt sich irgendwie gut an. Danke dafür!

    Viele grüße & weiterhin sichere Straßen, Fritsch.

  3. Beve

    an der nidda zu joggen ist ja ne feine sache. auch dort trifft man bestimmt den ein oder anderen eintrachtler :-)

    dank dir fritsch, es war in der tat ein beeindruckender sonntag. herbst.

    viele grüße an euch

    beve

  4. Kosta

    Bin gerade eben das erste mal auf den Blog gekommen. Gefaellt mir ziemlich gut.

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