Ein Sammelsurium aus dem angebrochenen Leben

Fußballgott auf LSD

Es begann alles an jenem 22. Dezember, als wir zwecks Museumsweihnachtsfeier mit einem Eintrachtbus nach Aachen zum Pokalspiel fahren wollten. Minuten vor der geplanten Abfahrt erkannten wir, dass die Frontscheibe von einem Riss durchzogen wurde, der Wagen wurde hernach ausgetauscht – wir fuhren mit einem Mietwagen und flogen aus dem Pokal. Deuteten wir damals den Riss noch als Symbol für das Pokalaus, so scheint nun klar, dass sich dieser Riss durch das  Gesamtgebilde Eintracht Frankfurt zieht. Wir hätten es erkennen müssen.

Es ist unglaublich, aber Eintracht Frankfurt befindet sich sehenden Auges in freiem Fall in Richtung zweite Liga – und niemand mit dem ich spreche glaubt ernsthaft an den Klassenerhalt, obgleich das Team im Jahr 2011 noch nicht einmal auf einem Abstiegsplatz stand. Trotz des Wissens um Fjörtofts Last-Minute-Treffer gegen den 1.FC Kaiserslautern, trotz Schurs Kopfball zum 6:3 anno 2003 gegen Reutlingen; trotz  der nahezu eingefrästen Erkenntnis, dass ein Spiel und eine Saison erst dann vorbei ist, wenn der letzte Pfiff ertönt – erklingen die Stimmen der Hoffnung kaum hörbar.

Ein drohender Abstieg, ja im Grunde schon die derzeitige Situation pulverisiert die Eintracht und die gesamte Aera Bruchhagen; alle Erkenntnisse der letzten Jahre fliegen allem Anschein nach binnen dreier Monate auf den Müllhaufen der Geschichte. Während Mannschaften wie Mainz, Hannover oder Nürnberg im kommenden Jahr möglicherweise international spielen, darf die Eintracht  womöglich neu aufbauen. Die Flut hebt alle Boote – außer natürlich die mit Löchern, wobei bei der Eintracht eher ein Leck zu sehen ist mit ein bisschen Boot drumrum.  Machen wir uns nichts vor, wir sind derzeit peinlich. Charisteas schießt Eintracht Frankfurt in die zweite Liga – das sind doch Schlagzeilen aus der Welt der Satire. Wie kann ein Trainer, der seit Monaten kein Spiel mehr gewonnen hat einen Spieler als Kapitän auflaufen lassen, der ebenso lange keine Perspektive mehr für den Verein sieht, für den er spielt – und der genau so auf dem Platz agiert. Schwegler. Geht gar nicht und wenn dann bei uns.

Jetzt ist es mit einem Trainerwechsel so eine Sache. Horst Heese, der die Eintracht nach dem Abgang von Stepanovic trainierte, wird in einer alten Fan geht vor mit folgenden Worten zitiert: Eigentlich ist mir dieses Bundesligageschäft zu anstrengend. Ich helfe lediglich einem alten Freund aus der Patsche, entlaste ansonsten viel lieber meine Frau, indem ich Brötchen kaufen gehe und anschließend die Bratwurstpreise vergleiche. Da ist einem doch ein Übungsleiter lieber, der Böcke umstößt und Kühe vom Eis holt, bevor sie Bratwurst werden. Manch einer sagt, selbige stünden bei der Eintracht auf dem Platz – das ist aber purer Nonsens. Heese hat übrigens seinerzeit in Uerdingen bei einem 2:5 für die Eintracht einen vierten Ausländer eingewechselt (das war damals noch streng verboten) und wurde dabei erwischt. Da waren die Punkte wieder weg – heute könnte alles schief laufen – sie könnten uns noch nicht mal Tore abziehen – die gibt’s genau so wenig wie Punkte. Es ist ein Elend.

Verfolgt man auf der anderen Seite die Vorkommnisse rund um die erste Liga auch außerhalb der Eintracht, kommt einem das Treiben so vor, als stünde der Fußballgott unter LSD. Magath und Schalke feat. Facebook – Großartig. Bayern und van Gaal – sagenhaft. Derzeit wird allen ernstes kolportiert, dass Otto Rehhagel Schalke 04 trainieren soll und Bayern München vor der Verpflichtung von Jupp Heynckes steht. Dem Vernehmen nach soll sich Wolfsburg mit Hennes Weisweiler fast einig sein. Auch die Hamburger bereiten Freude, Frank Rost, genannt Fäustel gibt den Amanatidis des Nordens und erklärt die Situation – als Torwart nach einem 0:6. Nachdem alle anderen dort bereits ja gefeuert sind, ist er vielleicht der einzige, der sprechen kann.  Könnte einer für uns sein. Und weshalb hat ausgerechnet die Eintracht von all den Narreteien das ärgste Los gezogen und ist die schlechteste Mannschaft seit Silvester? Und das wo doch quasi alles richtig gemacht wurde. Der nicht mehr geliebte Defensivtrainer wurde geschasst, der mit der Jugend könnende Fußballlehrer wurde verpflichtet; es wurde Geld in die Hand genommen, des Trainers Wunschspieler verpflichtet. Es wurden Ziele ausgegeben und verbale Angriffversuche unternommen. Die Tradition wurde (im Gegensatz zu den Emporkömmlingen aus Hoffenheim) gewahrt, der Stamm der Mannschaft blieb zusammen, wie es die Fußballromantiker, die wir ja alle sind – zumindest im Erfolgsfalle – wünschen und es wurde in Steine investiert – in das Leistungszentrum, das nebenbei gesagt Leistungszentrum heißt, weil man es sich leisten können muss. So ein Zentrum, wo die Meister von  Morgen schon heute kicken. Die wechseln dann zu ambitionierten Clubs in die Türkei und schießen Tor auf Tor, während bei uns obskure Pressekonferenzen abgehalten werden. Auf der anderen Seite wechseln Spieler in der Winterpause den Verein, lassen sich mit dem neuen Trikot ablichten obgleich sie für den alten noch bis zum Sommer spielen – und ballern dann in einem möglicherweisen vorentscheidenden Spiel freistehend am Tor vorbei. Gegen die Eintracht. Vielleicht machen wir nur den Fehler zu sehr auf unsere eigenen Fehler zu starren. Wir sollten uns an Littbarski, Bernd Hoffmann, Srđan Lakić oder Dieter Hoeneß erfreuen – die meinen es doch gut mit uns. Magath hat Schalke vielleicht vollends ruiniert, Gladbach steigt ab – und ich erhebe Anspruch darauf, die optionale Relegation gegen Bochum als erster vorhergesagt zu haben. Da habt ihr noch von 50 Punkten geträumt.

Mir erscheint die Fußballwelt in diesen Tagen so derartig surreal, dass ich mich schon wieder dabei erwische, mich auf die kommenden Dinge zu freuen. Das kann doch nicht schon alles gewesen sein.  Dreiundsiebzig Meter. Für euch gibts aber noch was  Nutzloses und etwas Schönes. Nutzlos ist das Wissen, dass Markus Pröll nun bei dem Verein unter Vertrag steht, von dem Tzavellas kam – und dessen Partie gegen Xanthi ich im Winter vor Ort gesehen habe, nämlich ein trostloses 0:2 von Panionios Athen gegen Skoda Xanthi.  Trostlos – merkt ihr was? Schön hingegen ist ein Foto aus dem Kalender des Fanprojektes der Eintracht aus dem Jahr 1993. Fotografiert hat es Jürgen Megerle in Istanbul. Im Tor der Eintracht: Uli Stein.

13 Kommentare

  1. pia

    wahnsinn. die krise beschrieben ohne namen wie bruchhagen, skibbe, funkel, caio, tosun etc. zu verwenden. das liest man selten :-)

  2. Kid

    Nutzloses Wissen, davon habe ich eine ganze Menge. Es hält sich mit dem „keine Ahnung“ auf der anderen Seite elegant die Waage.

    Auch ich hoffe nur noch auf den Klassenerhalt und glaube nicht mehr daran. In der Mannschaft stimmt es nicht mehr und das nicht erst seit gestern. Ich habe die Zeichen manchmal beschrieben, aber immer nur wie einzelne Teile eines Puzzles.War ich zu feige, sie zusammenzusetzen, weil die Ergebnisse noch stimmten, oder habe ich mich blenden lassen? Wie auch immer – ich hätte es früher bemerken können. Bruchhagen und Skibbe hätten es früher bemerken müssen.

    Gruß vom Kid

  3. Bembelmonster

    UUUUUULLLLLLLIIIIIII !!! *arm-heb*
    Gibt es das Bild aus Istanbul auch im Downloadbereich hier als Wallpaper?

    Klagt nicht kämpft! Es ist erst vorbei, wenn rechnerisch nichts mehr geht. Samstag retten wir die Kuh! Dann gehts WOLFsburg und die Bremer STADTMUSIKATEN … ;)

    Wir ham schon schlimmeres erlebt. Ich glaube fest daran, dass man den Karren noch aus dem Dreck zieht!

    Ich hebe den Arm Euch zum Gruße.
    Uli „Frääääänk“ Stein

  4. Beve

    pia, ich darf ja nichts sagen :-)

    Kid, ich denke, niemand konnte diesen Absturz vorher sagen; auch wenn es vernehmlich im Gebälk knirschte. Dass nicht alles Gold ist was glänzt klar – aber dieses Desaster?

    Fräänk, ja es gab schon schlimmeres. Wobei ich lieber Dritter bin als abgestiegen. Möge aber dein Glaube Flügel verleihen. Das Bild kann ich dir in groß schicken.

    Viele Grüße

    Beve

  5. Bembelmonster

    Großartig!
    Mal sehen ob ich das Uli-Stein-Bild ao ausdrucken kann, dass es genau in mein Fenster passt :o)

    Beve -wir steigen nicht ab! Wir haben genug gelitten. Das Elend wird und muß ein Ende haben. Siehst Du nicht das Licht am Ende des Tunnels?

    In schwarzweißroter Verbundenheit,
    Frääänk

  6. Beve

    ach fraank, ich würd‘ ja gern licht sehen, aber da ist nichts. selbst bei ligaverbleib ist da nichts.

    naja, wer weiß, was kommt.

  7. pia

    „pia, ich darf ja nichts sagen :-)“

    habsch mir gedacht :-)

  8. Beve

    Weiter gehts mit der Meldung Lehmann zu Arsenal. Ich sag ja, das wird noch lustig – und vielleicht erwischen wir ja das gute Ende. Lizenzentzug für Schalke, freiwilliger Rückzug des HSV, irgend sowas wünsche ich mir.

  9. e.s.

    Beve, sehr schön zusammengefasst, für meinen Geschmack etwas zu pessimistisch, die Hoffnung stirbt zuletzt. Für mich sind wir noch lange nicht abgestiegen, und im Gegensatz den den 3 unter uns liegenden Teams können wir den Abstieg sogar noch aus eigener Kraft vermeiden, wir müssten einfach alle ausstehenden Spiele gewinnen, so einfach ist das.

    Schlagt mich, aber ich habe nach wie vor Vertrauen in den Bundesliga-Erklärer. Ich bin mir sicher, dass er nicht untätig rumsitzt und Kippen schnorrt. Verlieren wir gegen St.-Pauli, oder genauer: gewinnen wir nicht gegen St.-Pauli, und MS bleibt Trainer, dann, erst dann werde ich mich fragen, ob Herbie sie noch alle hat.

    Ich finde nicht alles toll. Ich finde zum Beispiel das ewige Gerede von „Die da oben, wir da unten“ nicht prickelnd. Warum ist Mainz oben? Warum Nürnberg? Warum Hannover? haben die alle mehr Kohle? Vielleicht haben sie einfach nur besseres Personal als wir!? Und wenn dem so ist, warum? Ich habe es satt bis Oberkante Unterlippe, dass wir regelmässig gegen die Tabellenletzten verlieren. Ich hätte lieber gegen Dortmund eine Packung kassiert, aber dafür gegen die 3 Tabellenletzten 9 Punkte eingeheimst. Die 9 Punkte, die uns wohl jetzt bis zur endgültigen Beruhigung fehlen. (Ich weiss, es wären dann keine 9, sondern 6 Punkte, aber dann geht meine Pointe flöten!)

    Und machen wir uns nichts vor! Natürlich schimpfen und motzen wir zur Zeit alle, aber selbst im worst case werden wir nicht von dieser Droge lassen können, auch dann nicht, wenn wir kommende Saison zu 2 Auswärtsspielen mit dem Radl anreisen können.

    Auf 3 Punkte gegen St.-Pauli. Auch wenn Sie dadurch wohl – leider – absteigen werden. Wolfsburg als Absteiger wäre mir lieber. Genau Wolfsburg. Und Lautern. Und die Bayern in die Relegation gegen Bochum.

    Ist ja gut…!

  10. Beve

    Danke Ergin, so sieht es aus. Trotz allem.

  11. Blue99

    „… und niemand mit dem ich spreche glaubt ernsthaft an den Klassenerhalt…“

    Hallo Axel, also ich glaube noch immer daran, ganz fest und ganz ernsthaft. Womöglich meinst Du ja mit „niemand mit dem ich spreche“ „niemand, den ich ernst nehme“, was wiederum ich niemandem verübeln würde ;), dann aber müsste ich Dein „Axel – halte die Stellung.“ vom Sonntag im Museum als Ironie auffassen.

    Oder kann es sein, dass ich mich irre…?

  12. Beve

    oh, dann habe ich mich unsauber ausgedrückt, sorry. aber bislang sind es tatsächlich nur wenige. hoffen wir, dass es mehr werden und hoffen wir, dass es die eintracht packt.

    viele grüße

    beve

  13. Beve

    so, rangnick ist jetzt in gelsenkirchen, magath in wolfsburg.

    es ist so albern – und vor allem dermaßen mit geld verhaftet, dass einem schlecht wird. fast so schlecht, wie es der blick richtung eintracht vermag.

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