Ein Sammelsurium aus dem angebrochenen Leben

Freigehege – Neulich bei Pegida in Frankfurt

Zum nunmehr dritten Mal hatte ich an einem Montagabend keine andere Wahl. Ich musste raus in die Kälte und dieser seltsamen Mischung des Frankfurter Pegida-Ablegers einen Besuch abstatten. Fundamentale Christen meets Hobbynazis. Nicht, dass die noch auf die Idee kommen, mit Fahnen und Gebrüll durch die Stadt zu ziehen.

Ich treffe Pia am Kaufhof, ein paar Schritte weiter bauen Demonstranten eine Anlage auf – wie schon seit zehn Jahren. Sie demonstrieren hier unverdrossen gegen Hartz4 und Sozialabbau und lassen sich dies auch von Pegida nicht nehmen. Von Zeit zu Zeit spricht jemand durchs Mikrophon, einige Passanten bleiben kurz stehen, die meisten gehen weiter – so wie wir. Ich weiß nicht, was ich denken soll. Der Standhaftigkeit Respekt zollen? Den Kampf gegen Windmühlen als albern abtun? Soviel sei gesagt, sie werden kommenden Montag wohl wieder dort sein, der Frankfurter Pegida-Ableger eher nicht.

Genau dort, wo wir letztes mal standen, in unmittelbarer Nähe des Standes der Partei, treffen wir Freunde. Genau so hätten wir auch irgendwo bei einem Auswärtsspiel der Eintracht stehen können. Aus den Boxen des Standes klingt Tanzmusik moderner Prägung, Tocotronic, Fettes Brot und immer wieder Heidi von Gitti und Erika. Aus naheliegendem Grund, schließlich ist die Frankfurter Fundamental-Christin Heidi Mund die Initiatorin und Hauptrednerin der Verwirrten. Durch die Fenster der oberen Etagen des Kaufhofs blicken einige Schaulustige auf das Geschehen. Ein Trinker tanzt zur Musik.

Das Gelände vor der Katharinenkirche ist weiträumiger durch die Polizei abgesperrt als die Wochen zuvor, aus den Boxen des Partei-Standes kommt nun der Aufruf, Futter für die Nazis zu kaufen, die gleich im Nazi-Freigehege Kunststückchen aufführen werden. Plakate sind zu sehen, Mund raus, Hirn rein. Oder. Wirr ist das Volk. Rund tausend Gegendemonstranten sind gekommen, Antifa, Jusos, Punks, Sozialarbeiter. Die Antifa erkennt man leicht am strengen Blick, der Sonnenbrille und dem schwarzen Hoodie, dessen über den Kopf gezogene Kapuze quasi Pflicht ist. Von Zeit zu Zeit marschiert ein Grüppchen selbstbewusst durch die Menge, wohl an einen Ort, an dem der revolutionäre Kampf am sieden ist. Ich hole mir ein Bier.

An der Katharinenkirche ist von unserem Platz außer einer Deutschlandfahne nichts zu erkennen. Um uns wippen die meisten mit den Füßen zur Musik, ab und zu spaziert ein Grüppchen behelmter Polizisten durch die Reihen. Aus dem Lautsprecher dringt dann die Nachricht, dass Stefan Jagsch, der NPD-Hessen Vorsitzende aus der Wetterau, eingetroffen sei, um auf Einladung der Partei im Nazifreigehege einige Kapriolen zum Besten zu geben. Es ist der Nazifunktionär, der vor zwei Wochen schon einmal vor Ort war – und laut Aussage von Heidi Mund von den Linken eingeschleust wurde. Unmittelbar darauf twitterte die Polizei, dass diese Aussage nicht stimmen würde, Jagsch sei nicht anwesend. Aber man darf der Polizei ja auch nicht alles glauben. Natürlich war er da. Und man sollte Heidi Mund auch nicht alles glauben – auch wenn sie einen Hang zum Segnen hat.

Dann kommt Heidi, ein paar Eier fliegen, was den Kommunikator der Polizei bemüßigt, darum zu bitten, doch bitte keine rohen Eier zu werfen. Die ersten machen sich auf die Socken, der Anweisung Folge zu leisten. Sie suchen einen Laden, der gekochte Eier verkauft. Als etwas später die Durchsage kommt, dass auch die Polizisten nach Ende der Veranstaltung heil zu ihren Familien kommen möchten, brechen die ersten Cops weinend zusammen. Sie sind Single und mit den Jahren vereinsamt. Auch die Partei wehrt sich gegen die Eierwürfe: Bitte werft nichts auf die Nazis, die waren teuer und wir brauchen sie noch. Was Mund und Co fabulieren, entzieht sich meiner Kenntnis. Die Worte gehen in den Pfiffen und lautstarken „Heidi“ Rufen unter, aber es wird eh nichts gescheites gewesen sein. Deutlich dringt jedoch der Versuch, die Nationalhymne zu singen, an mein Ohr. Die einen pfeifen, die anderen lachen.

Kurz vor dem offiziellen Ende der Veranstaltung verlassen wir den Ort, Pegida läuft in Frankfurt nicht, soviel ist klar. Es ist aber auch eine krude Mischung, die sich dort versammelt, neulich standen ein Israeli und ein NPDler Seit an Seit, dazu die durchgeknallten Organisatoren aus dem Hause Mund. Das ist für sich genommen ja schon Slapstick – die Partei hat das Beste draus gemacht, mit Musik und Tierfutter für die Nazis im Freigehege und natürlich mit Apfelwein, der unter den Gegendemonstranten verteilt wurde. Nächste Woche ist Rosenmontag. Pegida Frankfurt verzichtet auf einen Auftritt. Wäre ich Faschingsaffin würde ich nun überlegen, mich als Heidi Mund zu verkleiden. Oder als Antifa. Es ginge aber auch 2.Weltkrieg evakuiertes Mädchen. Oder IS-Kämpfer. Gott sei Dank habe ich mit Fasching nichts am Hut.

8 Kommentare

  1. ThorstenW

    Wir feiern unseren Fasching am Samstag im Waldstadion, das muss reichen.

    • Beve

      Jo!

  2. Pia

    Das war schon großes Kino was „Die Partei“ da geboten hat.
    #Tittenhitler

  3. Beve

    Stimmt, den hashtag gabs ja auch

  4. r.adler

    leider konnte ich nicht kommen, zu viel abbeit! Aber anscheinend war der Spassfaktor an diesem Montag deutlich größer, trotz der Dummnazis.

    Ich freu mich auf in zwei Wochen!

    • Beve

      Könnte lustig werden – auf der Nazisafari :-)

  5. Kid

    „Wirr ist das Volk.“ Das ist gelungen. Und würde vieles erklären. Wenn nicht gar alles. Wobei ich nicht weniger wirr bin als andere. Was wiederum kein Wunder ist. Ich bin ja auch „Volk“.

    Zuweilen wünsche ich mir, ich könnte das ändern. Aber wie John Donne schon vor Jahrhunderten schrieb: „No man is an island.“ Und so sind wir alle Teil von irgendwas. Und da „irgendwas“ immer auch Teil des Volkes ist, sind wir alle wirr. Auf die eine oder andere Weise. Schätze ich.

    • Beve

      Jetzt bin ich verwirrt :-)

      Ne, lass das Volk wirr sein, lass uns wirr sein. Es kommt immer auf die Nuancen an.

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