Ein Sammelsurium aus dem angebrochenen Leben

Die Sprengung des Turms zu Frankfurt

Selten sieht man an einem Sonntagmorgen so viele Menschen auf Frankfurts Straßen, sei es zu Fuß, mit dem Fahrrad oder dem Auto – und die meisten hatten nur ein Ziel: Augenzeuge der Sprengung des AfE-Turms zu werden, der seit 1972 Generationen von Studenten und später Studierenden zur Verzückung oder Verzweiflung trieb.

Nach dem Technischen Rathaus und dem Historischen Museum sollte nun am 2.Februar 2014  binnen weniger Sekunden ein weiteres historisches Bauwerk, welches die Gemüter spaltete, dem Erdboden gleichgemacht werden. Brutalismus, so die nunmehr zum Sprachgebrauch eines jeden Frankfurters gehörende Bezeichnung für die Bauweise jener Monumente, deren ästhetischer Gehalt sich nicht jedem und schon gar nicht sogleich offenbarte.

Alle drei Gebäude stehen für die frühen Siebziger Jahre, geplant in den Sechzigern – und wurden von den Frankfurtern maximal akzeptiert, jedoch niemals geliebt. Leider wird nun keines die Möglichkeit haben, in Zukunft von Nachfolgegenerationen beurteilt zu werden, die traditionell einen anderen Blick auf Gebäude werfen werden. Während das Historische Museum weiterhin an gleicher Stelle fungieren wird, so werden auf den Flächen des Technischen Rathauses und des Uni-Turmes neue Monumente der Zehner Jahre des neuen Jahrtausends erwachsen, und die Planungen vor allem für das einstige  Univiertel lassen nichts Gutes erwarten, auch wenn der „Kulturcampus“ sich zunächst pittoresk anlässt. Wahrscheinlich wird an Stelle des Uniturms ein anderes Hochhaus gebaut werden, dessen Halbwertszeit weniger als vierzig Jahre Bestand haben dürfte, die Nähe zur Messe und Banken verheißt traditionell Verdrängung des Alltäglichen zugunsten der inszenierten Moderne für Wohlhabende. Es gibt kein richtiges Leben im Falschen. Allein, die Warterei auf den Aufzug und der Versuch, hier Revolten anzuzetteln haben nun ihr finales Ende gefunden. Der Turm ist Geschichte.

Wir wohnten dem Spektakel umsäumt von etlichen Gleichgesinnten an der Ecke Schumannstraße/Kettenhofweg bei, wer weiß, wieviele von ihnen einst im Turm so wie ich studiert haben, die Kleinsten unter ihnen definitiv nicht. Keine drei Schritte von uns entfernt wohnte einst der Herr Adorno, der den Turm jedoch nie kennen gelernt hatte – Adorno verstarb drei Jahre vor Fertigstellung. Aber alle heutigen starrten gebannt auf den Turm, zückten Fotoapparate und Handys, bis nach dreimaligem Warnton das Gebäude mit ein paar Minuten Verzögerung gesprengt wurde. Erst begann es zu sinken, unmittelbar darauf erreichte der gewaltige Knall der Sprengung unsere Ohren und wie in Zeitlupe sackte der Turm nach unten. Dann stieg ein Qualm empor, auf dass nicht wenige an den 11. September denken mussten. Fürwahr ein denkwürdiger, hochspektakulärer und faszinierender Moment. Hier in Bildern festgehalten.

28 Kommentare

  1. HeinzGründel

    Ganz starke Serie. Respekt , mein Lieber

    • Beve

      war aber auch ein ganz starker und mächtig beeindruckender moment. das zweite bild nach der sprengung ist etwas unschärfer, entweder habe ich ob des knalls gezuckt, oder die erde hat kurz gewackelt. krass.

      • Hackentrick

        Bin auch zusammengezuckt. Habe den Countdown mitbekommen und bei „Null“ war dann nix. Der Knall kam dann zwei, drei Sekunden später :-)

        • Beve

          das zählen kam bei uns kaum an, oder ich habe es nicht mitbekommen, da ich die kamera immer mal kurz abgesetzt habe und panisch wieder hochnahm -zwischen dem ersten und letzten tuten vergingen ja ein paar minuten.

  2. Kid

    Ein Spektakel. Fürwahr.

    So eine Sprengung mitten in der Stadt ist sicher eine große Herausforderung und ich weine diesem Monstrum – egal, was spätere Generationen dazu meinen – keine Träne nach: Im Gegensatz zu diesen werde ich unten auf die ewig kaputten Aufzüge gewartet und in bedrückenden Räumen studiert haben.

    Aber mir geht es so, wie du schreibst: Der Staub von Mainhattan erinnert mich an den in Manhattan am 11.9.2001. So gelungen ich deine Fotos finde, bin ich nun doppelt froh, nicht in der Nähe gewesen zu sein.

    • Beve

      das hatte durchaus etwas apokalyptisches. dem monstrum weine ich keine träne nach, da gebe ich dir recht. dem technischen rathaus schon eher. wobei träne das falsche wort ist, eher historische erinnerung. nebenbei: kam meine sms gestern an?

      • Kid

        SMS kam keine. Vielleicht ging sie an meine alte Nummer?

        • Beve

          ah, ok – schicke mir doch mal deine neue nummer an meine alte. nummer. ansonsten: alles gute :-)

          • Kid

            Mach ich. Und: Danke. :-)

  3. Fehlgeleiteter

    Auch von mir: starke Fotos und ein angemessener Text.

    Der Turm – hässlich, unpraktisch, ungeliebt.
    Doch ich mochte ihn.

    Nun haben wir einen geleckten Campus, das Ideal des Fast-Food-Studiums und die Uni als aalglattes Unternehmen. Hauptsache, der Ranking-Platz stimmt. Kritisches Denken (wie auch immer das im Detail aussehen mag)? – Ist störend. Genauso wie ein Gebäude, das nicht in diesen Wandel passt.

    Verklärt? – Natürlich.

    Auch wenn es absurd ist und mir als Ausdruck träumerischer Irrwege ausgelegt werden kann, mir ist, als er dahinsank, das Herz schwer geworden, und dies ist es mir immer noch.

    Ruhe wohl, mein Lieber! Den Abgang hattest du verdient.

    • Beve

      ranking platz statt freiheit der lehre. berufsausbildung statt kritische theorie. aalglatt statt struppig.

      genau das ist es.

  4. ThorstenW

    coole Bilder – erst der AfE Turm – nun der FCB :-)

    • Beve

      das nenn ich mal ne haltung :-)

  5. Kine

    Wow, tolle Fotoserie, Beve! Ganz starke Bilder. (Ich hab’s mir leicht gemacht und das Ganze einfach im Video festgehalten.)
    Ein merkwürdiger Moment war das heute morgen. Surreal und fast ein wenig unheimlich. Mal ganz abgesehen von einfach gewaltigen Bildern und den 9/11-Assoziationen, die so ein einstürzendes Hochhaus bei vielen von uns auslösen dürfte – da ging auch ein Stück meiner eigenen Lebensgeschichte. Ich habe doch so manches Soziologie-Seminar und so manche Psychologie-Vorlesung im Turm erlebt. Mich in die Aufzüge gequetscht und den Atem angehalten, auf dass sie nicht steckenbleiben würden. (Ist mir tatsächlich auch nie passiert.) Runterlaufen vom 38. Stock durch die vollgekritzelten Treppenhäuser. Recherche in der gemeinsamen Bibliothek der Erziehungs- und Gesellschaftswissenschaften in der 15.-17. Etage. Die grandiose Aussicht über die Stadt und in Richtung Taunus…
    Während meines Studiums hätte ich das Ding oft genug gerne höchstpersönlich in die Luft gejagt, aber jetzt zum Ende hin wurde ich doch sentimental. Die Eröffnung des Uni-Campus Westend fiel in die Zeit meines Studiums, aber so richtig heimisch habe ich mich im Poelzig-Bau nie gefühlt. Da war immer alles so glatt, so neu, so angepasst. Schön, aber irgendwie auch leblos. Dass die Eröffnung des Westend-Campus in etwa mit der Hochschulreform zusammenfiel, passt irgendwie. „Architektur gewordene Bologna-Reform“ las ich gestern in einem Artikel. Das trifft es. Als „meine“ Uni habe ich immer Bockenheim wahrgenommen und bin froh, dass ich noch ein wenig davon erleben durfte. Mit dem Turm ist ein Teil dieser Zeit gegangen.

    • Beve

      ende der achtziger habe ich in dem ding mal quasi gewohnt, aufgrund eines streikes haben wir den turm einfach dichtgemacht, keiner kam rein .- und wir waren drinnen. war ne tolle zeit :-)

  6. kunibert

    Wirklich eine gelungene Bilderserie, da hast Du aus einem ohnehin dankbaren Motiv das beste rausgeholt. Da ich Frankfurt ja schon wieder verlassen habe, konnte ich das Spektakel nur am Fernseher verfolgen — die Elfter-September-Assoziation kam da bei mir extrem stark rüber. Aber beeindruckt war ich auch; live muss das wirklich krass gewesen sein.

    Vielen Dank auch noch mal für den netten Plausch im Museum, es ist immer schön, wenn ich die Namen aus dem Netz (und insbesondere jene, deren Beiträge ich meist gerne lese) auch mal mit einem Gesicht verbinden kann.

    • Beve

      das war live in der tat beeindruckend, auch wenn ich das ganze nur durch den sucher und über die ohren mitbekommen habe. wenn du wieder mal in frankfurt bist, sag bescheid, dann können wir auch mal ins stadion gehen. solange es noch steht :-)

      • kunibert

        So stadionstourmäßig? Alles klar, sehr gerne! Wie lange ist die Eintracht da noch Mieter? Bis 2018? Vorher werden sie das Stadion ja sicher nicht abreißen, und das sollte ich hinbekommen, in den nächsten vier Jahren noch mal nach Frankfurt zu kommen. :) S

        • Beve

          so wie es aussieht – stand heute – noch eine ganze weile :-)

  7. rotundschwarz

    Wow. Danke für die Bilder und die Eindrücke. Der Kettenhofweg war ein mehr als würdiger, fast schon symbolischer Standort, um die letzten Bilder des Turmes festzuhalten.

    • Beve

      und auf das wohnhaus von adorno hat mich flo hingewiesen, mit dem wir zusammen dort waren. passt alles :-)

  8. Schnellinger

    Schee war’s. SO geht Pyroshow!
    Kann man wegen mir jeden Sonntagmorgen veranstalten. Steht ja genug Gelump im Blickfeld.

    • Beve

      d’accord!

  9. stadtkindFFM

    War schon faszinierend heute. Ganz famose Fotos hier, chapeau!
    Das in den Kommentaren erwähnte Technische Rathaus fehlt mir nicht so sehr, fand das, rein optisch betrachtet, ’schon immer‘, zumindest an dieser Stelle, etwas deplatziert.

    • Beve

      fehlen ist sicherlich das falsche wort, bin diesbezüglich keineswegs sentimental. aber vielleicht halten dereinst historiker bei stadtrundgängen fotos hoch und erklären mit leuchtenden augen die vergangenheit, wer weiß das schon. die meisten finden heute ja auch alles toll, was älter als hundert jahre ist.

  10. ostendfaxpost

    Und es war doch ein inside job. *sfg* Hier der Beweis.
    8ung Satire.

  11. Ulrich

    „Am steten Punkt ist der Tanz“ nicht von mir passt aber gut zu Deinen Klasse Bilder`n ever. Ostendfaxpost macht allerdings auch schöne, ich hingegen gar keine, Akku war leer, wie blöd war das denn.

    • Beve

      leerer akku. das letzte verbliebene drama der menschheit :-)

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