Ein Sammelsurium aus dem angebrochenen Leben

Fußball, Fans und Sicherheit

Wer sich ernsthaft für Fußball interessiert und Spiele nicht nur im TV sondern auch in den Stadien verfolgt, der wird sicherlich gemerkt haben, dass sich seit geraumer Zeit verschiedene Instanzen darum bemühen, das Erlebnis Fußball als Sicherheitsrisiko darzustellen und diese Instanzen gleichermaßen Maßnahmen diskutieren, welche ein vermeintlich sicheres Stadionerlebnis garantieren sollen.

Aufschlussreich ist das Konzeptpapier „Sicheres Stadionerlebnis“ der Kommission Sicherheit des Ligaverbandes, ein „Konzept“, welches ohne Teilnahme von Fans „erarbeitet“ wurde, ein Konzept welches Entwürfe beinhaltet, die in Teilen eine eigene Gerichtsbarkeit bar jeglichen Verständnisses rechtsstaatlicher Prinzipien installieren bzw. zementieren sollen.

Als Sicherheitsrisiko gilt gemeinhin der Fan, genauer gesagt: der Stehplatzbesucher. Wenn man so möchte also diejenigen, die seit Jahrzehnten die Stadien besuchen – auch Sitzplätze mussten einst erst erfunden werden. Fußball, einst billiges Vergnügen und willkommene Abwechslung für die im sonstigen Alltag sich verzehrenden Massen, wandelt sich, wie alles stets im Wandel ist. Aus Sportplätzen wurden Stadien, aus Stadien Arenen und dort, wo sich einst nur in Ausnahmefällen mehr als zehntausend Menschen trafen, bevölkern nun selbst bei mittelmäßigen Zweitligakicks bis zu fünfzigtausend Zuschauer die Stadien der Welt – zumindest in Deutschland.

Meilensteine in dieser Entwicklung waren neben der Einführung der Bundesliga und 25 Jahre später der des Privatfernsehens sicherlich die WM 2006 in Deutschland. Fußball als Sommermärchen für die ganze Familie, Fußball, ein Event. Während die Weltmeister von 1954 sich durch den Titelgewinn ein nettes Zubrot zur täglichen Arbeit vedienten und auch die Helden von 1974 oftmals trotz ordentlicher Prämien nach der Karriere einer bürgerlichen Arbeit nachgingen, so hat bei halbwegs vernünftiger Lebensführung ein Profi heutzutage nach wenigen Jahren mehr oder weniger ausgesorgt, es ist kein Geheimnis, Fußball ist ein Milliardengeschäft. TV-Rechte, Sponsoring, Marketing – aus Vereinen wurden Firmen, aus Fans notgedrungen Kunden und aus Fußballern Angestellte.

Je mehr ein Produkt medial wahrgenommen wird, umso mehr zählt die Inszenierung des Produktes, die Illusion. So mutiert ein Schokoriegel bestehend aus einem Berg Zucker mirnichtsdirnichts zu gesunder Ernährung, ein Haufen Chemie fungiert als Geschmackserlebnis und so manches Schwein findet sich in Teilen als Pute wieder. Natürlich als bloße Behauptung, die hinter der Fassade steckende Wirklichkeit wird ausgeblendet, negiert, versteckt; Wirklich- oder Wahrhaftigkeit verdirbt das Geschäft.

Jetzt lässt sich das gemeine Leben nicht so einfach verstecken, wie vermeintliches Unkraut wächst es durch die Ritzen der betonierten Wege, wenn nicht heute, so spätestens morgen. Leben ist vielfältig, buntschwarz und eines sicherlich nicht: Vom Menschen beherrschbar. Titanic, Tsunami, Tod – Unwägbarkeiten beschäftigen uns, stützen uns in Trauer und Begeisterung und wer versucht hat, einem lebendigem Werden eine konstruierte Ordnung überzustülpen, die mit brachialer Gewalt und Herrschaft, mit Regulierung oder Verboten einen gewünschten Zustand zu zementieren wünscht, der ist bislang stets gescheitert. Man könnte Lehren aus der Geschichte ziehen.

Fußball ist niemals isoliert vom gesellschaftlichen Werden zu verstehen und was beim Fußball nicht wächst, sprießt woanders, brachialer, unkontrollierter, zerstörender. Die Konsequenzen aber müssen dann nicht mehr von den Vereinen, DFB, DFL getragen werden, sondern werden als gesamtgesellschaftliches Problem deklariert, mit dem sich die Verantwortlichen des Fußballs nicht mehr auseinander setzen müssen. Könnte man meinen. Genau darum geht es nämlich, um die Durchsetzung eines antiseptischen, reglementierten und von Kontrolle durchdrungenen Fußballerlebnisses, welches sich seiner gesamtgesellschaftlichen Verantwortung entzieht – und dies mit Mitteln einer Gerichtsbarkeit, die sich gleichfalls  jedem rechtstaatlichen Verständnis entzieht.

Körperkontrollen in Containern, Geldstrafen, Stadionverbote ohne Urteil – all die Dinge, die derzeit juristisch geregelt und anfechtbar sind, werden im Rahmen des Fußballs als gängige Mittel diskutiert bzw. eingesetzt, um ein sicheres Stadionerlebnis zu garantieren – und dies suggeriert nebenbei, dass ein Stadionerlebnis ohne jene Eingriffe nicht sicher sei. Belegbare Argumente für diese These werden jedoch nicht geliefert, es reichen subjektive Behauptungen, welche durch mediale Inszenierungen untermauert werden; unvergessen die Verbrennungsaktion J.B. Kerners oder die unsägliche Behauptung Sandra Maischbergers, die Ultras seien die Taliban des Fußballs.

Der Verein Union Berlin hat bislang als einziger Verein das Konzept abgelehnt und dies in einer mehrseitigen Schrift begründet. Union war im Juli auch dem Sicherheitsgipfel fern geblieben (als einziger der Profivereine), auch dieses begründet: Die Kürze der Zeit ließ eine inhaltliche Auseinandersetzung mit dem Vorschlag für einen gemeinsamen Kodex der Vereine sowie eine Diskussion über Maßnahmen und Vorschläge zu den Bereichen Prävention, Kontrollsysteme und Sanktionierung leider nicht zu. Wir erachten einen breiten Konsens innerhalb unseres Vereins unter Einbeziehung möglichst vieler Beteiligter, wie z. B. der Fanbeauftragten, Sicherheitsbeauftragten und Gremien sowie der Fan- und Mitgliederabteilung als zwingende Voraussetzung, um Maßnahmen, welche unseren Verein und seine Fans betreffen, auch wirksam umsetzen zu können.

Während also die eigentlichen Skandale, die nachgewiesene Korruption der FIFA, die montierten TV-Bilder während der Europameisterschaft bspw. für die meisten Akteure des nationalen Fußballs kein Thema sind, so wird suggeriert, dass das Fußballerlebnis derzeit ein hochproblematisches Event ist, welches ausschließlich durch massive Eingriffe – zu denen im Entwurf auch die Weitergabe des polizeilichen Ermittlungsstandes gegenüber eines „Täters“ an Dritte gehört – in zivilisierte Bahnen gelenkt werden kann. Jeder kommt in diesem Zusammenhang zu Wort, außer natürlich diejenigen, die am meisten zu sagen hätten – die aktiven Fans. Bedauerlich, dass sich nur ein einziger Verein genötigt sieht, den herrschenden Zuständen und künftigen Optionen zu widersprechen.

In eigener Sache: Wer am kommenden Samstag das Heimspiel der Eintracht gegen Hannover besucht, könnte die Möglichkeit nutzen, bei der Waldtribüne vorbeizuschneien. Als Gäste erwarten wir vom Vorstand der Eintracht Frankfurt Fußball AG Axel Hellmann, Mitunterzeichner des Konzeptes, sowie den Präsidenten von Hannover 96, Martin Kind. Natürlich sprechen wir auch mit einem aktiven Fan, Sabine – vielen besser bekannt als womeninblack – wird uns ihre Sicht der Dinge schildern.

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22 Kommentare

  1. Fritsch

    Familienblockatmosphäre auf der einen Seite. Auf der anderen Seite das Abschieben gesellschaftlicher Erscheinung aus dem eigenen Verantwortungsbreich, wie Du es so treffend beschreibst, auf der anderen Seite. Es hat noch nie funktioniert & wird niemals funktionieren. Daraus könnte man Lehren ziehen, ebenso wie aus der Kriminalisierung & Stigmatisierung ganzer Gruppen.

    „Spiel nicht mit den Schmuddelkindern / sing nicht ihre Lieder / Geh doch in die Oberstadt / machs wie deine Brüder“ (Franz Josef Degenhardt)

    Wie gut nur, daß ich die Schmuddelkinder & die Schmuddelecken mag, denn sie riechen nach Leben & nicht wie die sterile Parfümabteilung einer globalen Einkaufskette. Und das wird die Fußballmafia uns nicht wegnehmen können. Auch wenn der Kampf lang & der Weg weit ist.

    „ma muaß weiterkämpfen, kämpfen bis zum Umfalln, a wenn die ganze Welt an Arsch offen hat, oder grad deswegn“ (Konstantin Wecker)

    Viele Grüße & weiterhin sichere Straßen, Fritsch.

  2. wib

    Ein wunderbarer Artikel Beve, danke dafür.
    Ich werde mir die Freiheit nehmen und ihn in facebook verlinken, für meine „Freunde“ dort.
    Aber der letzte Satz, da bürdest Du mir zu viel auf, finde ich.
    Ich bin schon froh, dass ich nicht vor Lampenfieber sterbe, wenn ich von mir berichten soll.
    Ich glaube nicht, dass ich Angesichts des Herrn Kind und auch von Axel Hellmann irgend etwas, geschweige was vernünftiges sagen kann.
    Aber danke für Dein Zutrauen in mich….
    wib

  3. Scheibu

    Könnte ja spannend werden mit Kind und Hellmann.

    Bin froh das du die beiden mal ein wenig durch die Mangel nehmen kannst im Sinne von uns normalen Fans.

    Sehen uns am Samstag.

  4. Scheibu

    @ WIB

    das schaffst du schon.

  5. Duesenjaeger

    Wann beginnt denn die Diskussion an der Waldtribüne?

    Viele Grüße
    Düsenjäger

  6. Beve

    sabine ist um 14:25 geplant, sie schafft das. hellmann und kind sollten um 14:35 bis 14:55 dran sein. natürlich muss alles klappen.

    fritsch, danke für das wecker zitat. genau so ists.

  7. raideg

    Wieder mal schön und treffend Dein Text, Axel – wie immer eben :)

    @ WIB einfach nicht auf die anderen achten.
    Schau den Axel an und stell Dir vor, du führst ein 4-Augen Gespräch. Das hilft zumindest mir in solchen Situationen ;)

  8. Jazzy

    Danke, Beve… Du sprichst mir mit dem Artikel aus der Seele! (Aber ich setze drarauf, dass neben den Eisernen noch der eine oder andere Verein das Konzeptpapier in der vorliegenden Form ablehnen wird)

    • wib

      Ja, danke ich schaffe das schon.
      Über mich zu erzählen.
      Aber nicht klar zu machen, dass ich das Konzept „Sicheres Stadionerlebnis“ als eine Unverschämtheit und Anmaßung gegen mich und alle Fußballfans empfinde und den Herr Kind persönlich einen Arsch und Totengräber meines Fußballs.

  9. Beve

    mach dich nicht verrückt – wir kriegen das alles hin. wenn du oben bist, gehts erstmal nur um dich, alles andere gibt sich.

  10. öri

    zwei kurze Anmerkungen:
    Im Moment gibt es naheliegenderweise bei vielen Vereinen kritische Diskussionen.
    Jetzt hat z.B. auch der Präsident des VFB Stuttgart das DFL-Papier öffentlich abgelehnt.
    http://sphotos-h.ak.fbcdn.net/hphotos-ak-ash3/c0.4.403.403/p403x403/553906_294362927332356_148762356_n.jpg

    Wie auch der FC St.Pauli:
    http://www.fcstpauli.com/data/news/verein/home_page/praesidium/dfl_sicherheitspapier

    Man kann zu Kind stehen wie man will, ich finde es aber anerkennenswert, dass er seine Meinung zur Diskussion stellt. So hat er sich nicht gescheut beim Fankongress in Berlin an einer Diskussion zu seinen Forderungen teilzunehmen. Er war damit der einzige Vertreter eines Vereins bei dieser Veranstaltung.
    In Hannover trifft er sich alle drei Monate mit der „Roten Kurve“, dem Dachverband der 96-Fans. Auch damit hebt er sich von den allermeisten Präsidenten bzw. AG-Vorständen ab.
    Und schließlich finde ich es auch klasse, dass er auf die Waldtribüne kommt. Ich finde das sehr respektabel.

    Gruß
    öri

  11. rotundschwarz

    Wie so oft, sind es auch im Falle des Konzeptpapiers die wohlgesetzten Worte, die die Inhalte entlarven. Container (Container!), in denen Fußballfans leibesvisitiert werden, sind „infrastrukturelle Maßnahmen“. Leibesvisitationen sind „angemessene Personen-Körperkontrollen“. Die „infrastrukturellen Maßnahmen“ sind deshalb nötig, damit „etwaige Vollkontrollen (VOLLKONTROLLEN!) zügig“ und (aha!) „ohne unverhältnismäßigen Eingriff in die Persönlichkeitsrechte durchzuführen“. „Ohne unverhältnismäßigen Eingriff“ – ach so. Ja dann…

    Schön ist auch die Tatsache, dass Stehplätze „kein unveränderbarer Besitzstand sind“ – wobei ja die Formulierung „das sichere Stadionerlebnis“ eigentlich schon keine Fragen mehr offen lässt, da wird das Programm doch gleich festgezurrt. Ei, sicher. Was, wenn ich kein Stadionerlebnis, sondern einfach nur Fußball kucken will?

    Vorbildlich, der Weg den Union Berlin da geht. Ich bin nicht sehr optimistisch, dass sich andere Vereine hier anschließen werden.

    Danke für den Eintrag!

    @Sabine: Bin sicher, dass du das wunderbar hinbekommst! Eigentlich müsste ja auch deine Vespa mit auf die Bühne – ihr seid ja fast so etwas wie ein Gesamtkunstwerk :)

  12. Herr Ärmel

    Klasse geschrieben, Beve! Unglaublich, was sich die Event-Manager so alles ausdenken. Am Ende gehts doch immer um die selben Dinge: Macht, Geld & Kontrolle.

  13. united

    Sehr guter Artikel,glasklar.Der ganze Irrsinn dieser Welt zeigt sich ja auch daran,daß der ewig lächelnde Schweizer freiherumläuft ,Weltmeisterschaften in die heissesten Ecken des Planeten verkauft werden,das ganze weitestgehend nicht strafbar ist,da man selbst die Regeln machte und auf der anderen Seite diejenigen,die dem Spiel zwischen den Teppichstangen die Seele einhauchten entsorgt oder zumindestens umerzogen werden sollen.Nagelt die Typen in der Diskussion richtig fest und werdet laut ,wenn sie das Wort alternativlos gebrauchen.Ich bin in einem Land groß geworden da behauptete mal ein wenig weiser aber hoch schwebender alter Mann ,daß man Ochsen und Esel nicht aufhalten kann,oder so ähnlich. Das Ende ist bekannt. Alles Gute Euch und Eisern Union

  14. Mark

    Guter Text, Beve
    Der DFB ist der Meinung, dass er über dem Recht steht und in seinem Einflussbereich alles bestimmen kann.
    Anscheinend hat der DFB den Text Von Ton Steine Scherben verinnerlicht: „Wer das Geld hat, hat die Macht und wer die Macht hat, hat das Recht!“ (aus dem Lied Der Kampf geht weiter)

  15. pia

    augsburg hat auch eier!
    los, mehr. jetzt!

    • Jazzy

      Augsburg? Da hat sich doch nur die Fanvertretung gemeldet – von einer Stellungnahme des Vereines ist mir nichts bekannt. Derzeit lehnen meines Wissens das DFB- / DFL-Papier offiziell ab: Union Berlin, Hertha BSC und St. Pauli. Oder bin ich nicht auf dem Laufenden?

  16. Holger M

    Ich hoffe sehr, dass die deutschen Fanszenen genügend vernetzt und organisiert sind, um diesen Wahnsinn zu verhindern.
    In England hatten damals die Fußball-Feinde mit ihren Maßnahmen vor allem deshalb Erfolg, weil die Stehplatzbesucher der Vereine nicht zusammen gearbeitet und generell zu wenig Einfluß hatten..

  17. sarroise

    Danke für den guten Blick ohne eingeschränktes Sehfeld.

    Habe nur kursorisch über die 30+ ppt Seiten gelesen, hat mir gereicht. Bilder im Kopf von selbstgefälligen alten Männern mit Hüten und die Gürtel der Regenmäntel immer knapp über der Taille festgezurrt.

    Ich verorte mich politisch nicht links, bin so alt, dass ich sogar schon mal deutscher Meister war (und es gern in diesem Leben ein zweites Mal wäre), habe meinen DK (Sitz-)Platz bewusst ein klein wenig abseits der Kurve gewählt, habe wenig Freude an bestimmten Aktionen im/ums Stadion einer Handvoll Selbstdarsteller mit tiefergelegtem Sozialverhalten, und dennoch: ich brauche keine par ordre du mufti geschaffene StadionERLEBNISsicherheit, schon gar nicht um den hohen Preis, den das Treten der Rechtstaatlichkeit mit Füßen bedeutet.

    @ Pia: wäre sehrsehrsehr dafür, allerdings die Uhr tickt die letzten Minuten zum high noon runter.

  18. Beve

    mittlerweile hat sich st. pauli aus der kommission zurück gezogen. es geht also weiter.

    öri, dass kind sich stellt, ist in der tat respektabel. ich bin gespannt.

  19. sarroise

    Und weiter gehts mit dem Zerbröseln. Gerade auf SPON gefunden:
    “ … Deutlich haben sich die Wolfsburger geäußert: Große Inhalte seien „rechtlich bedenklich, unverhältnismäßig, praxisfern und damit nicht zielführend“…“
    Man traut sich zwar kaum, eine Äußerung dieser Betriebssportabteilung zu posten, aber das ist schon mal eine klare Ansage.

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