Es ist noch gar nicht so lange her, da war ich der festen Überzeugung, die Eintracht wird heuer gegen den Abstieg spielen. Und die ersten Spiele nährten diese Überzeugung. 0:5 gegen die Bayern, 1:2 in Ulm, ein angeschlagener Torhüter, ein überspielter Rebic. Dazu kamen die Abgänge von Hradecky, Mascarell, Boateng, Wolf und Barkok – und von den Neuzugängen schaffte es in Ulm außer Torro keiner in die Startelf. Obendrein befand sich ein Fußballgott in unfreiwilliger Frührente.

Die alles umfassende Euphorie des alles überstrahlenden Pokalsieges wich recht bald einer Ernüchterung – und in der Tat purzelte die Eintracht nach und nach auf Platz 15 und stand vor dem richtungsweisenden Spiel gegen Hannover auf der Kippe. Mit Danny Blum hatte ein weiterer Spieler die Eintracht verlassen. Dazu fielen Chandler und Salcedo für einen längeren Zeitraum aus. Der 15. gegen den 16. – eine Heimniederlage und die Reise würde nach unten gehen, die Stimmung kippen. Immerhin wurde mit der Verpflichtung von Kevin Trapp die perfekte Verstärkung für Frederic Rönnow geholt, aber klar: Die Spirale des Misserfolges lächelte hämisch aus dem Hintergrund. Dankenswerter Weise konnte mit dem überraschenden Auswärtssieg in Marseille ein Ausrufezeichen gesetzt werden, der Fußballgott war in Marseille ein Frankfurter, einer der wenigen, die ins Stadion durften. Wir schauten in die Röhre, in einer Taverne am Meer in Korfu.

Das Spiel gegen Hannover ist schlappe vier Wochen her, die Frankfurter Fußballwelt eine andere. Hannover 96 wurde humorlos mit 4:1 nach Hause geschickt, es begann der Stern von Evan Ndicka zu leuchten, nachdem Lucas Torro schon recht bald erkennen ließ, dass er Mascarell durchaus ersetzen kann. Makoto Hasebe war zurück in der Mannschaft, für mich einer der zentralen Spieler der SGE, der Härte mit Eleganz verbindet, gepaart mit einer Übersicht, die dem geschultem Auge eigen ist und Kevin Trapp wurde der Rückhalt, den man erwarten durfte. Der Blick ging nach oben – und Richtung Europa League. Das Heimspiel gegen Lazio Rom stand vor der Tür, ein Festtag für die gesamte Eintracht, für ganz Frankfurt – zunächst auch völlig unabhängig vom Ergebnis. Zuvor hatte die Eintracht ja die Tickets für den Europacup im Paket verkauft, zu fairen Preisen, ohne dass die Gegner feststanden – sie gingen weg wie warme Semmeln. Natürlich war das Stadion ausverkauft, strahlte im festlichen Glanze auch ob der Choreographie – und was wurde es für ein rauschhafter Abend. 4:1 hieß es am Ende, Danny da Costa traf gleich doppelt – hilfreich natürlich dabei die beiden Feldverweise für Lazio. Mit sechs Punkten aus zwei Spielen führte die SGE die Gruppe an – gegen Teams wie Olympique Marseille und Lazio Rom. Alleine dies war schon unfassbar. Ich begann leise an der These des Kampfes um den Klassenerhalt zu zweifeln. Umso tragischer die Geschichte des Lucas Torro. Nach dem Spiel wurde bekannt, dass ein Bruder kurz zuvor überraschend verstorben war – und Torro sich dennoch dafür entschied, zu spielen. Tränen flossen nach dem Spiel – auch gut zu sehen in der bemerkenswerten Doku von Nitro über die internationale Saison der Eintracht.

Natürlich braucht es das Glück des Tüchtigen. Schon im nächsten Spiel in Hoffenheim – wo die Eintracht nur höchst selten gut aussah, schien die Eintracht eine 2:0 Führung leichtfertig zu verspielen. Zunächst flog der Torschütze Ante Rebic völlig zu Recht mit gelbrot vom Platz, dann folgte der Anschlusstreffer und das große Zittern. Doch Kevin Trapp hielt den Sieg fest. Es war der zweite Auswärtssieg im Kraichgau, den ersten, ein grandioses 4:0, feierten wir am 1. September 2012 – ebenfalls mit Trapp im Tor. Am Ende der Saison stand der sechste Platz und der Einzug in den Europacup.

Kaum hatte sich die Eintracht also berappelt und blickte nach oben, kam die Düsseldorfer Fortuna ins heimische Stadion – ein Wiedersehen mit dem langjährigen Eintrachttrainer Friedhelm Funkel. Was folgte war ein nächster historischer Abend. Hatte zuvor der Düsseldorfer Spieler Jean Zimmer kund getan, dass er die Eintracht so gar nicht mag, so dürfte nach gespielten 90 Minuten diese Aussage weiterhin bestand haben. Zimmer sah kein Land, wie fast die gesamte Fortuna – doch es begann kurios. Die Eintracht drückte, erspielte sich Chancen – doch sie traf nicht. So können Spiele kippen, drückende Überlegenheit, ein Konter und zack, vorbei. Aber diesmal saß der Fußballgott beim Videobeweis. Knapp 20 Minuten waren gespielt, Jovic hatte gerade ein gute Chance vergeben, als Schiedsrichter Deniz Aytekin zum TV schritt. Videobeweis – und niemand im Stadion, wusste weshalb. In der just vergangenen Szene gab es nichts, was auch nur im Ansatz für eine Interpretierung der Szenen sprechen hätte können. Aber es gab Elfmeter für die Eintracht. Demütig nahmen wir ihn hin – Haller traf und die Eintracht führte. Im Nachhinein stellte sich heraus, dass in der vorvergangenen Szene ein Handspiel eines Düsseldorfers recht lange ungeahndet blieb, da der Ball nicht im Aus war. Erst dann konnte die Szene überprüft werden. Es wird der Tag kommen, da bist du schon zu Hause und musst nochmal zurück ins Stadion, weil doch noch etwas passiert. Sei’s drum, jetzt klingelte es im Minutentakt – am Ende stand ein sensationelles 7:1 für Eintracht Frankfurt – und Luka Jovic hatte mit fünf Treffern gleich zwei Rekorde aufgestellt. Niemals zuvor war es einem Spieler der Eintracht gelungen, fünf Tore in einem Bundesligaspiel zu erzielen, vier Treffer, jeweils von Tony Yeboah und Rüdiger Wenzel, waren bis dato das höchste der Gefühle. Und Jovic ist der jüngste Spieler, dem fünf Tore in einem Spiel gelungen sind. Die Eintracht stand tabellarisch nun vor den Bayern (mit Ex-Trainer Niko Kovac) und Lukas Trikot wanderte schnurstracks ins Eintracht Museum. Fünf ist Trümpf.

Es folgte ein weiterer grandioser Abend, es ging Schlag auf Schlag. Im dritten Europa League Spiel erwartete Eintracht Frankfurt Apollon Limassol, der vermutlich leichteste Gegner der Gruppe. Aber Limassol musste sich nur knapp Lazio geschlagen geben und hatte zudem einen 0:2 Rückstand gegen Marseille egalisiert. Waren sich viele Experten vorher einig, dass Limassol und die Eintracht Platz drei und vier ausspielen werden, so hatten beide nun noch die Chance auf den Einzug in die nächste Runde – und die Eintracht nutzte diese Chance weidlich. Und wieder half das Glück des Tüchtigen. Zwar war die SGE nach einer wunderbaren Choreographie hoch überlegen, doch es brauchte die Hilfe von Limassols Torhüter Bruno Vale, der einen harmlosen Schuss von Filip Kostic ins Tor kullern lies. Ein wuchtiger Kopfball von Haller brachte das 2:0, das auch bis zum Schlusspfiff Bestand hatte, die Eintracht ließ etliche Chancen ungenutzt – und führt nun die Gruppe ohne Punktverlust an. Bei einem weiteren Sieg in Limassol wäre die SGE durch. Apropos Kostic – auch ein Wechsel, der zunächst nicht gerade für Begeisterungsstürme in Frankfurt gesorgt hat. Abgestiegen mit Stuttgart, abgestiegen mit dem HSV – und nun bei uns auf der linken Seite nahezu unverzichtbar. Sachen gibt’s.

So hat sich binnen vier Wochen die Eintrachtwelt komplett gedreht – und im Eintracht Museum murmelte ein ehemaliger Deutscher A-Jugendmeister, der vom Fach viel versteht, (obgleich er gebürtiger Österreicher ist) unter vorgehaltener Hand von der Deutschen Meisterschaft. Und wenn wir schon bei Österreich sind, dann dürfen wir Adi Hütter nicht vergessen, den Trainer der Eintracht, der die Arbeit eines Niko Kovac fortsetzt und perfektioniert – auch wenn sich das Personal gewandelt hat. Und wenn man sich die Truppe so anschaut, eine Offensive, die etliche Statistiken anführt, ein Torhüter, der zum Nationalteam gehört, eine Defensive um den alten Haudegen Abraham mit dem blutjungen Ndicka  – dann könnte man schon ins Träumen geraten. Und wenn’s nicht für den Titel reicht (was zugegebener Maßen vermessen wäre), dann immerhin zum Fußball 3000. Und das ist doch auch schon mal was.