Und wieder einmal laufen wir die paar Meter runter zur Straßenbahnhaltestelle, es ist vier Uhr morgens, Frankfurt erwacht. Pünktlich rumpelt die Bahn heran, umsteigen an der Konsti, mit der S-Bahn vorbei am Yeboah-Haus in Niederrad, Stadion, Airport  – und alsbald sitzen wir im Flieger nach London. British Airways – hier kostet sogar der Kaffee im Flieger Geld.

Meist nehmen wir ein angekündigtes Konzert zum Anlass, nach London zu fliegen, vor einigen Jahren waren dies stets die seltenen Konzerte von Carter USM und nach dem grandiosen finalen Konzert 2014 in Brixton besuchten wir Maximo Park und And also the trees im vergangenen Jahr. Für März 2018 hatte Jim Bob, Sänger von Carter, ein Gig im Shepherd’s Bush Empire angekündigt – und somit freuten wir uns auf ein neues Abenteuer.

Nach mehrmaligen Besuchen in London hat man ja schon einiges gesehen, die Sehenswürdigkeiten abgeklappert, wobei ich nie vergessen werde, als ich das erste Mal vor Big Ben stand oder die Tower Bridge von nahem sah. Dennoch zieht es immer wieder an alte Stellen, gleichermaßen lockt die Aufgabe, Neues zu entdecken. Das ist auch ganz gut so, dieses Jahr war der sonst so golden leuchtende Glockenturm komplett eingerüstet, wer hier also derzeit zum ersten Mal steht, wird zur Zeit arg enttäuscht sein, das klassischste aller Londoner Wahrzeichen versteckt sich hinter Baugerüsten, Big Ben ist nicht einmal zu erahnen.

Sind wir in den vergangenen Jahren mit der Tube durch London gerauscht, abgesehen davon, dass wir zig Kilometer gelaufen sind, so haben wir mittlerweile die Busse entdeckt und gecheckt, welcher Bus wo hin fährt, wo er hält und wie das Procedere funktioniert. Immer hilfreich in allen öffentlichen Verkehrsmitteln ist dabei die Oyster Card. Busfahren in London ist dadurch wirklich günstig, sofern man eine durchgehende Strecke erwischt, umsteigen wird im Gegensatz zur Tube extra berechnet. Und da wir klassische Touristen sind, stürmen wir immer nach oben in die Doppeldecker und hoffen, vor der Fensterfront zu sitzen – so ist jede Busfahrt eine kleine Stadtrundfahrt und die Stadt erschließt sich noch einmal anders als in den dunklen Röhren der Subway.

Nach dem Abladen des überschaubaren Gepäcks im altbekannten Hotels im Warwick Way, ein paar Hundert Meter südlich der Victoria Station und einem großen Hallo mit der Hotelführerin, die uns immer begrüßt und die stets Pia aber nicht mich erkennt, wandern wir um die Ecke zum Frühstück. In nahezu allen touristischen Bereichen – und das ein großer Zirkel rund um die Victoria Station – harren tausende von Pret a manger oder Nero Cafes auf Kundschaft, das Angebot ist ordentlich und preislich im Rahmen, aber es sind Ketten. Nebenan findet sich meist ein kleinerer Laden, Inhabergeführt, indem es sich gleichfalls gut frühstücken lässt. Support your local store, heißt das Motto und alsbald wandern wir gestärkt über den Tarchbrook Street Market Richtung Themse. Egal wo du bist, wenn du nicht weißt, wohin, geh ans Wasser. Ziele haben wir außer dem Jim Bob Konzert am morgigen Samstag keine, Möglichkeiten aber gibt es viele, wir entscheiden von Moment zu Moment. Und so werfen wir einen Blick auf den verhüllten Big Ben und entscheiden uns für die erste Busfahrt Richtung Liverpool Street, die 11 fährt genau dorthin, vorbei an der Downing Street, Trafalgar Square und der St Pauls Cathedral .

Der rote Doppeldecker, nunmehr hochmodern mit Videoüberwachung, schiebt sich zwischen Hunderten anderen Bussen und Tausenden von schwarzen Cabs durch die Straßen; die schlechteste Idee in London ist die, mit dem Auto mal kurz irgendwo hin zu wollen. Abgesehen davon, dass es keine Parkplätze gibt, ist immer Rush Hour. Radfahrer zwängen sich zwischen all den Cabs und Vans und Cars über die Straßen, die Londoner City ist eine Mischung aus Wolkenkratzern, Baustellen, Straßen, Geschäften und Pubs. Im Umkreis von mehreren Kilometern würdest du kein alleine Kind auf die Straße schicken, der Alltag ist geprägt von Verkehr, Business und Touristen und es scheint von Jahr zu Jahr chaotischer, in jeder Nische wird gebaut. Um ein normales Wohnviertel zu entdecken, muss man weit fahren, die Gentrifizierung erstickt jeglichen entspannten Alltag. Aber irgendwo hier zu wohnen ist für einen normalen Geldbeutel sowieso unerschwinglich, die Mietpreise der Wohnungen werden in den Leuchtannoncen der Makler in Wochenpreisen angegeben.

Nahe der Liverpool Station steigen wir aus und wandern kurz zu den Hallen des Leadenhall Market, ein imposantes Gebäude, das einen Blick lohnt. Wir spazieren weiter ins East End Richtung Brick Lane, eine alte Straße, in der einst Ziegelsteine gebrannt wurden – von daher der Name. Hier finden sich heute vor allem Indische/Bangladesh Restaurants, Vintageläden und Streetart. In den Hinterhöfen finden sich kleine und größere Märkte, Agenturen und an den Ecken stehen Touristen, die an einer Führung teilnehmen. Mehr oder minder fachkundig wird ihnen die an den Wänden zu findende Streetart erklärt, ein Geheimtipp ist die Brick Lane schon lange nicht mehr und auch die zig Curryläden leben nicht von dem zufälligen Entdecken, sondern von den Reiseführern. Überall wird mit dem besten Curry in London geworben, locken fragwürdige Rabatte, und wie in Indien üblich tritt beim geringsten Interesse ein Jemand vor die Tür und versucht dich zu einem Besuch zu überreden. Lebendig ist es hier aber schon und wie so oft, lohnt ein Abstecher in die Seitenstraßen, Eisenbahnbrücken, besprayte Wände, der Geruch von Gras und ein etwas schmuddeliger Alltag erwarten dich, und ein riesiger Freakgarten mit handgezimmerten Hütten und Beeten.

Aber für ein paar Fotos lohnt die Gegend allemal, und wer auf Vintageklamotten steht, wir hier fündig. Ich könnte also mit einer Melone, einem Nylon Trainingsanzug in türkis gepaart mit HSV-Trikot und Chelseaboots aus so einem Laden herauskommen – und würde entweder sogar von meiner Trinkhalle verjagt oder lande auf dem Cover der Vogue. Einige der Streetart-Motive habe ich schon im vergangenen Jahr oder noch früher fotografiert, einige schöne wurde leider durch simple Tags verunziert, aber klar: Es gibt einen Markt für die Kunst, von der die Künstler meist recht wenig haben – und diese Entwertung der Bilder entnimmt sie dem Markt. Nur bei dem Bild von Charlie Burns ist es schade, eine großartige Erinnerung an einen Menschen, der hier sein Leben verbracht hat, vor ein paar Jahren gestorben ist und der auf einer Seitenstraße verewigt wurde. Einen Artikel über ihn habe ich schon 2014 verlinkt.

Wir entscheiden uns für ein paar Fish’n’Chips bei Poppies in der Hanbury Street, stöbern im Rough Trade Platten- und Buchladen und wandern langsam runter zur Tower Bridge, zum London Tower, und nehmen von dort die Tube Richtung Heimat. Abends ziehen wir noch einmal zu Fuß los, vorbei am St. James’s Park Richtung Picadilly Circus. Wir winken der Queen, die wohl heute Abend zu Hause ist und überqueren später den Trafalgar Square. Und während Pia im Lillywhite am Picadilly Circus nach Mitbringseln sucht, beobachte ich das leuchtbunte Nachttreiben an der nunmehr hochmodernen Werbewand. Es blinkt und flackert überall, Busse schieben sich durch die Dunkelheit, Menschenmengen auf den Bürgersteigen, bis Chinatown schaffen wir es, die Enten hängen in den Schaufenstern, die Restaurants sind riesig.

Weiter unten im St. James’s Park ist es nachtruhig und wir sind müde. Im Tesco holen wir uns ein paar Dosen Bier und hauen uns im Zimmer auf’s Bett, während die englische Nationalmannschaft in Holland gewinnt. Weitere spannende Tage werden folgen.

 

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