London City Airport, Rush hour, die DLR und die Tubes brechend voll, dicht an dicht gedrängt beginnt der Arbeitstag für die Einen, ein Kurzurlaub für die Anderen.

Waren wir die vergangenen Jahre stets im November in England, Carter USM gaben die Zeit vor, so sollten nun And also the trees in der O2 Islington Academy spielen, neue Location also und da wir schon Freitags anreisten, schossen wir noch zwei Tickets für Maximo Park in der Royal Festival Hall für den Abend. Zum vierten Mal stiegen wir im Enrico Hotel im Warwick Way ab, für unsere Zwecke perfekt zwischen Themse und Victoria Station in Pimlico gelegen, sauber und relativ günstig. Ein paar Schritte weiter kurz vor der Vauxhall Bridge Road liegt der kleine Tachbrook Market, ein paar Stände, ein paar Läden, überschaubarer Alltag in London. Nur ein paar Meter Richtung Victoria Station tobt das Leben, Baustellen, Trollies, Glashäuser, Buckingham Palace, Verkehr.

Unser erster Weg führt uns über den St James Park in das Ticket Center Stargreen an der Ecke zur Oxford Street, die Übergabe der schon lange bezahlten Karten für das Konzert in Islington klappt tadellos. Moderne rote Doppeldeckerbusse schieben sich durch die Straßen, wir aber lassen das Gewimmel hinter uns und tauchen ein in den tadellos gepflegten Regents Park, Heerscharen von Gärtnern halten die Anlage in Schuss, Fahrradfahren ist hier verboten. Ich habe es vor Jahren schon einmal gesagt, in London ist viel verboten. Dafür beobachten dich Kameras auf Schritt und Tritt.

Hinter dem Zoo, der den Regents Park begrenzt, führt ein Kanal Richtung Camden, Hausboote dümpeln am Ufer, wir nehmen die Stufen hoch zum Camden Market, essen koreanisch und schieben uns zwischen Ständen und Menschen an einer Amy Whitehouse Statue durch die Wege. Wenn du zwanzig bist, könnte es hier paradiesisch sein, man trifft sogar ab und an Engländer, wir aber laufen am Kanal entlang und erklimmen Primrose Hill, eine grüne Erhöhung mitten in der Stadt mit einem fantastischem Ausblick. Irgendeiner steht immer im Bild, Generation Selfie allenthalben. Dennoch verströmt dieser Ort eine Ruhe, ja, eine gewisse spirituelle Magie. Unten im Regents Park spielen Kids Cricket. An der Baker Street nehmen wir die Tube, steigen am Green Park um Richtung Pimlico. Die Victoria Line fährt weiter bis nach Brixton, die Anzahl der Touristen und der Weißen nimmt ab der Victoria Station rapide ab. Hinten im Süden leben vorwiegend Schwarze, wobei es wahrscheinlich nur noch eine Frage der Zeit ist, bis auch Brixton gentrifiziert wird und dem neuen London einverleibt wird.

Nach einer kurzen Ruhepause geht es für uns zu Fuß über die Vauxhall Bridge ans südliche Ufer. Vor Jahren wurden wir auf der Straße mal mit einer Dose Bier in der Hand rüde in den Senkel gestellt, jetzt führt der hiesige Laden überhaupt kein Bier mehr. Es braucht zwei Anläufe, bis wir auf einer Bank an der Southbank sitzen und verschämt an einer Dose Carlsberg nuckeln, gefühlt wie ein Junkie am Frankfurter Bahnhof. Am London Eye stehen die Menschen Schlange, wartend auf eine Rundreise bis auf 135 Meter Höhe. Wenige Meter dahinter verbirgt sich die Royal Festival Hall, an die sich ein kleiner Markt anschmiegt, es dampft und brutzelt, wir aber holen noch zwei Dosen Bier in einem Kiosk und lassen uns sicherheitshalber noch eine Tüte geben. Auf ein Konzert einer Indieband weist nicht viel hin, nach ein paar Minuten in der Sonne betreten wir die Halle, suchen den Eingang zum Konzertraum, fragen hier, fragen dort. Das lustigste ist die Fahrt mit dem Aufzug in die fünfte Etage, bzw. die jeweilige Ansage in einem melodiösen SingSang. Nach einigem Hin und Her finden wir den für uns bestimmten Einlass. Niemand scannt unsere Karte, niemand durchsucht unsere Taschen, höchst erstaunlich anlässlich des sonst vorherrschenden Sicherheitsbestrebens. Die Vorband, Pins, spielt schon – und wir nehmen Platz. Die Halle ist vollbestuhlt, wir sitzen am Eck und haben einen guten Blick – und sind ob der vielen gelaufenen Kilometer nicht böse ob des Sitzplatzes. Dann kommen Maximo Park mit einem gut behüteten Paul Smith und glasklarem Sound auf die Bühne. Sie fordern die Menge auf zu stehen, zu tanzen, das Publikum folgt willig und freut sich während der folgenden 90 Minuten an vielen Songs der neuen Platte, Risk to Exist und einigen älteren Hits. Vor der Zugabe gehe ich auf der Terrasse noch eine Cigarette rauchen, illegal zwar, aber keineswegs isolierend, ich bin nicht der einzige. Rauchend sehe ich in die beleuchtete Londoner Nacht, Big Ben, House of Parliaments, Themse. Ein toller Ausblick nach einem schönen Konzert. Nach drei weiteren Songs machen wir uns auf den Heimweg, der lange Tag hat an der Kraft gezehrt, die Schritte fallen schwer – und nach 35 gelaufenen Kilometern und vielen Eindrücken fallen wir todmüde in die Kojen.

Throw your arms around me
Before the waves all swallow me

Der nächste Morgen führt uns nach einem halbwegs vernünftigen Frühstück über die Chelsea Bridge Richtung Battersea Power Station, das alte Kraftwerk, das nicht zuletzt das Cover von „Animals“ von Pink Floyd ziert. In den 80er Jahren stillgelegt, wechselte das imposante Gebäude mit den markanten Schornsteinen mehrfach den Besitzer, jetzt wird nach Jahren umgebaut, den alten Blick gibt es nicht mehr, Kräne ragen in die Luft. Überhaupt wird ganz London umgebaut, hier am südlichen Ufer, wo einst die Werften und Industrie zu Hause waren, wachsen exklusive Appartements dicht an dicht in die Höhe, so exklusiv, dass man hier keine Kinder spielen lassen möchte. Weiter hinten, im Battersea Park ist es ruhig – sieht man einmal von den Flugzeugen ab, die langsam Heathrow ansteuern. Hunde wackeln durch den Park, irgendwo wird gekickt.

Wir wandern am südlichen Ufer entlang Richtung Borough Market, schieben uns am London Eye vorbei, bewundern Paul, der mit einer charmant witzigen Performance die Passanten unterhält und dabei den kleinen Joshua mit einbindet. Schlagfertig kommentiert Paul die Vorbeischlendernden, fordert zwei Männer auf, sich an der Hand zu halten, wir hätten ja schließlich 2017 und kommentiert den Weg zweier Mütter mit Kinderwagen wie ein Autorennen. Kurz danach passieren wir die Royal Festival Hall. Eben stand ich noch dort auf der Terrasse, jetzt ist das was noch vor uns lag schon Erinnerung, so rast die Zeit und wir taumeln mit.

Der Borough Market, eigentlich ein toller Ort zum Essen und Gucken ist gnadenlos überfüllt, wir sind kurz davor die Orientierung zu verlieren und verlassen hungrig das Gewimmel. Rettung bietet der kleine Markt hinter der Festival Hall, vor allem Nahrung. Wir nehmen die Tube an der Tower Bridge bis Waterloo, marschieren zum Markt und fahren weiter nach Pimlico. Bei einem Tee resp. Kaffee begleiten wir die Eintracht via Live Ticker durch den Spieltag. Nach der 2:0 Führung tippe ich auf ein Unentschieden, es wurde dann ein 2:4. Eintracht 2017? Dann lieber Musik – und so brechen wir auf nach Islington und fallen aus der Angel Station in eine für uns neue Welt. Die Konzerthalle befindet sich versteckt in einem Einkaufszentrum, außerhalb befinden wir uns endlich wieder in einer normalen Welt. Straßen, Geschäfte in denen Dinge verkauft werden, die Anwohner zum Leben brauchen, keine Souvenirs, keine Glasfassaden. Ein Markt wird gerade zusammen geräumt, die Menschen hier haben Migrantenstatus. Und es gibt sogar German Doner Kebab.

Auf dem Konzertprogramm stehen heute neben And also the trees als Hauptact noch Cult with no name und In the Nursery. Für knappe 20 Pfund eine ansprechende Gelegenheit. Diesmal werden wir auch kontrolliert, das Publikum steht, Bier wird über den Tresen gereicht und es gibt draußen eine Raucherecke. Als ich diese nutze, treffe ich Simon How Jones, Sänger der Trees, den ich in Hamburg gefragt hatte, ob sie in London „Jacob Fleet“ spielen würden. Damals im Winter wollte er es sich überlegen, aber es wurde nichts draus wie er mir augenzwinkernd erzählt.

Cult with no name liefern ein prima Gig ab – und es gibt für Pia im Anschluss sogar noch eine CD mit Widmung. In the Nursery folgen zu laut mit miesem Sound und dann sahen wir zum x-ten Mal die Band, die mich seit über 25 Jahren begleitet, oder besser ich sie – und es ist ein jedes Mal ein großartiges Erlebnis – und wie jedes Mal verzichten sie auch heuer auf Songs der Platten, die mir am besten gefallen, man kann nicht alles haben. Höhepunkt wie so oft ist der Slow Pulse Boy mit dem virtuosen Justin Jones an der Gitarre. Müde, aber glücklich rauschen wir gegen 23 Uhr durch die Londoner Nacht. Da sind wir eben erst angekommen und nun liegen schon zwei Highlights hinter uns. Aber es sollte noch ein Tag am Meer folgen. Morgen geht’s nach Brighton.