Ein Sammelsurium aus dem angebrochenen Leben

Palermo. Rosa.

Es gehört ja zur Tradition, dass auf dem Programm jeder Winterreise der Fan geht vor mindestens ein Fußballspiel auf dem Programm steht, egal ob Griechenland, Spanien, Portugal, Türkei oder Italien. Nun waren wir auf Sizilien. Dort gibt es neben Meer und Häfen auch Berge. Wir sahen alles – auch den schneebedeckten Ätna. Wenn ihr mit dem Auto fahren solltet, nehmt Schneeketten mit. Wenn ihr zum Fußball nach Palermo geht, seid vorsichtig.

US Palermo gegen den AC Florenz stand auf dem Programm, die Tickets kauften wir am Tag zuvor direkt am Stadion in einem Ticketshop, der in den Zaun integriert war. Die Angelegenheit war schnell erledigt, außer uns waren noch zwei, drei Interessierte vor Ort. Wie immer in Italien ist der Personalausweis von Nöten, 20 Euro später hielt jeder sein personalisiertes Ticket in der Hand.

Den folgenden Tag fuhren wir früh mit dem Zug in die Stadt, unsere Unterkunft lag ein wenig außerhalb und wir sparten uns so das Gezuckel und die Parkplatzsuche. In Palermo sind alle Autos verschrammt, das Vorwärtskommen besteht aus permanenter leichter Nötigung, die jedoch nicht krumm genommen, sondern quasi als Pflicht angesehen wird. Der Zug ist günstig, schnell und sicher.

Nach einem Stadtbummel trennten wir uns, der Rest der Crew nahm den Bus zum Stadion, da ich aber einen magischen Zug zum Meer habe, trollte ich mich zu Fuß Richtung Hafen. Gestern lief ein gigantisches Kreuzfahrtschiff aus, diesmal erreichte ich nur den Yachthafen, immerhin, die Boote lagen ruhig im Wasser, ein Moment der Stille. Anschließend marschierte ich weiter durch die Stadt Richtung Spielort. Palermo abseits der touristischen Highlights präsentierte sich eher leise an jenem 6. Januar, die meisten Geschäfte hatten geschlossen, mein Weg führte vorbei an Hundescheiße, Müll, Ultra Palermo Graffitis und dem normalen Leben. Bis kurz vor dem Stadion war von Fußballatmosphäre nichts zu spüren.

Ich lief mit einigen Wenigen die Straße entlang, die wir am Tag zuvor befahren hatten. Kurz vor dem Stadion Renzo Barbera versperrten Gitter und Ordner den Weg, der jedoch nach Vorlage und Ticket passierbar war. Gegenüber dem Stadion lag ein Käfigbolzplatz, hinter ihm wuchsen Berge in die Höhe, Flutlichtmasten ragten obenauf. Ich marschierte durch einen anderen Ausgang wieder nach außen, dort herrschte Leben, dort traf ich auch wieder meine Mitreisenden. An bunten Buden saßen die Fans der Rosanero, aßen Paninis mit Porchetta, tranken Bier, ab und an donnerte ein Böller, der Wind wehte einen Papierkorb über den Platz. An einer Bude stand neben uns ein Deutscher, auf dem Kopf eine Kappe mit der Aufschrift: Curva Nord. Dort hatten wir auch unsere Plätze.

Der Einlass ging mehrstufig von Statten. Zunächst reichten Ticket und Passport, so erreichten wir den eigentlichen Stadioneingang. Dort drängte sich eine wilde Meute, der ein oder andere beäugte uns misstrauisch, der ein oder andere nickte uns freundlich zu. Ein erster Ordner beförderte dann mein Feuerzeug in den Mülleimer, ein weiterer Polizist durchsuchte uns noch einmal, dann waren wir erst einmal drin. Ein hinterer Eingang der Curva Nord brachte uns zu unseren Plätzen in einer Art Oberrang des knapp 37.000 Zuschauer fassenden Stadions, das in grünrosa nun vor uns lag. Gegenüber im Oberrang versammelte sich ein überschaubarer Mob aus Florenz. Neben mir wurde geraucht.

Als die Partie angepfiffen wurde, versammelten sich knapp 14.000 Zuschauer im Flutlicht beschienenen Stadion. Es war unsere zweite Begegnung mi US Palermo, knapp 10 Jahre zuvor hatte es die Eintracht versäumt, den Club aus Sizilien im Uefa-Cup zu schlagen, im Gegenteil: Zaccardos 2:1 für Palermo in der 87. Minute im Waldstadion bedeutete ein herber Dämpfer für die Aussicht aufs Weiterkommen der SGE. Dieses Jahr aber präsentierte sich der Aufsteiger in die Seria A in erschreckend schwacher Form, Florenz war in jeglicher Hinsicht überlegen. Der Support für die Heimmannschaft gestaltete sich überraschenderweise wenig koordiniert. Eine Gruppe supportete unter uns, eine andere neben uns im Oberrang, die nächste und größte Ultragruppe genau darunter und eine vierte auf der Gegentribüne. Jeder sang etwas anderes. Dies änderte aber nichts daran, dass Florenz zur Halbzeit völlig verdient mit 2:0 führte. Firenze, Firenze, Pezzo di Merda wurde neben uns festgestellt.

Von Zeit zu Zeit spazierten Verkäufer durch die Reihen und verkauften Bier oder Wasser aus Plasiktüten an die Durstigen. Die Bierdose wurde in Plastikbecher umgefüllt, wie auch das Spielfeld von den Rängen durch Plexiglas getrennt lag. Nun machte Palermo etwas mehr Druck, Florenz ließ sie angesichts der Führung kommen, musste allerdings den Anschlustreffer durch Gilardino hinnehmen. Als Blaszczykowsky in der Schlussminute den alten Abstand wieder herstellte, war das Spiel gelaufen. Das Stadion leerte sich, wir guckten noch ein bisschen auf den Abgang und brachen dann selbst auf. Einer hatte die Idee, noch einmal am Spielfeldrand ein Foto zu machen, so liefen wir durch den unteren Eingang hindurch. Ein anderer hatte eine Jacke mit der Aufschrift: Eintracht Frankfurt. Kurz vor dem Spielfeld kam uns eine Gruppe Ultras entgegen. Und wir hörten: Des sin Frankfurter in einem sattsam vertrautem Dialekt. Und es klang nicht freundlich. Einer murmelte etwas von Bergamo. – Atalanta, dies sind die Freunde unserer Ultras. Aha. Ein anderer versuchte uns zu schlagen, als wir uns schnurstracks verkrümelten, die Capos aber hielten die Jungs zurück. Ich meine, wir sahen eher aus wie eine Seniorenreisegruppe aber manch einer differenzierte nicht so ganz genau. Wir also raus aus dem Stadion ohne umzudrehen, aber es war augenscheinlich, dass wir verfolgt wurden – und richtig, kaum waren wir aus dem Stadionbereich draußen, wurden wir einzeln gestellt. Jacken- und T-Shirt Kontrolle, freundlich aber bestimmt schauten die Ultras, ob wir Eintrachtklamotten trugen. Wenigstens ließen sie dabei das einzige Mädchen in unserer Runde in Ruhe – ein T-Shirt aber wechselte den Besitzer, ohne zu tauschen. Immerhin wurden wir nicht ausgeraubt, was Foto oder Handy angeht. Einer raunte mir zu: Ei häite Bergamo, go away, go away. Soll mir Recht sein, eine Diskussion war eh fehl am Platz, also Abgang. Und so schnell dieser ganze Minitsunami über uns kam, war er dann auch wieder vorbei. Schweigend marschierten wir Richtung Bushaltestelle.

Wir hatten schon viele Spiele in Europa gesehen und waren alles andere als Greenhorns, was wir aber nicht wussten, war, dass Palermo und Kaiserslautern seit einiger Zeit befreundet waren, daher auch der vertraute Dialekt. Und wir hatten nicht bedacht, dass der verrottete Haufen noch im Stadion war, als wir nach unten gingen; man lernt halt nie aus. Letztlich nahmen wir ein Taxi nach Bagheria. Jeder saß auf seinem Platz und blickte in die sizilanische Nacht.

Was aber halten wir von einem Verein, der die Eintracht kurz vor Schluss geschlagen hat? Einem Verein, dessen Hauptfarbe Rosa ist? Einem Verein, der mit Kaiserslautern befreundet ist? Dessen Anhänger Senioren berauben? Genau.

Einen Tag später fuhren wir durch Schnee.

7 Kommentare

  1. kreuzbuerger

    palermo, palermo, vaffanculo!

  2. Beve

    Si Si :-)

  3. owladler

    In meiner Sprache heißt das: Raub. Raubdelikte werden hart bestraft, unabhängig vom Wert der Beute. Wenn man erwischt wird…
    In diesem Zusammenhang: Ich möchte dir elektronisch etwas zur kommenden Stuttgartspiel-Waldtribüne zusenden. Welche Adresse?

  4. Beve

    Guck mal auf der Startseite rechts, da steht sie unter contact. ja raub. dumm gelaufen.

  5. fg-sge

    Idioten, da wirds einem schon mulmig. Hatte so ein Erlebnis in Köln Beve, letzte Saison. 4:1 verloren und dann in der Straßenbahn massiv angemacht worden, auch Glück gehabt. Aber Palermo…Eintracht Frankfurt International :-)

  6. Albert C.

    Wow, sehr eindringlicher Text. Danke dafür.

    • Beve

      Bitte :-)

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